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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


er es. Aber er wird verzeihen, wenn mein Brief den heißersehnten Erfolg hat: Sie zur Versöhnung zu stimmen.
 In herzlichster Ergebenheit
 Ihr Marbod Steinweber.“


„Baden-Baden, den 23. Aug. 1885.

Verehrter Herr Doktor! Ich begreife, daß es Sie drängte, mir zu schreiben. Meine Antwort kann nur diese sein: eine Versöhnung wäre möglich gewesen, wenn er sich überwunden hätte, mir recht zu geben. Es handelte sich um eine Frage, von der ich seine künftige Zufriedenheit, und somit auch die meine, abhängig glaube. Es ist nun entschieden.

Sie sagen, daß wir nicht ohne einander leben können. Aber glauben Sie denn auch, daß wir mit einander hätten leben können?
 Ihre Gerda, Baronin von Offingen.“


„Berlin den 25. Aug. 1885.

Mein lieber alter Junge! Anbei die wenigen Zeilen, welche Gerda mir als Antwort schickte. Schon die Kürze derselben macht mich hoffnungslos. Wenn eine Frau Versöhnung und eine Neubelebung ihres Liebesglückes erhofft, nimmt sie sich die Mühe, ihren Zorn und die Gründe für denselben sehr lang auseinander zu setzen. Was ich Dir zum Trost sagen soll, weiß ich wahrlich nicht. Man pflegt sich auf den mildernden Einfluß der Zeit zu verlassen, aber ich weiß nicht, ob in Deinem Falle der Schmerz nicht gerade mit ihr wachsen wird.

Bis zu dem Augenblick, wo ich Gerdas knappe Antwort empfing, glaubte ich noch gar nicht an den Ernst der Lage, aber nun sehe ich, daß es einen Riß zwischen Euch gegeben hat, den vielleicht nichts mehr heilt. Wenn ich Dir aus vollem Herzen ein Warnwort sagen darf, ist es dies: lieber laß das Blut aus der Wunde hinströmen, und solltest Du Dich daran verbluten, aber klebe keine künstlichen Stillungsmittel darauf – ein ewiges Siechthum könnte die Folge sein. Gieb nicht im Toben des Schmerzes und in der Noth der Einsamkeit Deine Freiheit dahin an ein ungeliebtes Weib. Nur in der Freiheit kannst Du Dir die Hoffnung bewahren, daß die Eine, Ewiggeliebte doch noch eines Tages in Deine ihr entgegengeöffneten Arme sinkt.
 Dein Marbod.“


Es war an einem Frühmorgen, als Alfred diesen letzten Brief erhielt. Mit zitternden Fingern nahm er aus der Hand des Postboten das Couvert mit der wohlbekannten Handschrift. Nicht vor heute, das hatte er gewußt, konnte Marbod ihm Bericht über Gerdas Antwort oder Schweigen senden. Und doch zitterte er seit zwei Tagen, wenn er die Uniform des Beamten sah.

(Fortsetzung folgt.)




Zur Enthüllung des Wiener Grillparzer-Denkmals.

Im Wiener Volksgarten, an einem der schönsten Punkte der schönen Stadt, in der nächsten Nähe der Hofburg und des Burgtheaters, umrauscht vom Lärm der Ringstraße und doch von dem Gewühle durch die grüne Mauer geschieden, erhebt sich das Denkmal für Franz Grillparzer. Mehr als anderthalb Jahrzehnte sind seit dem Tode des Dichters (1872) verflossen. Nicht der Uebereifer der Trauerstimmung, nicht das Bedürfniß, das schwindende Andenken an eine lokale Berühmtheit zu retten, nicht das Streben nach Selbstverherrlichung hat dieses Denkmal gegründet, sondern die immer tiefer eindringende Erkenntniß von Grillparzers dichterischer Größe, die staunenswerth rasche Verbreitung seiner Werke, der innige Antheil an seinen erst seitdem allgemeiner bekannt gewordenen Lebensschicksalen riefen den Wunsch nach einem solchen hervor. Der halbvergessenen Dichtergestalt, die aus dem Schatten der Vergangenheit emporgestiegen war, sollte ein unvergeßliches Wahrzeichen für die Nachwelt gestiftet werden. Demjenigen, der sein Vaterland und seine Vaterstadt nach einer Entfremdung von Jahrhunderten wieder eingeführt in den geistigen Wettkampf Deutschlands, der den Namen Oesterreichs auf dem deutschen Parnasse wieder zu Ehren gebracht hatte, sollte die Dankbarkeit seines Volkes auch durch ein äußeres Sinnbild bezeigt werden. So ist das Verlangen nach einem Grillparzer-Denkmale aus dem Herzen seiner Landsleute erwachsen.

Mit allen Fasern seines Wesens wurzelt Grillparzer in seiner Vaterstadt, in welcher der bajuvarische Stamm in Berührung getreten ist mit dem bunten Völkergemisch des österreichischen Kaiserstaates und dadurch eine eigenartige Ausbildung und Umschmelzung erfahren hat. Alle guten wie alle verhängnißvollen Eigenschaften des Wieners wurden dem Dichter in die Wiege gelegt. Die heitere Lebenslust, die naive Hingabe an die Sinnenwelt wurden durch einige schwere Tropfen in seinem Blute gedämpft und getrübt. Sehnsüchtiges Begehren nach musikalischem Genuß verstärkte seinen Hang zur Träumerei, der sich wie Gift in seine Adern senkte, schwächte einen schlaffen Zug seines Charakters bis zur Energielosigkeit. Fleiß und Ausdauer hielten nicht Schritt mit der Kühnheit und Großartigkeit der Phantasie; die Zahl seiner ausgeführten Werke steht zu der Ueberfülle seiner Pläne und Entwürfe in keinem Verhältnisse; ein bedauerlicher Gegensatz zwischen seinen Jünglings- und Mannesjahren macht sich geltend. Rasche Erregungsfähigkeit wechselt bei ihm mit entschließungsloser Trägheit, weibliche Hingebung mit herbem Eigensinn; die köstlichen Stunden der Weihestimmung ragen wie Inseln hervor aus der Fluth der todten Wochen und Jahre. Altwienerische Derbheit und schlagender Witz sind sein Erbtheil, die Freude am Spaß, der Sinn für Humor; er giebt seinen dichterischen Landsleuten Bauernfeld und Raimund an Begabung für Lustspiel und Posse nichts nach. Mit der habsburgischen Dynastie ist er aufs innigste verwachsen, er macht sich gerne zum Herold ihres Ruhmes; aber auch die Aeußerungen des Unmuths über die politische Entwickelung Oesterreichs, die bei ihm nicht fehlen, sind ihm durch die grenzenlose Liebe eingegeben worden, welche ein starkes, ein einheitliches, ein deutsches Oesterreich wünschte. Der geschichtlichen Eigenart der einzelnen österreichischen Völkerstämme sucht er gerecht zu werden; mit Vorliebe schöpft er seine Stoffe aus der Geschichte Oesterreichs, besonders Ungarns und Böhmens; mit Begierde ergreift er die Gelegenheit, die ihm eines seiner Dramen giebt, um einen Lobspruch auf Niederösterreichs blühende Gefilde einzuflechten und in seiner Erzählung „Der arme Spielmann“ hat er eine Schilderung des Wiener Volkslebens gegeben, die bis heute schier unerreicht dasteht.

Es ist kein Zufall, daß der Dichter, der die besten Kräfte seines Könnens aus dem heimischen Boden gesogen hat, ein dramatischer Dichter geworden ist. In Oesterreich, in Wien insbesondere, nahm das Theater von jeher eine hervorragende Stellung ein. In jenen Jahrhunderten, da Oesterreich von den Fortschritten des deutschen Geisteslebens fast abgeschnitten war, entwickelten sich hier die Elemente zu einer Volksbühne, die gerade zur Zeit von Grillparzers Jugend einem Höhepunkte zustrebte. Zahlreiche begabte Dichter standen in ihrem Dienste, und die Musik verlieh einer an und für sich niedrig stehenden litterarischen Gattung eine ideale Weihe; in zahlreichen Variationen, als Ritter- und Räuberschauspiel, als Geister- und Märchendrama, als Verwandlungs- und Zauberspiel, als Lokallustspiel und Lokalposse, als Parodie und Travestie, hatte die Wiener Dramatik sich entfaltet. Grillparzer machte niemals ein Hehl daraus, daß man seinem ganzen Schaffen die an den Wiener Vorstadtbühnen gewonnenen Jugendeindrücke anmerke. Hier hat seine Vorliebe für märchen- und sagenhafte Stoffe ihren Ursprung, für das dämmerhafte Dunkel der ersten Geschichtsepochen, für den Gegensatz zwischen Kultur und Barbarei, der den Hintergrund vieler seiner Dramen bildet. Hier eignete er sich die Herrschaft über alle Mittel der Bühne an, so daß ihm keine dekorative und scenische Schwierigkeit zu groß erschien. Hier lernte er, wie viel man begabten Schauspielern und einem hingebungsvollen Publikum zutrauen dürfe, und aus dem Schüler der Vorstadtbühnen wurde sehr bald der Meister des Burgtheaters, das an den Werken Grillparzers zur ersten Bühne Deutschlands heranwuchs.

So wurde Grillparzers angeborenes dramatisches Talent durch zahlreiche günstige Umstände gefördert. Schon auf der Schule versucht er sich in eigenen Produktionen. Wie im Fluge macht er die ganze historische Entwicklung des Dramas durch; von Iffland und Kotzebue schwingt er sich bald zu Schiller und Goethe auf; er läßt sich von Shakespeare begeistern, er lehnt sich an Gozzis Märchenspiele an und findet in Calderon einen glänzenden Leitstern.

Ueberall geht er bald von der bewundernden Lektüre zur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_314.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)