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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


wenigstens seitens des Weibchens entweder aus Abneigung oder aus Mangel an entsprechend dargebotener Gelegenheit eine neue Ehe nicht so leicht geschlossen. Wer weiß, ob nicht tiefgehende Trauer Ursache eines streng eingehaltenen ehrbaren Witwenstandes ist!


b. Der schwarze Storch.

Dieser Vogel ist und bleibt vielen gänzlich unbekannt, da er wohl in Deutschland an geeigneten Plätzen, aber doch selten vorkommt; am häufigsten nistet er in den wasserreichen nordöstlichen Strichen, in Pommern und Ostpreußen. Es bedarf seiner Seltenheit wegen einer kurzen Beschreibung der äußeren Erscheinung. Kleiner und schlanker als der weiße Vetter, überragt er ihn in der Flugweite bedeutend. Weiß sind nur der untere Theil der Brust, der Bauch und die Schenkelfedern; der übrige Theil des Gefieders erscheint mattschwarz mit metallischem grünpurpurnen Schiller. Das Korallenroth des Schnabels, der nackten Stellen an den Augen und den Beinen tritt bei den alten Exemplaren lebhaft hervor. Einsame, entlegene, alte Waldungen, die das Vorhandensein feuchter oder sumpfiger Wiesen, Bäche oder Flüsse nicht ausschließen, wählt er zum Aufenthalt und legt da seinen Horst auf einer Eiche, einer Buche oder Kiefer an. Dabei ist er darauf bedacht, daß er vom Horst oder dem wipfeldürren Nistbaume aus freie Umschau halten kann, denn ein Grundzug seines Wesens ist Scheu und Mißtrauen. Deswegen trifft man seine Familienwohnung auch gewöhnlich am Rande eines alten räumlichen Schlags oder in einer Gruppe alter Stämme auf einem Lichtschlage oder in der Nähe eines solchen an. Selten nur kommt es vor, daß der Horst in kleinen Feldgehölzen und Auen gefunden wird. Um den scharfsichtigen, sehr scheuen Vogel zu beobachten, muß man einen gut verborgenen Standort einnehmen und einen guten Tubus zur Hand haben. Interessant und lohnend ist aber die Verfolgung seines heimlichen Wandels. Geschieht dies nicht mit Vorsicht und sieht sich das Paar irgendwie belästigt oder von Nachstellungen umgeben, so verläßt es wenigstens für einige Zeit, wenn nicht ganz, Standort und Ernährungsgebiet, um sie mit anderen zu vertauschen. Indessen finden auch nicht selten derartige Veränderungen statt, ohne daß die Ursachen zu ergründen wären. Eigenwilligkeit, Eigensinn, irgend welche Unzufriedenheit veranlaßt die schwarzen Störche, eine Ansiedelung zu verlassen, einen anderen Ort, ebenso räthselhaft für uns, zu erwählen, wo vorher kein solcher Vogel zu sehen war.

Schwarze Störche.

Entzückend schön ist der Kreisflug des männlichen schwarzen Storchs in der Höhe zur Zeit, da das Weibchen brütet. In stetigen, kaum von einem Flügelschlag unterbrochenen Schraubenwindungen erhebt sich der im Sonnenschein purpurstrahlende Vogel und durchzieht den Aether in majestätischem Kreisen, oft stundenlang dieses schöne Luftspiel fortsetzend. Sein Flug ist gewandter, leichter als derjenige des weißen Storchs, seine Haltung diejenige des wilderen Vogels. Sein ganzes Erscheinen und Gebahren ist flinker, behender und mit einer gewissen Anmuth begleitet. Vom Horst aus durchstreift er die Gegend, um die Nahrungsquellen in sumpfigen Waldwiesen, Erlenbrüchen, an Teichen, Gräben, Bächen und Flüssen auszubeuten. Das geschieht mit großer Vorsicht, wenn er sich nicht völlig sicher fühlt, was sich namentlich in dem mehrmaligen Kreisen um den Ort zeigt, wo er sich niederlassen will. Beim Einfallen führt er hohen Flügelschlag aus und hebt den Hals, um möglichst weite Umschau zu halten. Dann erst schreitet er langsam, noch langsamer als der weiße Vetter, mehr schleichend wie jener, aber ebenso gravitätisch, umher. Seine Nahrung ist noch vielseitiger, allem Kleingethier ist er gefährlich; was ihm von Nagern, kleinen Raubthieren, Lurchen, überwindbaren Schlangenarten, Insekten und erreichbaren Vögeln in den Weg kommt, danach greift hastig sein zuschnellender Schnabel, der die Beute tödtet, in die Höhe wirft und alsdann schlinggerecht wieder auffängt zur Beförderung in den würgenden Schlund.

Stellt schon der weiße Storch Fischen nach, so betreibt der schwarze diese Jagd mit wirklicher Leidenschaft. Er watet tief und schnellt mit dem Schnabel nicht leicht fehl, so daß manche Forelle aus dem Gebirgswasser von ihm an die Oberfläche befördert und in den unersättlichen Kehlsack versenkt wird. Nach dieser Richtung hin würde bedeutende Schädigung unausbleiblich sein, wenn der schwarze Storch ein häufig vorkommender Vogel wäre. Hat sich der Unersättliche mit allerlei Kleingethier im wahren Sinne des Wortes voll und steif gepfropft, dann begiebt er sich an seine Lieblingsstandorte, um in Ruhe der Verdauung sich hinzugeben. Während der Jungenpflege raubt er natürlich das Doppelte und wechselt öfter zwischen dem Horst und den ergiebigen Nahrungsplätzen. Früher als die jungen weißen Störche verlassen die schwarzen den Horst, geführt und angeleitet von den Eltern. Mit der Familie schlagen sich im Nachsommer wohl auch andere zusammen, doch ist der Geselligkeitstrieb beim schwarzen Storch bei weitem nicht so stark wie bei dem weißen, der sich bekanntlich vor dem Wegzug in die Fremde in großen Wiesengründen, wasserreichen Ebenen zu Hunderten, ja Tausenden zusammenthut. Nach zuverlässigen Beobachtungen sieht man den schwarzen Storch höchstens in kleinen Flügen reisen.




Lore von Tollen.

Roman von W. Heimburg.
(Schluß.)


Die nämliche kleine Wohnung am Forum Trajanum hatte der General wieder gemiethet. Der alte Herr war trotz seines Rheumatismus länger in Berlin geblieben, als er beabsichtigt hatte. Er wollte erstlich der tiefgebeugten Schwägerin helfen, die älteste Tochter unter die Haube zu bringen, und dann – er wollte nicht ohne Lore fort, durchaus nicht! Jeden Nachmittag setzte er sich auf die Pferdebahn und fuhr in das Augustahospital, wo ihm „seine alte Deern“ täglich mit blasseren Wangen entgegentrat. Und jeden Tag sprach sie ihr „laß mich hier, Onkel, ich bin wirklich ganz gesund!“ mit klangloserer Stimme.

Erst als er mit einem recht flotten rheumatischen Fieber zu Bett lag, das ihm der Herbstübergang gebracht hatte, erst da ward sie schwankend; und als er in der That „höllisch knickebeinig“ zu Helenens Hochzeit fuhr und Lore, die ihn begleitete, sich mit eigenen Augen überzeugen mußte, daß er wirklich nicht gut allein reisen könne, gab sie nach und willigte ein, ihm nach seinem geliebten Rom zu folgen.

Ob der alte Schalk sich nicht ein wenig kränker angestellt hatte, als es wirklich der Fall war, das konnte sie nicht ergründen. Er war nämlich, sobald der Zug jenseit des Gotthardtunnels in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_318.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)