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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

zweckmäßig sein. Erst nach Erfüllung aller dieser Vorbedingungen kann man mit gutem Gewissen sagen: diese Milch ist der beste Ersatz für die Muttermilch.

Wußten wir denn früher, als wir die Milch ohne Besinnen von dem Milchmann bezogen, ob alle diese Bedingungen erfüllt waren? Durchaus nicht! Die Milchwirthschaft auf dem Lande ist keineswegs für Säuglinge bestimmt. Sie hat andere, wichtige Zwecke zu erfüllen; sie liefert uns nicht allein Milch, sondern auch Butter und Käse, sie ist ungemein wichtig für die allgemeine Volksernährung; mit den zahllosen Säuglingen der Großstädte kann sie sich nicht befassen.

So kam es, daß die Städte zur Selbsthilfe greifen mußten.

Dem Oekonomierath Grub gebührt das Verdienst, die erste Anstalt, welche lediglich gute reine Milch für Säuglinge und Kranke erzeugt, in Stuttgart gegründet zu haben. Dies geschah im Jahre 1875, und gegenwärtig verfügt schon eine ganze Reihe von Städten Deutschlands über ähnliche Anstalten; etwa seit Jahresfrist ist auch Berlin im Besitze einer Milchkuranstalt, die unter den vielen gemeinnützigen und im Dienste des öffentlichen Wohls stehenden Einrichtungen der Reichshauptstadt eine hervorragende Stelle einnimmt.

Vor einigen Jahren hat die „Gartenlaube“ (vgl. Jahrg. 1883, Seite 603) die in Dresden errichtete Anstalt besprochen und sie treffend einen „Säuglingskuhstall“ genannt. Wenn sie heute wiederholt dieses Thema berührt, so geschieht es darum, weil der Einzug dieser gesunden Säuglingsmilch in Berlin einen Markstein in der Entwicklung unserer hygienischen Einrichtungen bildet.

Es muß ohne Zweifel jedermann befremden, daß jene Stadt, welche in Bezug auf gesundheitliche Fürsorge mit Recht so hohen Ruhm genießt, erst verhältnißmäßig so spät eine Milchkuranstalt, wie sie die Neuzeit erheischt, erlangt hat, und man kann daraus mit Sicherheit schließen, daß noch viele andere Städte im Deutschen Reich keinen Säuglingskuhstall besitzen. Unter solchen Umständen ist es aber angezeigt, von neuem für die Sache einzutreten. Wir wollen darum in kurzen Zügen die erwähnte Berliner Anstalt unsern Lesern schildern, und diese Schilderung wird vielleicht auch dazu beitragen, daß viele Mütter und Väter auf dem Lande, die so und so viel Kühe ihr eigen nennen, angeregt werden, auch dort in kleinerem Maßstabe die Gewinnung guter Milch für Säuglinge zu erstreben.

Die Berliner Milchkuranstalt ist wohl die größte unter den neueren, zugleich aber sozusagen die unmittelbare Tochter der ersten, der Stuttgarter Anstalt. Sie ist von dem Gründer der letzteren, dem Oekonomierath Grub, ins Leben gerufen. Grub kam nach Berlin als Reichstagsabgeordneter und lernte hier die Berliner Milchversorgung kennen. Er fand bald heraus, daß man in der Reichshauptstadt die „kleinen Schreihälse“ nicht genügend berücksichtigt hatte, und nahm die Versorgung derselben in die Hand. Von süddeutschen Freunden unterstützt, gründete er die Milchkuranstalt am Viktoriapark.

Den Mittelpunkt derselben bildet der vom Stadtbauinspektor Streichert gebaute Stall, welcher Raum für Unterbringung von 250 Kühen bietet und allen Anforderungen an Licht und reine Luft genügt. Die Kühe selbst entstammen durchweg dem bewährten Schweizer Vieh, welches bekanntlich die gehaltreichste Milch liefert. Sie werden schon beim Ankaufe auf ihren Gesundheitszustand thierärztlich untersucht, vor ihrer Verwendung eine entsprechende Zeit lang in einem besonderen Beobachtungsstalle gehalten und hier, wie später in dem eigentlichen Hauptstalle, außer von dem Leiter der Anstalt fortgesetzt auch von einem Thierarzte auf ihre Gesundheit beobachtet. Das Publikum darf jederzeit den Stall betreten, auf den längs der Stände angebrachten Gängen umherwandern und sich von der größten Sauberkeit, die darin herrscht, durch eigenen Augenschein überzeugen.

Die Fütterung der Kühe ist aufs beste geregelt. Alles, was irgendwie die Milch zweckwidrig beeinflussen könnte, wird vermieden. In diesen Stall kommen weder Grünfutter, noch Haushalts- und Fabrikationsabfälle, wie Branntweinschlämpe, Treber, Oelkuchen u. dergl.; man füttert die Kühe nur mit bestem, das heißt gut gewonnenem Hochlandsheu, das aus feinen würzigen Gräsern und Kräutern zusammengesetzt ist, und mit Kraftfuttermehlen.

Auf diese Weise wird eine gesunde, in ihrer Beschaffenheit von Tag zu Tag sich gleichbleibende Milch gewonnen und täglich zweimal unmittelbar nach dem Melken zu den Kunden hinausgefahren.

Die Grubsche Milchkuranstalt verkauft nur reine Milch; jede Gewinnung anderweitiger Molkereierzeugnisse, wie Butter, Käse etc., ist ausgeschlossen, so daß auch hierin eine besondere Gewähr für die Reinheit der Waare erblickt werden muß. Nur nach einer Richtung wird zum Wohle der Kranken hievon eine Ausnahme gemacht. In neuester Zeit hat man vielfach mit dem Kefyr, das heißt in weinige Gährung versetzter Milch, gute Erfolge bei Bekämpfung verschiedener Schwächezustände erzielt, und um dem immer mehr steigenden Bedürfniß nach gut bereitetem Kefyr zu genügen, wird in der Anstalt auch Kefyr bereitet.

Ein weiterer Fortschritt ist in dem Verkauf von sterilisirter Milch zu verzeichnen. Die Milch, selbst die beste, verdirbt außerordentlich leicht, indem zahllose unsichtbare Pilze, die in dieselbe gelangen, eine Gährung hervorrufen. Dadurch, daß man die Milch eine längere Zeit hindurch erhitzt, kann sie haltbarer gemacht werden, indem die Keime durch die Hitze getödtet werden. Dieses Erhitzen beeinträchtigt indessen die Nährkraft nicht, macht im Gegentheil die Milch leichter verdaulich. Professor Soxhlet in München hat für diese Zwecke einen besonderen Apparat hergestellt, der im Hause verwendet werden kann und den wir vor einiger Zeit in Bild und Wort unsern Lesern vorgeführt haben (vgl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1888 S. 219). Nach demselben Grundsatze wird die Milch in der Grubschen Anstalt auf besonderes Verlangen sterilisirt und keimfrei ins Haus geliefert.

Die nicht sterilisirte Milch wird dadurch vor Veränderungen geschützt, daß sie während der Dauer der Ueberbringung tiefgradig abgekühlt wird. –

Für den gewöhnlichen Verbrauch dürfte die so gewonnene Milch zu theuer sein, aber unbezahlbar ist sie für Kinder und Kranke. Für Säuglinge ist sie das beste Ersatzmittel für Muttermilch und entschieden billiger als die Suppen und Mehle, die sonst zu diesem Zwecke angepriesen werden und über deren Werth für die Ernährung unter gewissen Umständen nur der Arzt entscheiden darf.

Anstalten wie die oben geschilderte sind dazu berufen, die Geißel der Großstädte, die hohe Kindersterblichkeit, zu mildern, Krankheiten zu verhüten, die durch schlechte Ernährung in frühesten Jahren entstehen, Kranken und Genesenden in vielen Fällen ein treffliches Mittel zur Heilung und Kräftigung zu geben. In ärztlichen Kreisen finden sie darum die wärmste Fürsprache. Sie wirken aber auch hebend auf die Milchversorgung der Städte im allgemeinen. Durch ihr Beispiel werden einsichtige Milchproducenten zur Nachahmung angespornt, und das Publikum, das einmal den Werth reiner guter Milch erkannt hat, weist minderwerthige Waare von selbst zurück.

Vielfach sind durch die Milch Krankheiten wie Typhus, Scharlach, Diphtheritis etc. verbreitet worden; die ständige ärztliche Aufsicht, unter der regelrecht eingerichtete Milchkuranstalten stehen, schließt jene Gefahren aus.

Aus allen diesen Gründen ist das Gedeihen der bis jetzt bestehenden Anstalten dieser Art mit Freuden zu begrüßen und im allgemeinen Interesse zu wünschen, daß ihre Zahl wachse.

Die Väter der Städte, in denen sie bis jetzt fehlen, werden sich ein großes Verdienst um ihre jüngsten Bürger erwerben, wenn sie dafür Sorge tragen, daß solche „Säuglingskuhställe“ errichtet werden, und sie werden auch den innigsten Dank vieler Mütter erwerben, denen das blühende Gedeihen ihrer Kleinen das höchste Lebensglück ist. *




Blätter und Blüthen.

In der Pußta. (Zu dem Bilde S. 312 und 313.) In der Pußta! Ein oft geschautes, stets magisch anziehendes Bild, ein oft gehörtes, doch selten ganz verstandenes Wort. Nein, der Städter, die Städterin, welchen Luxus, Wohlleben und die rastlose Begehrlichkeit des Leibes wie des Geistes nach Zerstreuung, Vergnügen oder Arbeit selbst in die sommerfrischliche Dorfidylle folgen, können sich die Pußta, nimmer jedoch das Leben darin vorstellen.

Eine Fläche, unabsehbar, graugrün wie der Spiegel des Oceans, mit dessen grenzenlosem Horizont, mit der unendlichen, gleich einer Glasglocke auf dem weiten Plane ruhenden Himmelswölbung, und dieser ungeheure Raum durchfluthet von Licht und Sonnenschein, von jener goldig schimmernden, wohligen Atmosphäre, deren Zauber die Sinne mit der beseligenden Wirkung eines Haschischtraumes umfängt – ja, das ist schön, poetisch, das begreift sich. Aber eine Existenz ohne Spiegel, Kamm und Seife, ohne Thee, Kaffee, Herd und Kochgeschirr, ohne Tische, Kommoden, Divans, Teppiche, kurz eine Vogelexistenz ohne Dach und Fach, ein Leben ohne Zeitungen, ohne Klub, Theater, Konzert, Gesellschaft, Piano, Lektüre, ja ohne Arzt und Apotheke – o, das ist unverständlich; die armen, unglücklichen Menschen!

Wie würde der Pußtamensch auf unserem Bilde lachen, hörte er diesen Ausruf des kulturverwöhnten Menschenkindes! Die Armut fühlt der echte Sohn der Heide, der Hirte, kaum mehr als etwa der Baum, welcher seine Nahrung aus der Erde zieht, in der er wurzelt. Gleich diesem freut er sich seines Daseins in Sonnenschein und reiner Gottesluft, wie dieser trägt er des Daseins Ungemach als etwas Unabwendbares mit stoischem Gleichmuth.

Beim ersten Tagesgrauen zieht er sei es im Dienste einer Dorfgemeinde oder eines Gutsherrn und mögen seine Schutzbefohlenen Pferde, Schafe, Rinder oder Schweine heißen – hinaus in die thaufeuchte, aromatisch duftende Ebene. Sein Ranzen birgt den Mundvorrath für einen oder mehrere Tage oder für die ganze Woche, je nach der Entfernung des Weideplatzes. Speck, Brot oder ein Säckchen mit Kukuruzmehl vor allem aber Tabak. Was wäre auch der Hirte ohne dampfende Pfeife im Munde? Eine Lyra ohne Saiten, ein König ohne Krone, eine Blume ohne Duft!

Doch bemitleide man den Sohn der Wildniß nicht vorzeitig ob seiner spartanischen Mahlzeiten; er weiß sich zu helfen. Findet sich doch in der weitesten menschenleersten Pußta eine oder die andere Tannya[1], in deren Umkreis ein wenig Feldbau, Obst- oder Rebenkultur getrieben wird, da giebt es denn Kartoffeln, Rüben, Maiskolben oder Wassermelonen, welche sich der Hirt ebenso trefflich schmecken läßt wie Trauben, Kirschen, Pflaumen und was der Himmel sonst beschert. Die Art und Weise, wie sich der Pußtahirte diese Leckerbissen erwirbt, verräth zwar etwas lockere Anschauungen über Mein und Dein, aber er hat es eben nie anders gesehen und gewußt.

Hat der Ausziehende den geeigneten Weideplatz erreicht, so ist auch die Hauptarbeit des Tages verrichtet, man müßte denn den dreimaligen Spaziergang zum nächsten Heidebrunnen als Arbeit betrachten, seltsamerweise kennt unser Mann gleichwohl die gefürchtetste Krankheit verfeinerter Lebewesen die Langeweile, nicht. Gleich dem Lazzaroni Süditaliens oder dem Fakir Indiens stillt er die Stunden, welche er nicht verschlummert, damit aus, daß er abwechselnd die rechte und linke, vordere und rückwärtige Seite seines Ichs der lieben Sonne zur Durchwärmung preisgiebt oder sein Auge an dem Zuge der Wolken, den Flugübungen der Störche und Reiher, am liebsten aber an dem sich ringelnden Opferrauche der geliebten Pfeife ergötzt. Selbst Sturm und Regen vermögen diese


  1. Landhaus der wohlhabenden Pußtenbesitzer oder Pächter.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_323.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)