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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

erschien es ihr, ihn nun auf unbestimmte Zeit in diese fernen gefährlichen Länder ziehen zu sehen, aus denen er vielleicht niemals wiederkehren würde – nie – o Gott, wie traurig! Dieser frische, lebenslustige, gesunde Mann, der da neben ihr saß und sie so treuherzig mit seinen braunen Augen anlachte! – Unwillkürlich ergriff Ada seine Hand und sagte rasch:

„Nicht wahr, Sie nehmen sich in acht und kommen gesund wieder?“

Ein tiefes Roth überzog ihr Gesichtchen bei diesen theilnehmenden Worten, und Paul, von dem warmen Ton ihrer Stimme angenehm überrascht, schüttelte kräftig die kleine zitternde Kinderhand und sagte herzlich:

„Ich danke Ihnen, liebe Ada, ich werde ganz gewiß wiederkommen.“

Adas Eltern wechselten einen raschen Blick, und als sich nun Paul erhob, um fortzugehen, drückte ihm auch Frau Laurin mit einiger Rührung die Hand und sagte:

„Ada hat recht, lieber Paul, sorgen Sie, daß Sie gesund wiederkommen, um Ihrer Eltern und – um Ihrer Freunde willen!“ –

Das war der Abschied gewesen, und seit jener denkwürdigen Stunde hatte Adas Phantasie rastlos an dem Bilde ihres neuesten Helden gearbeitet, bis sie eine Art Halbgott aus ihm gemacht hatte. Jeder seiner Briefe gab der Flamme neue Nahrung, und sie brannte mit einer Beständigkeit, welche Adas Mutter an ihrem etwas flatterhaften Liebling unbegreiflich erschien und eigentlich Ada selbst ein wenig befremdete. Ihre Neigungen waren sonst ebenso kurz wie heftig, ein Nichts konnte sie erwecken und zerstören und kein tieferes Gefühl hatte bis dahin in ihrem leicht beweglichen Gemüth Wurzel geschlagen. Jetzt nahmen Frau Laurins Züge oft einen besorgten Ausdruck an, wenn ihr Liebling stundenlang nicht müde wurde, von Paul zu reden. – So angenehm ihr dieses im übrigen war, so schien ihr doch der Gedanke schrecklich, ihr einziges Kind an einen Afrikareisenden zu verheirathen und sie sann ernstlich darüber nach, wie sie Ada vor Pauls Rückkehr auf andere Gedanken bringen könnte.

Die günstigste Gelegenheit bot sich unverhofft und wurde von Frau Laurin mit Lebhaftigkeit ergriffen. Eine reiche, kinderlose Verwandte, Adas Firmpathe, lud diese ein, sie auf ihrem Schloß zu besuchen, welches in schönster Gegend gelegen und der Mittelpunkt einer glänzenden Geselligkeit war. Ada schwamm denn auch bald in Seligkeit und Bällen, und ihre kurzen Briefchen handelten nur von Festen und Huldigungen. Die ersten begannen noch regelmäßig mit der Frage: „Was sind von Paul für Nachrichten gekommen?“ Dann wurde dies Hauptinteresse in eines der zahlreichen Postskripte verbannt, endlich versiegte es fast gänzlich. Dies beruhigte Frau Laurin außerordentlich, und um so mehr, als sie die Frage gar nicht mehr hätte beantworten können. Die Nachrichten von Paul waren plötzlich ausgeblieben, und Tag auf Tag, Woche auf Woche war vergangen, ohne daß seine Eltern ein Lebenszeichen von ihrem einzigen Sohn erhielten. – Frau Laurin war aufrichtig betrübt für ihre alten Freunde und aufrichtig froh, daß Adas Herz doch nicht allzu fest an Paul Jung gehangen zu haben schien. Sie traf das verwaiste Ehepaar zuweilen auf der Straße, und dann sah sie schon an dem stumpfen, trostlosen Ausdruck ihrer Gesichter, daß noch keine Nachrichten gekommen waren, sparte die stereotyp gewordene Frage und drückte nur schweigend den armen Eltern die Hand. – Dann wurden die Frühlingstage länger und wärmer, ihre Bekannten verließen Wien, und auch sie rüstete sich zur Sommerreise. – Laurins und Jungs pflegten seit Jahren den Sommer und Herbst in Waldeck zuzubringen, wo jede der beiden Familien ein kleines Bauernhaus gekauft und wohnlich eingerichtet hatte. Man reiste an demselben Tage von Wien ab und hielt auch in Waldeck gute Nachbarschaft. Frau Laurin hielt es daher doch für geboten, einige Tage vor ihrer Abreise bei Jungs anzufragen, ob sie diesmal nicht mitgehen wollten. Der Besuch wurde ihr schwer, denn obwohl sie ein gutes Herz hatte, machte sie gewöhnlich lieber einen Umweg, um Unglück nicht zu sehen. Aber sie hätte nicht nöthig gehabt, sich zu ängstigen. Der Diener sagte, die Herrschaften könnten leider niemand empfangen, vom jungen Herrn wären noch keine Nachrichten da. – Am nächsten Morgen erhielt sie ein kurzes Billet von Frau Jung, worin diese meldete, sie würden vorläufig nicht nach Waldeck gehen, aber sie wünschten den Freunden eine glückliche Reise.

Dann war Frau Laurin abgereist und hatte die alten Freunde zuerst lebhaft in Waldeck vermißt. Indessen machte sie dort bald interessante Bekanntschaften. Endlich kam Ada von ihrer Pathe zurück, strahlend von Frische und Lebenslust, und über den lebhaften Erzählungen ihres Lieblings, um den sich auch hier gleich wieder ein huldigender Kreis bildete, wurde der arme Paul fast vergessen.

Da brachte plötzlich die Zeitung die Nachricht, daß die verloren geglaubte Expedition des Doktor Herwig nach unendlichen Mühen und Gefahren doch in Loanda angelangt sei. Die Karawane habe große Verluste erlitten, dieselben wurden besprochen, dann fuhr der Berichterstatter fort: „Doktor Herwig selbst und sein junger Gefährte, unser kühner Landsmann Paul Jung, gedenken, sobald sie von ihren Strapazen wieder hergestellt sind, nach Europa zurückzukehren, wo die Ihrigen sie schon für todt betrauert hatten.“

Laurins erließen sofort ein langes Glückwunschtelegramm an Jungs; doch sah Frau Laurin mit leiser Besorgniß, wie Adas Gesicht glühte, als sie wieder und wieder die Zeitungsnachricht las. An demselben Tage noch schrieb die vorsichtige Mutter an Adas Vetter und treuesten Verehrer, den Lieutenant, und forderte ihn dringend auf, einige Zeit in Waldeck zuzubringen. – Einige Zeit darauf kamen Laurins in der Abenddämmerung von einem Spaziergang um den See zurück. Die Eltern voran, Ada und ihr militärischer Vetter laut plaudernd und lachend hinter ihnen. Da kamen ihnen auf dem schmalen Weg einige Gestalten entgegen, die ihnen schon von weitem bekannt schienen. Als sie näher gekommen waren, rief Herr Lanrin in höchstem Erstaunen: „Das sind ja Jungs!“ – und eilte den Freunden entgegen. „Das nenne ich eine Ueberraschung! Aber weshalb habt Ihr es uns gar nicht wissen lassen, daß Ihr kommt, und seit wann seid Ihr hier?“

„Nicht lange,“ sagte Frau Jung, „Paul hatte großes Verlangen nach Ruhe und Bergluft“ – sie betonte merklich das Wort Ruhe –, „da kamen wir her.“

„Paul – ah, da ist er ja, unser Held! Willkommen, Paul, willkommen daheim, herrlicher Dulder Odysseus!“ und Laurin schüttelte dem nun herangetretenen jungen Mann beide Hände. Ada hatte sich zwischen ihre Eltern gedrängt und stand nun blaß und tiefathmend vor Paul. Da war er – ihr Held! Der weiße Anzug, den er trug, ließ Gesicht und Hände noch dunkler erscheinen, aber das Gesicht war schmaler geworden und zeigte auch im übrigen noch Spuren der überstandenen Leiden und Entbehrungen. Dennoch war Paul unzweifelhaft zu seinem Vortheil verändert, er sah gereifter und männlicher aus. Sein altes freundliches Lächeln hatte er aber noch und es erhellte seine treuherzigen braunen Augen und spielte um seinen Mund, als er jetzt Adas Hand in seinen beiden hielt. Sie fand vor Aufregung keine Worte und erst auf sein theilnehmendes „Wie ist es Ihnen ergangen, liebe Ada?“ sagte sie tiefathmend:

„O, mir – was liegt daran, aber Sie haben solche Gefahren bestanden, lieber Paul; wir haben schreckliche Angst um Sie gehabt!“

Frau Jung lächelte etwas geringschätzig.

„Es sieht von weitem gewöhnlich schlimmer aus, als es ist,“ meinte Paul gutmüthig, „ich erzähle Ihnen wohl gelegentlich davon.“

Frau Jung machte eine leichte Gebärde der Ungeduld. „Paul, ich fürchte, wir halten die Herrschaften auf. – Adieu, adieu!“

„Auf Wiedersehen!“ sagte Ada mit leuchtenden Augen zu Paul, der ihre kleine Hand noch festhielt, und man trennte sich.

Ach, arme Frau Laurin! Als sie spät abends an Adas Zimmer vorbeiging, sah sie zu ihrem Erstaunen noch Licht und öffnete die Thür. Ada saß am geöffneten Fenster mit zurückgelehntem Kopf und sah mit weitgeöffneten strahlenden Augen zu einem Lichtschimmer am jenseitigen Seeufer hinüber. Frau Laurin folgte der Richtung ihrer Augen und sah, daß dieser Lichtschein von dem Jungschen Hause ausging. Als sie kopfschüttelnd ihre Hand auf Adas Schulter legte, fuhr diese zusammen, dann sprang sie stürmisch auf und fiel ihrer Mutter um den Hals.

„Was hast Du Ada?“

„Mutter, Du fragst?“

„Aber Ada, Du hattest ihn ja längst vergessen!“

„Vergessen, Mutter? Etwa weil ich nicht nach ihm fragte, nicht von ihm sprach? O Mutter, ich habe Tag und Nacht an ihn gedacht!“ Und das leidenschaftliche Kind glaubte wirklich in diesem Augenblick alles, was es sagte. „Sei gut, Mutter, freue

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_336.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)