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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Endlich erschien Alfred wieder, von dem Ehepaar Ravenswann begleitet. Er stellte die Damen einander vor und freute sich über die sichere Haltung Germaines.

„Verzeihen Sie nur, daß wir so s-pät herunterkommen, aber Jettchen – ich meine unsere Freundin Frau Doktor Schneider – ist nie zur rechten Zeit fertig,“ sagte Marie, abwechselnd die alte, bescheiden abseits stehende Frau und das junge Mädchen ansehend. Beide schienen ihr zu gefallen, denn ihre Miene und ihr Ton waren weniger steif als sonst Fremden gegenüber.

Ravenswann begrüßte das Fräulein mit schweigsamer Höflichkeit. Ihm waren Fremde, und besonders fremde Damen, ganz egal, er fing erst an, die Leute zu beachten, wenn sie in den Kreis seiner Interessen traten; zu den ihrigen bemühte er seine Gedanken nie.

Als Frau Doktor Schneider dann erschien, strahlte sie aber auch im Glanz eines himmelblauen Sommerkleides, dessen gehäkelte Spitzenverzierung sie selbst gefertigt hatte. Und ihren blonden Locken, die unter einem kleinen weißen Strohhut hervorquollen, sah man es an, daß jede einzeln soeben um ein Lockenholz gewickelt worden war, denn sie lagen wie Röhren übereinander. Das vorstrebende Gesicht der „jungen“ Frau wandte sich mit verbindlichem und neugierigem Lächeln Germainen zu. Auf Herrn Doktor Schneiders Stirn lag noch die Wolke eheherrlichen Zornes über die sich zu lange putzende Frau.

Man stritt hin und her, ob die Damen alle drei auf der einen, die Herren auf der andern Seite sitzen sollten. Frau Marie setzte es durch, daß sie und Germaine mit Alfred zwischen sich die eine Seite einnahmen. Germaine nickte ihrer Alten noch freundlich zu, und dann ging es fort.

Dieser Zwang, seitwärts fahrend mit fünf anderen Menschen in demselben Gefährt zu sitzen, war für Alfred entsetzlich. Obenein sprachen alle durcheinander, wobei sich jedes bemühte, das Räderrollen zu übertönen. Schneider hatte den Kaffee im Hotel sehr gut, Ravenswann ihn sehr schlecht gefunden, denn er fand grundsätzlich außerhalb seines eigenen Hauses alles sehr schlecht. Dann sprach man über die vermuthlichen Preise der Zimmer, erinnerte sich verschiedener Rechnungen anderer Gasthöfe bei anderen Reisen, erzählte Alfred, wo und was man gestern abend gegessen, und fragte, wo er abends zu speisen pflege.

„Aber sehen Sie doch die ‚Fischkultur‘,“ sagte Alfred, auf das reizende, tief im Waldthal traulich eingebettete Haus zeigend, das man eben rechts liegen ließ.

„Wirklich entzückend! Dort werden Forellen gezüchtet? Ich habe gestern abend welche gegessen, aber ich muß sagen, ein Seefisch ist mir lieber, und dann 2 Mark 50 die Portion – wenn ich eine S-peise so theuer bezahlen soll, von der ich nicht einmal satt werde, das macht keinen S-paß mehr.“

Der Weg wand sich durch den Hochwald empor. Saftige Wiesenthäler blinkten zwischen Waldlücken auf. Ein heiterer Himmel blaute und die Straße zeigte in seinem Glanz ihre erhabenen, frommstimmenden Schönheiten.

Das Gespräch im Wagen verstummte doch allmählich. Selbst die verschlossensten Herzen mußten sich dem Zauber der Gegend erschließen.

Nur Marie Ravenswann, die sonst von den vier Reisegenossen noch am meisten Sinn für Natur hatte, beachtete weder Wald noch Thal. In ihrem Kopf brütete sie allerlei Pläne aus. Sie gehörte zu den Frauen, die keinen jungen Mann und kein junges Mädchen nebeneinander sehen können, ohne sogleich die Möglichkeit einer Heirath zwischen beiden zu erwägen. Germaine, die noch keine zehnmal und nur ganz konventionelle Dinge gesprochen hatte, gefiel ihr ungemein. Wahrscheinlich gerade, weil sie weder Geist noch Lebhaftigkeit gezeigt und somit weder Frau Mariens Urtheil noch Widerspruchsgeist herausgefordert hatte; auch bekam Frau Marie nicht das Unbehagen, welches schwerfällig Denkende immer den Leichtbeweglichen gegenüber befällt. Aber natürlich war ihr dies alles nicht bewußt.

Ferner hatte sie wohl bemerkt, daß der Verkehr zwischen Alfred und dem schönen Mädchen freundlich, aber ganz unbefangen ruhig war. Sie hatte scharf aufgepaßt, und es wäre ihr wohl das leiseste verdächtige Wimpernzucken nicht entgangen. Hätte sie Liebe zwischen beiden gewittert, würde es sie feindselig gestimmt haben. Bei ihrer großen Theilnahme für Alfreds Gefährlichkeit und Erziehungsbedürftigkeit fand sie eine Heirath für ihn segenverheißend. Eine ruhige vernünftige Heirath, unter dem rathenden Beistand einer erfahrenen Frau.

Dies stille, bescheidene Mädchen schien ihr wie für ihn geschaffen. Daß es eine Waise war, däuchte ihr nur vortheilhaft. Sie – Marie – würde gern den jungen Hausstand einrichten helfen und Germaine, die gewiß nichts von der Küche verstand, auch zulehren.

Als der Wagen rasselnd durch die langgestreckte Ortschaft fuhr, schreckte Marie aus ihrem Sinnen auf, mit dem fertigen Entschluß, diese Heirath zustande zu bringen, wenn es irgend anginge.

Das Ziel der Fahrt, das Pfeiffersche Badhotel, lag am Ende des Ortes, am Fuß des niedersteigenden Waldes, zwischen diesen und die rauschende Murg eingeklemmt.

Ravenswann und Schneider, die sich im Stillen gefürchtet hatten, ein Dorfwirthshaus zu finden, waren angenehm enttäuscht, zu hören, daß sie in dem großen und vorzüglich geführten Hotel um ein Uhr an einer Table d’hote speisen konnten.

Aber bis dahin war noch eine Stunde. Alfred führte die Herrschaften in den tieferliegenden Garten. Dort, am Ufer, gab es unter ragenden Bäumen genug kühlschattige Stellen.

„Ein idealer Platz,“ sagte Schneider, auf eine herrliche Tanne deutend, unter deren dachartig ausgebreitetem Gezweig ein Tisch und vier Stühle standen, „ideal für eine Skatpartie.“

„Ach ja,“ rief seine Frau, „laßt uns bis Mittag spielen!“

Ravenswann war kein so eifriger Spieler, denn er hörte sich zuweilen gern sprechen, aber er erklärte sich bereit, wenn man hier Karten fände. Schneider hatte die für die Reise mitgenommenen in der Brusttasche seines Rockes. Zwischen den Frauen entspann sich ein Streit der Selbstlosigkeit. Jede wollte der anderen das Vergnügen gönnen. Doch blieb Marie Siegerin; nachdem sie ihrer Freundin zugeflüstert, daß sie doch ab und zu ein Auge auf Germaine und Alfred haben müsse, nahm Frau Schneider gern das Opfer an.

„Ich gucke zu, wenn Ihr s-pielt,“ sagte Marie, „das ist auch sehr unterhaltend.“

Alfred wandelte mit Germaine am Rasensaume des Ufers entlang. Drüben hügelte sich das Land bis zu blauen Waldfernen empor. Die breite Murg kam mit einer plötzlichen Wendung um den bewaldeten Berg, dessen Gipfel das Ebersteinschloß krönte, und sprudelte krystallklar, schaumige Wellchen vorwärts wirbelnd, dahin. Das eintönige, unendliche Geräusch des brausenden Wassers, das gerade hier noch über ein das flache Flußbett schräg durchschneidendes Wehr fiel, tönte durch die Luft wie ein heiteres Lied.

Die Sonne zauberte braungoldige Lichtreflexe auf die bewegliche Fluth. Die schwanken Erlen am Ufer neigten ihr Gezweig hinein, das schnelle Wasser streifte die zarten grünbelaubten Reiser alle in der Richtung stromabwärts, wie der Wind das Laub nach einer Seite streicht.

Germaine seufzte tief auf. Er verstand, was das Seufzen sagen wollte.

„Ja,“ sprach er, „hier ist die Welt himmlisch friedlich und himmlisch heiter. Kein Laut des treibenden Lebens dringt hierher. Es erscheint wie ein Märchen, daß dies Asyl so dicht neben der lärmvollen großen Straße liegt. Eine Stunde von hier – und wir sind wieder auf dem breiten Weg, auf dem die Menschen von Norden nach Süden aneinander vorbeijagen. Sagen Sie es mir hier noch einmal, ob Sie wirklich den Muth haben wollen, aus der Stille Ihres Frauendaseins, das schön und lieblich sein sollte wie diese Landschaft, hinauszutreten in die Welt des Erwerbes, die schmutzig, ruhelos, unbehaglich, fremd ist wie die große Reisestraße, die unfern an diesen Thälern vorbeizieht.“

„Da ich den Muth haben muß,“ sagte sie ruhig, „werde ich ihn finden, wenn ich ihn brauche.“

„Haben Sie an keine, gar keine andere Lösung der Frage gedacht, die uns beschäftigt?“ fragte er und sah sie ernst an.

Auf ihrem Angesicht zeigte sich ein feines Roth. Sie zögerte einige Sekunden. Dann sah sie ihn gerade an, freimüthig und ehrlich.

„Meine Mutter,“ sagte sie, „legte ein zu großes Gewicht auf die Begegnung zwischen uns beiden, sie zeigte eine zu fieberhafte Spannung auf den Augenblick, wo wir uns sehen sollten, als daß ich mir nicht hätte Gedanken darüber machen müssen. Ja, müssen! Es giebt nur eine Erklärung, scheint mir, die, daß unsere Eltern eine Verbindung zwischen uns wünschten. Aber von der Stunde an, wo wir zum erstenmal miteinander sprachen, habe ich begriffen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_343.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)