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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Verlobten nannte. Wenn er es noch nicht war, so konnte doch der flüchtigste Beobachter merken, daß er es bald werden würde.

Ada, strahlend heiter und reizend, trat eben zu einer Gruppe, welche in lebhafter Diskussion begriffen war.

„Ich versichere Sie, daß er unmöglich noch am Leben sein kann, unmöglich!“ rief ein dicker älterer Herr eifrig. „Mein Vetter, der selbst drüben war und die Verhältnisse genau kennt, sagt mir, daß man schon seit Wochen alle Hoffnung aufgegeben hat.“

„Die armen Jungs,“ sagte eine Dame mitleidig, „er ist ja wohl ihr einziger Sohn? Wie glaubt man denn, daß er umgekommmen ist?“

Der Gefragte zuckte die Achseln. „Vermuthlich im Kampfe um Lebensmittel – die schwarzen Herren verstehen keinen Spaß.“

Ada schauerte es leicht; sie wechselte einen Blick mit ihrer Mutter. Diese trat zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: „Sagte ich Dir nicht, Du würdest Frau Jung noch einmal dankbar sein?“

Ada nickte. „Der arme Paul! Ja, Mama, von Herzen dankbar,“ und ihre Blicke flogen zu Günther hinüber, und sie ging ihm entgegen und hing sich mit beiden Händen an seinen Arm, als müßte sie sich seiner lebendigen Gegenwart versichern.

Die alten Jungs saßen im dämmernden Zimmer am Kamin; seit Stunden war kein Wort mehr gesprochen worden. Plötzlich sagte Frau Jung halblaut: „Ernst!“

„Was ist es?“

„Ernst – weißt Du wohl, heute ist unser Hochzeitstag.“

Ein lautes Stöhnen klang aus der Ecke, in welcher der alte Mann saß, Frau Jung stand rasch von ihrem Platz auf, ging zu ihm hinüber und legte die Arme um ihn, sein Kopf fiel an ihre Schulter, und ihre Thränen vereinten sich.

Endlich sagte sie leise: „Wir brauchen doch noch nicht alle Hoffnung aufzugeben, denke nur, wie lange wir damals ohne Nachricht waren!“

Er schüttelte nur den Kopf: „Nicht so lange wie diesmal.“

Aber sie fuhr fort: „Es kann doch ein Brief von ihm in dem verunglückten Schiff gewesen sein! Nicht wahr, das mußt Du doch auch einsehen?“

„Ja, das ist möglich,“ sagte er, dann seufzte er tief, „es ist ja die letzte Hoffnung, glaubst Du, ich könnte die fahren lassen?“

Plötzlich fuhr die Frau empor. „Was war das?“

Er lächelte trübe: „Heute kann kein Brief mehr kommen, arme Anna!“

Aber sie stand hochaufgerichtet, beide Hände auf dem wildschlagenden Herzen. „Dieser Schritt, Ernst, höre nur, Gott im Himmel –“

Da ging die Thür auf, und Frau Jung fiel bewußtlos in die Arme ihres Sohnes!

– – – – – – – – – – – –

Der erste Sturm der Erregung war vorüber gegangen, die Gemüther von Eltern und Sohn hatten sich etwas beruhigt, und nun saßen die drei Hand in Hand vor dem sinkenden Kaminfeuer; Paul erzählte und die Eltern lauschten athemlos. Bei dem Bericht von den überstandenen schrecklichen Gefahren faßte der Vater die abgemagerte braune Hand des Sohnes so fest in seine beiden, als wollte er sie nie wieder loslassen; der Mutter Lippen aber zuckten, und endlich bat sie:

„Heute nichts mehr, lieber Paul! Wir haben Dich – Gott sei ewig Dank – wir haben Dich wieder, und ich vermag es nicht anzuhören, wie nahe wir daran waren, Dich zu verlieren.“

Paul lächelte gutmüthig: „Unkraut verdirbt nicht, Mutter! Aber Du hast recht, es wird Zeit, die Sitzung aufzuheben; – sieh nur, da scheint wahrhaftig schon die Morgensonne ins Fenster! Gute Nacht denn, Vater, gute Nacht, liebe Mutter!“

Die Eltern geleiteten ihn in sein Zimmer.

„Es stand immer bereit für Dich,“ sagte der Vater, „selbst in der schlimmsten Zeit, da wir fast nicht mehr hofften, daß Du es je wieder bewohnen würdest.“

Paul trat lächelnd über die Schwelle: „Und ich habe mir oft gewünscht, das alte Zimmer wiederzusehen, wenn meine Aussichten dazu recht schwach schienen! Also so sieht ein Bett aus? Das hatte ich wahrhaftig beinahe vergessen; nun, ich werde ungewiegt schlafen.“

Die Eltern gingen, und der Vater schlief bald fest. Aber die Mutter fand keine Ruhe; sie schritt durch alle Räume des Hauses und öffnete endlich leise Pauls Thür. Er lag angekleidet auf dem Bett, und in dem voll hereinströmenden Morgenlicht erschienen die energischen Züge des ruhig Schlafenden mild verklärt. Die Mutter fuhr mit leichter Hand über Stirn und Haare des Sohnes, dann stand sie regungslos neben ihm in seinen Anblick versunken, bis die hervorstürzenden Thränen sie blendeten. Da ging sie leise hinaus und sagte vor sich hin: „Ob eine Frau, die ihn wahrhaft liebt, wirklich zu beklagen wäre? Das Glück dieser letzten Stunden ist doch viele Thränen werth!“




Ein Herz und Eine Seele.

Als deine Liebe Frühling war,
Da war es auch meine,
Und Seel’ und Seele ganz und gar
Nur Eine, ganz nur Eine,

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So himmlisch dämmernd alles noch,

Doch alles halb Verhüllung,
Und gegenwärtig alles doch
Und alles doch Erfüllung,

Und alle Welt so göttlich jung,

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Als ob sie ewig bliebe,

Und ewig diese Dämmerung
Des Frühlings und der Liebe.

J. G. Fischer.




Zur Wahl der Sommerfrischen.

Von Prof. Dr. E. Heinrich Kisch.

Wer die langen Wintermonate zwischen den beengenden Mauern der Stadt verbracht hat, sei es in hastender Berufsthätigkeit oder in dumpfem Stubenhocken, dem ist es Bedürfniß, wenigstens einige Wochen der schönen Sommerszeit dem Aufenthalte in Gottes freier Natur zu widmen, der drückenden, staubigen, mit Krankheitsstoffen geschwängerten Stadtluft zu entrinnen und sich in frischer Waldes-, Wiesen- und Bergatmosphäre neu zu kräftigen und zu laben. Wer durch Krankheit ans Bett gefesselt, durch Leiden danieder gedrückt ist, der sieht mit hoffnungsglänzendem Auge dem Zeitpunkte entgegen, da er die verordnete Badereise antreten und an den Heilquellen Gesundung seines Körpers schöpfen kann. Wer sich aber nicht krank und siech, sondern nur matt und überarbeitet fühlt, der bedarf keiner Kur, dem genügt ein schöner Fleck Erde in gesunder freier Gegend – die Sommerfrische.

Es ist ein günstiges Zeichen, wie die richtige Erkenntniß des Wesens der Gesundheitspflege in immer weitere Schichten der Bevölkerung dringt, daß die Zahl der Sommerfrischen und die Ziffer ihrer Besucher in den letzten Jahren in ganz auffälliger Weise gestiegen ist. Milder Wohlthätigkeitssinn und hilfbereite Barmherzigkeit haben in jüngster Zeit sogar an verschiedenen Orten Vereine gegründet, die es sich zur Aufgabe setzen, auch die Kinder der unbemittelten Stadtbewohner der Wohlthat des Landaufenthaltes während der Schulferien theilhaft werden zu lassen.

Welche Orte verdienen nun vom gesundheitlichen Standpunkte aus als Sommerfrischen bezeichnet und empfohlen zu werden?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_352.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)