Seite:Die Gartenlaube (1889) 374.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Wäsche und Kleider selbst anfertigen zu können. Aus Mamas Nachlaß habe ich nur einige liebe Andenken behalten, unter anderem ein Medaillon, in welchem ich zu meinem Erstaunen das Bild Deines Vaters fand, das Mama mir nie gezeigt hatte. Es ähnelt Dir sehr.

Andern Schmuck, der ihr, wie ich weiß, gleichgültig war, ihren Krankenstuhl, ihr Bett, das besonders konstruirt war und immer mit uns reiste, ihre Kleider und andere Sachen habe ich an einen Auktionator gegeben und ein verhältnißmäßig nettes Sümmchen dafür bekommen.

Frau Ravenswann besucht mich oft, es scheint ihr sehr zu gefallen, daß ich alles selbst mache, und sie sagt, das habe sie zum größten Theil auch gethan. Sie spricht merkwürdig viel von Dir und dem guten Einfluß, den sie von mir auf Dich für gewiß erwarte. Sie scheint Dich demnach als bête noire zu betrachten. Sie bietet in allen Dingen ihren Rath an, dessen ich nicht bedarf, da ich seit Jahren gewohnt bin, für mich, die Mutter und unsere Alte zu denken. Auch würde die Befolgung der Rathschläge meist umständlich, kostspielig und veraltet sein. Aber ich höre achtungsvoll und dankbar zu, denn Frau Ravenswann erweist mir eine Güte, die ich noch durch nichts verdient habe, und die ich auch nicht aus einer gegenseitigen Sympathie herleiten kann. Wir sind doch sehr verschieden, haben gar keine gemeinsamen Interessen, und oft kommt es mir vor, als ob ich, das arme Mädchen, welches trotz der vielen Reisen fast ein Einsiedlerleben geführt hat, beinahe eine femme du monde sei gegenüber der reichen Hansestädterin, die schon seit Jahren in Berlin lebt und doch – kleinstädtisch ist.

Zuweilen fordern Ravenswanns mich auch zur Theilnahme an Touren auf. Das ist mir dann stets eine Last, da unterwegs fast nur über Personen und Verhältnisse gesprochen wird, die ich nicht kenne. Allgemeine Fragen erörtern sie nie untereinander, sie gehören zu den Leuten, die nur von Leuten sprechen. Oft wird auch die Skatpartie vom Abend vorher noch einmal durchgenommen, und neulich hätten Assessor Ravenswann und Schneider sich beinahe erzürnt, weil sie über ein falsches Anspiel, dessen Frau Schneider sich schuldig gemacht haben sollte, verschiedener Ansicht waren.

So, lieber Alfred, verlaufen meine Tage. Wenn deren noch acht vergangen sein werden, bin ich Deine Frau. Wie immer auch die kommenden Zeiten mir gütig oder hart sein mögen, immer bin ich
 Deine treueste Freundin Germaine.“


„Frankfurt a. M., den 2. Okt. 1885.

Liebe Germaine! Nur wenige Zeilen, um Dir zu sagen, daß ich morgen in Baden eintreffe, freilich so tief in der Nacht, daß wir uns nicht mehr sehen können. Uebermorgen um elf Uhr vormittags hole ich Dich zum Standesamt ab. Nachher werden wir mit Ravenswanns und Schneiders, sowie mit meinem uns als Zeuge dienenden Notar im Viktoriahotel ein Dejeuner nehmen, welches der letztere in meinem Auftrag bestellt hat.

Hiernach wird uns Zeit bleiben, Dein und mein Gepäck zu vereinen, die Verbindlichkeiten bei Deiner und meiner Wirthin zu begleichen und dann können wir gegen abend nach Berlin abreisen. Wenn es Dir so genehm ist, werde ich Fritz entlassen. Zwei Dienstboten können wir zunächst nicht halten, und Du wirst einen weiblichen Domestiken brauchen.

Ich denke, wir bleiben vorerst in Berlin, in meiner bisherigen Wohnung, die sich um ein Zimmer vergrößern läßt; ich hatte bisher außer Fritzens Kammer zwei hübsche Räume. Zum Frühling will ich mein Kapital flüssig machen, ein Landgütchen kaufen und versuchen, ein tüchtiger Landwirth zu werden. Wenn ich mir nicht vorstelle, daß ich so viel zu thun haben werde, um keinen Augenblick Zeit zum Nachdenken zu haben, meine ich, die Welt sei schaurig leer.

Deine Betrachtungen, liebe Germaine, wie unsere Ehe sich gestalten könnte, haben mir keinerlei neue Bedenklichkeiten mehr erregt. Mein Entschluß steht so felsenfest wie meine Ueberzeugung, neben Dir Ruhe zu finden. Sieh, schon indem ich Dir die obigen praktischen Dinge schrieb, fühlte ich mich als Mensch, der Pflichten, einen Lebenszweck hat. Das war mir wohlthuend. Deshalb bitte ich Dich, nicht mit einer einzigen Silbe mehr darauf zurückzukommen.

Ja, ewig wird mein Herz erbeben, wenn man mich an sie mahnt! An sie! Deshalb schweige ich auf immer von ihr. Wenn sie gelitten hätte wie ich, wenn sie empfunden hätte wie ich – dann würde wohl ihr Herz einen Weg gefunden haben zurück zu mir. Oder wenn sie nicht wollte, wenn ihr trotziger Sinn es ihr verbot, dann hätte sie den geliebtesten, holdesten Boten gehabt. Ihr Kind – den Knaben, den ich liebte, wie man vielleicht kaum ein eigenes Kind liebt – den Knaben, dessen Sonnenschein meine Liebe war – ihn, dessen Erziehung ich alle meine Tage widmen wollte. Schon um seinetwillen hätte sie ihn schicken müssen, mit der Bitte auf seinen süßen Lippen: komm zurück! –

Sie hat es nicht gethan. Ich habe sie ganz verloren. Guter Engel, stelle Du Dich schützend zwischen mich und das Gedächtniß an sie.
 Dein Alfred.“


Der vierte Oktober brachte Unwetter und Regen. Während Alfred sich ankleidete, kämpfte er mit einer seltsamen Lahmheit aller seiner Gedanken, selbst seines Körpers. Ihm war, als sei er müde und wie zerschlagen nach großen Anstrengungen. Der Regen, der gegen die Fensterscheiben schlug und schräge nasse Linien draußen an das Glas zeichnete, machte ihn obenein frösteln. Eine heiße Sehnsucht nach Sonnenschein befiel ihn.

Als Fritz ihm das Frühstück hereinbrachte, widerte ihn zum erstenmal das so lang ertragene freche Gesicht des Burschen an. Er besann sich, daß er ihn wegschicken wolle und daß er heute überhaupt noch viel langweilige Dinge zu ordnen hatte.

„Sie werden alle Sachen packen. Wir kehren mit dem Nachtzug nach Berlin zurück. Bei unserer Ankunft morgen mittag dort sind Sie entlassen,“ sagte er.

„Der Herr irren sich,“ erwiderte Fritz mit der größten Ruhe, „ich stehe auf monatliche Kündigung und somit kann der Herr mir am ersten November zum ersten Dezember kündigen.“

Nun ärgerte Alfred sich.

„Auf monatliche Kündigung, ganz recht. Also heute, am vierten Oktober, kündige ich Ihnen zum vierten November. Da ich Sie aber nicht mehr um mich haben will, bezahle ich Ihnen bis dahin Lohn und Entschädigung für die Wohnung und Beköstigung.“

Er wußte selbst nicht, wie es kam, es brachte ihn außer sich, mit diesem Menschen sprechen zu müssen. Ihm schien’s, als sei in Fritzens Lächeln noch ein neuer Zug von Schadenfreude gekommen, als sei dieser ganz untergeordnete Mensch da sein Feind.

Fritz besann sich.

„Gut,“ sagte er dann, „ich erkläre mich einverstanden. Aber ich möchte dann ersuchen, mich schon am Bahnhof Baden-Baden zu entlassen, vorausgesetzt, daß ich das Reisegeld nach Berlin doch erhalte.“

„Zum Donnerwetter, ja! Und nun scheren Sie sich hinaus!“

Alfred hätte gewünscht, ihm eine Ohrfeige geben zu dürfen. Als er sich nun allein sah, ging er mit hastigen Schritten auf und ab im Zimmer. Er begriff, daß er in dieser Stimmung nicht bleiben dürfe.

Wenn Germaine auch keinen zärtlichen Bräutigam erwartete, einen liebevoll und gütig gestimmten Mann mußte sie finden.

Nach wenig Sekunden hatte er vergessen, daß der Wortwechsel mit dem Diener ihn geärgert, aber seine Stimmung war deshalb nicht sonniger geworden.

Es lag auf ihm wie ein unerträglicher Druck. Aber er dachte weder vorwärts noch zurück. Die eiserne Entschlossenheit, mit welcher er dieser Heirath zugestrebt, glich dem finsteren Fanatismus, mit dem ein Mensch in das Kloster tritt, um von dem trügerischen Glück dieser Welt nicht mehr in Versuchung geführt zu werden. Die Reue, die nachher kommen konnte, wollte er nicht vorausahnen. Der Kämpfe, welche früher gewesen, wollte er sich nicht erinnern. Gar keine Stimmen sollten mahnend bis an sein Herz dringen.

Es schlug zehn Uhr. Er erinnerte sich, daß Germaine ihn um elf erwarte, und daß er noch allerlei brauche, ein Bouquet, einen Wagen. Den letzteren ließ er von Fritz holen und fuhr selbst zum Gärtner. Unterwegs fiel ihm ein, daß es wohl angebracht sei, Frau Mietze eine Aufmerksamkeit zu erweisen, da diese sich Germaines so angenommen. Er bestellte also im Blumenladen, daß man sofort den schönen Strauß, welchen er aussuchte, an Frau Assessor Ravenswann in das Viktoriahotel senden solle. Auf die Karte, die er dazu gab, schrieb er: „Der gütigen Freundin ihr dankbarer Alfred von Haumond.“ Dabei dachte er, daß er nie geglaubt hätte, in Lagen zu kommen, wo er dieser Frau Dank schulde. Auf die Zusammenstellung eines für Germaine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_374.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)