Seite:Die Gartenlaube (1889) 383.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

alte Gebäude – der sogenannte „Oekonomiehof“ – bis heutigen Tags erhalten. Die übrigen wurden im Laufe der Jahre wesentlich erweitert und wiederholt erneuert. So erwies sich nach dem Dreißigjährigen Kriege, der auch die Fürstenschule hart betroffen hatte, ein umfassender Neubau als nothwendig, der allerdings erst 1727 unter Kurfürst August II., der auch eine neue Schulordnung veranlaßte, zu Ende geführt wurde. Den Anforderungen der neuen Zeit aber entsprachen die niedrigen und dunklen Räume nicht mehr, und so wurde denn in den Jahren 1876 bis 1879 nach einem Entwurf des Bauraths Müller in Leipzig ein großangelegter Neubau ausgeführt, dessen gediegene innere Einrichtung für die nüchterne Form seines Aeußeren zu entschädigen sucht.

Nicht entsprechend der erfreulichen Entfaltung des geistigen Lebens und Strebens, das sich nach der Reformation in Meißen infolge der Neugestaltung seines Schulwesens bekundete, zeigte sich das bürgerliche und berufliche Leben. Und wie konnte es auch anders sein! Meißen war in einem bedauerlichen Rückgange begriffen. Die Räume seiner Fürstenburg waren verödet, ein düsteres Bild des Verfalls. In der Zeit, welche dem verschnörkelten Rokokostil huldigte, vermochte man den edlen Formen der Gothik keinen Geschmack abzugewinnen. Auch der Dom, einst der Mittelpunkt eines prunkvollen Kultus, bot ein verändertes Bild; denn die einfachen Formen des evangelischen Gottesdienstes vertrugen sich nicht mit der früheren Pracht. Vor allem aber waren es die Reformationskriege, der Hussitenkrieg, der Schmalkaldische Krieg und besonders der unheilvolle Dreißigjährige Krieg, welche Meißen in seiner Weiterentwickelung lähmten und Handel und Gewerbe, die bis dahin zu erfreulicher Blüthe gelangt waren, fast vollständig danieder warfen. Der Dreißigjährige Krieg allein kostete Meißen „4 Tonnen Goldes“ und machte es fast zur Ruine.

Und so drohte denn der Stadt, die sich von den herben Schlägen aus eigener Kraft kaum zu erholen vermochte, das herbe Geschick, von der hohen Zinne einer fürstlichen Residenz, in der, begünstigt durch fürstliche Huld, einstmals ein kraftvolles Bürgerthum, Wohlstand und Bildung begründet hatte, zum bedeutungslosen Landstädtchen herabzusinken.

Da trat ein Ereigniß ein, das für die Zukunft Meißens und insbesondere für seine industrielle Entwickelung von den weitestgehenden Folgen sein sollte.

Johann Friedrich Böttger, der geniale, leichtlebige Alchimist, der im Dienste des prachtliebenden Kurfürsten August des Starken den „Stein der Weisen“ finden sollte, hatte 1704, unterstützt durch den auf dem Gebiete der Chemie wohl erfahrenen fürstlichen Rath Walter von Tschirnhaußen, das Porzellan erfunden. Bei den riesigen Preisen, welche die chinesischen Porzellane in Europa erlangt hatten – wurden diese doch dem Golde gleich geachtet – war es naheliegend, daß man dieser Erfindung eine hohe Bedeutung beilegte. Nachdem daher eine besondere Prüfungskommission über die fertiggestellten Porzellanwaren ein beifälliges Urtheil abgegeben hatte, beschloß Kurfürst August die Errichtung einer Porzellanfabrik. Als Sitz derselben wurde auf Bitten des Meißner Rathes, welcher sich auf die oben gekennzeichnete Lage der krankenden Stadt berief, die Meißner Albrechtsburg erwählt und hier die Fabrik am 6. Juni 1710 in feierlicher Weise eröffnet.

Das Schicksal der Fabrik, der anfangs Böttger als Leiter vorstand, war bis zu den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ein sehr wechselvolles. Kriegerische Unruhen, finanzielle und technische Klippen bedrohten wiederholt den Fortbestand derselben; aber die opferwillige Fürsorge der sächsischen Fürsten ließ das Werk nicht untergehen. Trotz aller Schwierigkeiten hat sich die Meißner Porzellanfabrik neben dem Ruhm, die älteste Fabrik Europas zu sein, auch ihren künstlerischen Ruf treu gewahrt, und das verständnißvolle und unermüdete Streben der Fabrikleitung, unterstützt durch gediegene Arbeitskräfte, führte namentlich in den letzten fünf bis sechs Jahrzehnten zu einer stetigen Erweiterung und Vervollkommnung des Fabrikbetriebes.

Je mehr sich aber der Betrieb der Fabrik erweiterte und je mehr sich derselbe durch Anwendung von maschinellen Einrichtungen vervollkommnete, um so mehr kamen die architektonischen Schönheiten der Schloßräume in Gefahr, verunstaltet zu werden, und es entsprach daher einem allgemeinen, immer dringlicher werdenden Wunsche, daß die sächsische Staatsregierung im Verein mit den Landständen die Verlegung der Fabrik in besondere, neu aufzuführende Gebäude beschloß. Für die Stadt Meißen war es eine Lebensfrage, daß ihr die Fabrik erhalten blieb. Daher wandte sich eine Abordnung von Meißner Bürgern in diesem Sinne an den König Johann, der denn auch bestimmte, daß die neue Fabrik im Triebischthal auf einem vorzüglich geeigneten, der Erweiterung Raum lassenden Areal, das die Stadtgemeinde der Staatsregierung überließ, errichtet werde. Die neuen Fabrikräume, nach dem Plane des damaligen Fabrikdirektors, des hochverdienten Geheimen Bergraths Kühn, angelegt, wurden im Herbst 1863 bezogen, und seit jener Zeit sind sie wiederholt ganz wesentlich vergrößert worden.

Gegenwärtig beschäftigt die Meißner Porzellanfabrik nahe an 700 Arbeiter, und bei einem jährlichen Warenumsatz von weit über 11/2 Millionen Mark bewegt sich der etatmäßige Betriebsüberschuß zwischen 300 000 bis 400 000 Mark im Jahr.

Das frische, gedeihliche Aufblühen der Meißner Porzellanfabrik in Verbindung mit den reichen und vorzüglichen Thonlagern in der Umgegend Meißens waren für die Gestaltung der industriellen Verhältnisse der Stadt von bedeutungsvollstem Einfluß, denn in diesen Umständen sind in erster Linie die natürlichen Bedingungen zu suchen, die Meißen zu einem so hochwichtigen Mittelpunkte der keramischen Industrie machten. Die Porzellan- und Oefenfabriken Meißens und seiner Vororte beschäftigen insgesammt nahe an 2000 Arbeiter, und ihr gesammter Jahresumsatz beziffert sich auf fast 21/4 Millionen Mark. Das Hauptabsatzgebiet bildet Deutschland; beträchtliche Warensendungen gehen aber auch nach England, Oesterreich-Ungarn, der Schweiz, Skandinavien, Frankreich, Rußland, ja bis nach Amerika und Australien.

Doch kehren wir zur Wiege dieser Industriethätigkeit, zur Albrechtsburg zurück. Nachdem die Schloßräume ihres Charakters als Fabrikräume entkleidet waren, begann, angeregt und gefördert durch den kunstsinnigen König Johann, das höchst nothwendige und von allen Kunstfreunden mit Freuden begrüßte Restaurationswerk, das sich allerdings zunächst nur darauf erstreckte, das Schloß „architektonisch zu reinigen“. Nachdem sich aber die mächtigen Räume, von allen Einbauten befreit, wieder in ihrer alten Erhabenheit zeigten, stellten Pietät und Kunstsinn gebieterisch die Forderung, dem begonnenen Wiederherstellungswerke durch eine künstlerische Ausstattung der Burg einen würdigen Abschluß zu gegen.

Aus dem auf das Königreich Sachsen entfallenden Antheil an der französischen Kriegsentschädigung wurden die hierzu erforderlichen nicht unbeträchtlichen Mittel flüssig, und der sächsische Landtag bewilligte für die Vollendung des begonnenen Werkes 501 900 Mark. Von dieser Summe wurden zunächst 271 900 Mark auf die Herstellung einiger zum Schloßbereich gehörigen Gebäude verwendet. Unter Leitung des Oberlandbaumeisters Hänel wurde ein neuer Thorthurm aufgeführt, das baufällige Kornhaus ausgebessert, ein neuer Verbindungsgang zwischen Kornhaus und Schloß erbaut und in dem „Burgkeller“ eine in gothischem Stile gehaltene und dem entsprechend eingerichtete „altdeutsche Schänke“ geschaffen, von deren Gartenanlagen aus man einen herrlichen Blick auf die Stadt und das obere Elbthal hat.

Die Restsumme von 230 000 Mark diente ganz der Ausschmückung des eigentlichen Schlosses, welche nach dem Plane des Hofraths Dr. Roßmann „die Geschichte der Burg und die Geschichte des fürstlichen Hauses, soweit dieselbe zu der ersteren in Beziehung tritt, in historischen Gemälden, Landschaften und Architekturbildern, sowie in plastischen und gemalten Einzelfiguren“ in fast durchgehends vollendet schöner Ausführung zur Darstellung bringt. Wir dürfen uns auf diese wenigen Angaben beschränken, indem wir den Leser auf einen früheren Artikel der „Gartenlaube“ (Jahrg. 1882, S. 15) verweisen.

Mit der Verjüngung der altehrwürdigen Albrechtsburg ist der freundlichen Stadt Meißen, deren wunderliebliche Lage am belebten Elbstrom, umsäumt von anmuthigen Rebenhügeln, jeden Naturfreund anheimelt und deren oft geschmähte Weine – wenn sie nur den „guten Jahrgängen“ entstammen – auch einem verwöhnten Gaumen behagen, ein neuer kräftiger Anziehungspunkt für den Frendenzufluß geworden. Amtlichen Angaben nach wurde die Albrechtsburg in den letzten vier Jahren von durchschnittlich über 26 400 Personen, die zum Theil aus weitester Ferne hierher gekommen waren, besucht.

Ganz besonders fühlt sich aber der Künstler zu diesem „Ehrentempel

deutscher Kunst“ hingezogen. Was Wunder darum, daß einst ein ganzes Völklein lebenslustiger Jünger der Künste zu Hauf erschien, um sich allhier durch sinniges Spiel und allerlei

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_383.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)