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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


Sie hatte das Recht, hiernach zu erwarten, daß „die Haumonds“, wie sie Alfred und Germaine nun nannte, ihr sofort einen Besuch machen würden, um selbst für die Einladung zu danken.

Richtig erschien auch Germaine schon am folgenden Tag.

„Ich bitte Sie, Alfred zu entschuldigen. Er ist sich vollkommen der Unhöflichkeit bewußt, die er begeht, allein er rechnet auf Ihre freundschaftliche Nachsicht, die Sie ihm so oft bewährt haben. Er ist so in Arbeit vertieft, daß er sich ungern seine besten Stunden durch gesellschaftliche Pflichten zerstört,“ sagte Germaine.

Sie sah noch gerade so aus wie in Baden, worüber Frau Mietze sich wunderte, denn sie hatte immer die naive Vorstellung, man müsse den Menschen jede Veränderung ansehen, und ebenso eine naive Unbescheidenheit, die Leute daraufhin anzustarren.

„Man ist es ja gewohnt, Herrn von Haumond alles immer anders machen zu sehen, als andere Leute es thun,“ sprach Frau Ravenswann spitzig. „Ich hatte gedacht, daß Sie ihn ein bißchen erziehen sollten. Aber morgen abend hat er doch Zeit, uns die Ehre zu schenken?“

Germaine sagte, daß sie so frei sein würden.

Hierauf fand Frau Ravenswann ihren wohlwollenden Beschützerton wieder und fragte:

„Na Kinder, wie habt Ihr es Euch denn eingerichtet, und seid Ihr glücklich?“

Sie betrachtete es als ihr einfaches Recht, von Germaine in alle kleinen Geheimnisse ihres neuen Lebens aufs genaueste eingeweiht zu werden.

„Wir haben uns vorerst gar nicht eingerichtet, sondern bewohnen einige möblirte Zimmer. Alfred denkt, sich auf dem Lande anzukaufen. Und wir haben uns zunächst nur auf Steinwebers Zureden entschlossen, hier zu bleiben, bis Alfred mit der Uebersetzung eines englischen philosophischen Werkes fertig ist. Marbod Steinweber fand das Begonnene zu werthvoll, um es als Bruchstück ungenützt liegen zu lassen,“ erzählte Germaine.

„Ach – auf dem Lande will er sich ankaufen? Das kann reizend werden. Nur ja dicht bei Berlin, dann kommen wir im Sommer immer hinaus. So auf dem Lande zu Besuch sein, ist meine Schwärmerei. Aber sagen Sie doch, wie ist er so als Ehemann – ganz leicht ist wohl nicht mit ihm umzus-pringen. Zeigt er Ihnen auch ein bißchen die Sehenswürdigkeiten von Berlin?“

Germaine wußte wirklich nicht recht, wie sie diese mit ganz gutmüthiger Zudringlichkeit gestellten Fragen beantworten oder abweisen sollte.

„Ich mag nicht ausgehen,“ sagte sie, „wir sind immer zu Hause und jeden Abend kommt Marbod Steinweber.“

„Was? jeden Abend? zu einem jungen Ehepaar? wie unpassend! Ich hätte ihm mehr Zartgefühl zugetraut,“ rief Marie in heller Entrüstung.

„Er ist uns beiden sehr willkommen,“ sprach Germaine, während ihr Gesicht ganz roth wurde.

Was ist denn das? dachte Frau Marie. „Wenn Sie und Alfred denn nicht ohne Marbod S-teinweber sein können, so wird es Sie freuen, daß er morgen abend auch hier ist,“ sagte sie.

Beide wußten nicht mehr, was sie zusammen sprechen sollten. Germaine erhob sich. An der Thür begann Marie nochmals, allerlei zu fragen, nach der Bedienung und der Art, wie sie sich beköstigten, und andern Nebenumständen, die sie allesammt nichts angingen. Zum Schluß betonte sie noch mit einem unausgesprochenen, aber fühlbaren Tadelhinweis auf Alfreds Unhöflichkeit, daß sie, und natürlich ihr Mann mit, morgen vormittag einen Besuch bei Haumonds machen würden.

Wirklich erschienen sie denn auch, beide in ganz feierlichen Besuchsanzügen. Bei diesem Wiedersehen mit Alfred fühlte Frau Mietze sich sehr enttäuscht, denn er kam ihr gerade so „sonderbar“ vor wie früher und ebenso boshaft.

Der Assessor sprach sehr steif und gemessen mit Germaine, Alfred unterhielt Frau Ravenswann. Dabei sah er sie aus seinen hellen durchdringenden Augen mit seinem kältesten Blick an, gleichsam als sähe er sie zum erstenmal und wollte sie ergründen.

„Mein Gott,“ dachte er dabei, „wie elend muß ich gewesen sein, um dieser Frau Freundesrechte an mich und Germaine einzuräumen!“

Und er staunte sie immerfort an.

Dieser Blick ärgerte natürlich Frun Marie um so mehr, als sie ihn nicht verstand. Der Wunsch regte sich in ihr, ihn wieder zu ärgern.

„Wir haben die Offingen in Heidelberg gesehen,“ sagte sie plötzlich, „sie war dort, um für ihr krankes Kind den Professor zu konsultieren.“

Alfred erblaßte so, daß selbst Marie erschrak und es ihr wirklich leid that, den Namen der Baronin genannt zu haben.

Er faßte mit eisernen Fingern die Falten der Tischdecke zusammen, blieb wie athemlos unbeweglich auf seinem Stuhl und hielt die Lider sekundenlang geschlossen.

Er antwortete nichts. Kein Laut, nicht einmal ein Seufzer kam von seinen Lippen.

Germaine hatte den Vorgang wohl bemerkt. Sie wandte sich augenblicklich an Marie mit der Frage, wie sie dieses Zimmer und die Lage der Wohnung finde und ob es ihr – Germainen – nicht gelungen sei, dem Raum einen Anstrich von intimer Gemüthlichkeit zu geben, was allerdings angesichts der furchtbaren rothen Plüschmöbel sehr schwer gewesen sei.

Marie erklärte alles für entzückend und bat, die ganze Wohnung sehen zu dürfen, was Germaine sonderbar, aber nicht zu verweigern fand.

Auch dieser Besuch endete.

Auf der Straße trennte Frau Marie sich von ihrem Gatten und nahm einen Wagen, um schnell zu ihrer Freundin Schneider zu gelangen.

„Denke Dir,“ berichtete sie dieser mit fliegendem Athem, „bei den Haumonds ist es nicht richtig. – Nein, danke; ich kann mich nicht erst setzen; ich muß noch Besorgungen für heut abend machen. Aber ich mußte Dich schnell s-prechen. – Gestern war sie bei mir, sie wird roth, wenn man von S-teinweber s-pricht. Heute war ich da; er wird blaß, wenn man von der Offingen anfängt. Und ich habe ihre Wohnung besehen: er schläft im ersten, sie im vierten Zimmer, dazwischen liegen Eß- und Wohnzimmer. Daß das mindestens komisch ist, mußt Du zugeben.“

Natürlich gab Frau Schneider es zu, aber sie hatte es sich gleich gedacht, daß diese überstürzte Ehe kein Glück bringe. Wer wußte, ob die Offingen ihn nicht mit Vorwürfen oder gar noch mit ihrer Liebe verfolge, und ob die arme junge Frau sich nicht mit Steinweber tröste.

Wenn dem so wäre, meinte Frau Mietze, wollte sie doch als warnende und wachsame Freundin dazwischen treten.

Vorderhand beschlossen sie, zunächst sehr genau aufzupassen.

Und die drei Verdächtigen gaben denn auch am Abend eine Unmenge Stoff zu Bemerkungen.

Erstens kamen sie zusammen an und Marbod erwähnte, daß er Alfred und Germaine abgeholt habe.

Dann zeigte Alfred sich den ganzen Abend von einer übermüthigen Heiterkeit, sprach aber fast nie und dann in ganz alltäglichem Ton zu Germaine. Es gelang den beiden Wächterinnen nicht, nur einen zärtlichen Blick, nur ein Schmeichelwort aufzufangen zwischen Alfred und Germaine.

Wohl aber glaubte Marie zu sehen, daß Alfred zuweilen forschend von Germaine zu Marbod sah, wenn sie, was fast unausgesetzt geschah, zusammen sprachen. Andererseits flog oft ein beobachtender Blick von Germaine zu Alfred, als dieser begann, „auf Tod und Leben die Kour zu schneiden“, und zwar Frau Marien.

Mit einem eifersüchtigen Mann haben Frauen immer Mitleid, mit einer eifersüchtigen Frau niemals.

Marie hielt Germainens Blicke für Eifersucht, fand das albern, denn sie – Marie – hatte Alfred schon gekannt, als er noch gar nicht an Germaine dachte, und bedauerte Alfred von Herzen, denn es war doch offenbar, daß er Grund zur Eifersucht hatte und daß, wenn nicht alles so war, wie es sein sollte, die Schuld an Germaine lag. Sie beschloß, mit Marbod ein ernstes Wort zu reden.

Beim Aufbruch kam ihr Mann ihr zu Hilfe, natürlich ohne von ihrem Vorhaben eine Ahnung zu haben.

„Noch ein Wort, Steinweber,“ bat er, als alle fünf Gäste zusammen sich verabschiedeten.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_414.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)