Seite:Die Gartenlaube (1889) 419.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Köln, Nürnberg etc., deren Organisation und Verwaltung keine Rücksicht auf den nächsten Nachbarn, noch weniger auf das Wohl der Gesammtheit nahmen, sondern nur den eigenen augenblicklichen Vortheil verfolgten. Dadurch, und weil auch die Taxissche Post sich kräftig wehrte, entstand eine heillose Verwirrung. In manchen Städten saßen nebeneinander drei oder vier verschiedene Posten, die einander nichts weniger als gut gesinnt waren, die sich gegenseitig chicanirten und anfeindeten, wo es nur anging. Oefters kam es unter den verschiedenfarbigen Postillonen und Postboten auf offener Landstraße oder im Wirthshause zu Raufereien und Schlägereien, durch welche weder die Sicherheit noch die Schnelligkeit der Beförderung gewinnen konnte.

Der leidende Theil blieb bei alledem das Publikum, welches unmöglich die Bedingungen einer jeden Postanstalt kennen konnte, welches mit seinen Briefen von Pontius zu Pilatus geschickt wurde, weil diese Post nur bis zu dieser oder jener Grenze ging, weil an dieser oder jener Station keine Uebergabe an die Nachbarpost erfolgte, oder auch weil ein Brief zu schwer oder zu leicht war. Das war auch die Zeit des theuren Portos, steckte doch jede Postverwaltung nach dem Vorbild der Taxisschen Reichspost ihren Satz nach Willkür fest; das war die Zeit der langsamen Beförderung und der postalischen Unsicherheit, und so blieben die Zustände des Postwesens bis tief in unser Jahrhundert herein.

Im Jahre 1830 hatten wir in Deutschland nicht weniger als 17 verschiedene „Postbehörden“, die einander nichts angingen, und 31 diesen Behörden unterstehende „Postgebiete“.

In Preußen allerdings, wo der Staat das Postwesen und damit die Verantwortlichkeit für dessen Leistungen übernommen hatte, ward der Postdienst mit Umsicht, Strenge und militärischer Präcision gehandhabt; darum stand die preußische Staatspost auch auf der verhältnißmäßig höchsten Stufe. Aber schließlich war auch Preußen noch machtlos gegenüber der kläglichen Zerrissenheit im übrigen Deutschland. In Frankfurt am Main saß die Generalverwaltung der alten überlebten Thurn und Taxisschen Post fest, auf ihre dreihundertjährigen Rechte pochend. Die andern Verwaltungen wollten sich „Preußen nicht unterordnen“. So blieb denn vorläufig noch der alte Schlendrian bestehen, wo jeder Postinhaber die Post als seine Melkkuh betrachtete, von der er allein Vortheil zu ziehen habe.

Nicht ganz so kläglich, aber immer noch dürftig genug sah es zur selben Zeit mit dem überseeischen Postverkehr aus. Bis zum Jahre 1840, wo das erste Dampfschiff der noch heute hoch angesehenen Cunardlinie Englands überseeische Brief- und Postsachen über den Atlantischen Ocean trug, wurde alles, was sich die alte und die neue Welt gegenseitig brieflich zu sagen hatten, mit Segelschiffen befördert, denen keine Verantwortung für das ihnen anvertraute Gut oblag. Man mußte von Deutschland aus seine Briefe an irgend ein Handelshaus in einem englischen Hafen - meist London - schicken, dort blieben die sich häufenden Briefschaften liegen, bis ein Schiff der Firma die Reise über das Weltmeer antrat und alles mitnahm.

Während des Zeitraumes von 1825 bis 1850 hatten sich die amerikanischen Klipper, schlanke, außerordentlich schnellsegelnde Schiffe, einen berühmten Namen im überseeischen Postverkehr erworben. Sie fuhren zwischen den Hauptplätzen Nordamerikas, New-York, Boston und Baltimore, und den wichtigsten Häfen Europas, London, Liverpool und Havre.

In Deutschland, wo die Schifffahrt noch in den Kinderschuhen steckte, wußte man nichts von den amerikanischen Klippern. Man schickte seine Briefe, wenn man den Umweg über London vermeiden wollte, an eine Bremer oder Hamburger Reederei und ließ es dann darauf ankommen ob der Brief seinen Bestimmungsort erreichte oder nicht. Wenn aber etwa ein deutsches Schiff aus Amerika ankam, dann bekam der Reeder, d. h. der Schiffseigenthümer, die mitgebrachten Briefschaften in die Hände, und es geschah wohl, daß er spät abends noch sein Dienstmädchen mit etlichen hundert Briefen ausschickte. Die mehr oder minder zuverlässige Maid raffte die großen und kleinen, die dicken und dünnen Schriftwerke in ihre Schürze zusammen und begab sich damit von einem Privathaus ins andere.

Sollte man dergleichen jetzt für möglich halte? Nein! Ebenso wenig wie es heute möglich wäre, daß ein Briefträger, der seinen ersten Rundgang in den Vormittagsstunden gemacht hat, die im Laufe des Tages etwa noch eingehenden Briefe mit nach seiner Wohnung nimmt, sie hier auf den Tisch schüttet, von wo sie seine Tochter in ihren Strickbeutel schiebt, um sich damit, „wenn sie Zeit hat“, noch denselben Abend auf die Runde zu begeben. So erzählen sich noch heute die „alten Leute“ in der Stadt Osnabrück, wenn sie der gemüthlichen alten Zeit gedenken, jener Zeit, da Osnabrück wohl mehr als 20 000 Einwohner zählte, aber statt der heutige zwanzig oder dreißig Briefträger deren nur zwei besaß.

Doch in der Stille wachsen die Vorbedingungen zu der alle Kulturstaaten der Erde umfassenden Weltpost. Allmählich, wenn zuerst auch sehr langsam, rückte das Postwertzeichen, die Freimarke, bei den Posten ein. Die Erfindung der Freimarke kam aus dem Königreich Sardinien wo sie schon im Jahre 1819 auftritt, allerdings nicht in der heute gebräuchlichen Form, sondern in Gestalt von Papierstücken, gerade groß genug, um einen gefalteten Brief einschlagen zu können, denen ein Stempel mit dem Portovermerk aufgedrückt war. Diese gestempelten Umschläge waren bei den sardinischen Postämtern käuflich.

Merkwürdigerweise dauerte es sehr lange, ehe der vortreffliche Fortschritt von andern europäischen Ländern angenommen wurde. England erhielt das Postwertzeichen durch seinen großen Postreformator Rowland Hill; die Vereinigten Staaten, die Schweiz, Brasilien, ja selbst – Finnland, sie alle bedienten sich der für Post wie Publikum gleich bequemen Neuerung eher als die preußische Post. In Preußen ward sie 1850 eingeführt. Aus den gestempelten Umschlägen wurden in der Folge die Frankocouverts, und endlich löste sich von diesen die Freimarke, die jetzt sogar im bürgerlichen Leben und Kleinverkehr eine Stelle als Zahlungsmittel sich erworben hat.

Inzwischen war auch die erste Allianz im Postwesen, nämlich der deutsch-österreichische Postvereins-Vertrag, geschlossen worden. Dieser am 6. April 1850 rechtsgültig gewordene Vertrag kann als die erste Grundlage des Weltpostvereins angesehen werden. Seine Prinzipien waren folgende: Herstellung eines großen allgemeinen Postgebietes, gleichmäßige Organisation des Dienstes und der Verwaltung, wohlfeilere, schnellere und sicherere Beförderung, periodisch wiederkehrende Postkonferenzen, Vertretung der deutschen Post in ihrer Gesammtheit dem Auslande gegenüber.

Als dann das Jahr 1866 den Machtbereich des preußischen Staates erheblich ausdehnte und den ganzen Norden Deutschlands unter Preußen als Vormacht einigte, da mußte die Taxissche Post verschwinden. Die 350jährige Gerechtsame des Hauses ward um die Abfindungssumme von 9 Millionen Mark beseitigt und der ganze Apparat, einschließlich der Generalpostdirektion zu Frankfurt am Main, ging an den preußische Staat über, nicht ohne daß die Taxissche Verwaltung noch den Versuch gemacht hätte, sich durch Eingehen auf die Forderungen der Neuzeit zu behaupten. Verwaltung und Dienst, Sicherheit und Schnelligkeit der Beförderung beruhten von da an auf der Präcision des preußischen Regiments.

Auch der überseeische Postverkehr war durch die aufblühende Dampfschifffahrt in ein neues Stadium getreten, man ließ fast bei jedem Wind und Wetter die Postschiffe zu bestimmter Stunde in See gehen. Der Norddeutsche Lloyd arbeitete Hand in Hand mit der deutschen Post und gewährte dadurch die größten Vortheile. Innerhalb des Deutschen Reiches woben die Eisenbahnen immer engere Netze, wodurch der Postverkehr an Schnelligkeit gewann.

Stephan hatte seine erste folgenreiche Idee bereits 1865 der „fünften deutschen Postkonferenz“, die in Karlsruhe tagte, vorgelegt, nämlich ein Memorandum, das zur Erleichterung und Beschleunigung des Postverkehrs die Einführung eines „offenen Briefes in gedrängter Form“ empfahl – die Postkarte. Stephan nannte seine Erfindung „Postblatt“. Er mußte aber fünf Jahre warten, ehe er seine Idee verwirklicht sah. Erst kurz vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges erfolgte endlich seitens der deutschen Postverwaltung die Einführung der „Korrespondenzkarte“. Wie sehr die Post damit einem „längstgefühlten Bedürfnisse“ entgegen kam, erhellt daraus, daß gleich am ersten Tage der Einführung, am 25. Juni 1870, allein in Berlin nicht weniger als 45 000 Stück der neuen Karten verkauft wurden. Noch deutlicher zeigte sich die Trefflichkeit der Postkarte während des Krieges. Sie war es vor allem, welche den Verkehr unserer tapferen Truppen mit den Lieben in der Heimath vermittelte. Durch die Leichtigkeit ihrer Anwendung vermochte der Soldat im

Felde recht oft Nachricht zu senden; ja sogar nach eben beendeter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_419.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2021)