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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Scharfes Läuten kündigte den Zug an. Sie ging, er folgte ihr und stand mit abgezogenem Hut am Coupé.

Die Insassinnen desselben sahen sie respektvoll an. Wer mochte die Dame sein, der ein so stattlicher Mann so demüthig das Geleit gab?

Kühl grüßte sie zurück. Heute hatte sie in ihrem tief verletzten Stolz ihn hinabgedrückt auf die Stelle, die er ihr gestern überlassen hatte: die des untergeordneten Gefolges.

Einen Augenblick sah er noch das edel geschnittene Profil, den stolz geschürzten Mund. Dann brauste der Zug davon. Todtenblaß sah er ihm nach. Endlich wandte er sich um und ging langsam nach dem Museum. Es war zwar noch eine frühe Stunde; aber die Geschäfte drängten; übermorgen schon begann die Ausstellung.

Die eingesandten Gegenstände häuften sich. Bei der Rubrizirung der Alterthümer waren oft ernstliche wissenschaftliche Prüfungen nöthig und noch öfter Korrespondenzen mit Einsendern, die über den ihren Schätzen angewiesenen Platz haderten. Erwin Steffen zeigte auch jetzt die unermüdliche Arbeitskraft und Pflichttreue, die dem gebildeten deutschen Mittelstand von alters her eigen gewesen ist. Aber seine jungen Gehilfen wunderten sich, daß der sonst selbst im ärgsten Tumult so besonnene ruhige Mann jetzt nervös wurde, wenn es galt, die Echtheit eines Wurmstiches in einem zermürbten Betpult festzustellen oder tausend kleine Thonstücke als zu einer Graburne zusammengehörig zu erkennen. – –

„Herr Direktor,“ tönte gegen Abend die Stimme des Architekten in den Saal X hinein, „Herr Kommerzienrath Arion und Fräulein Tochter sind angekommen und wollen den Platz besichtigen, der ihrem Tafelaufsatz angewiesen worden ist. – Ja, wo ist er denn?“

Ellen schritt in ihrer leichten eleganten Art herein, die zum Abbrechen dünne Taille von einem Westchen aus golddurchwirktem türkischen Stoff umspannt, in der kleinen von mattfarbigem Seidengewebe umschlossenen Hand einen Spitzenschirm haltend, dessen Griff ein Hufeisen bildete, aus Silber zierlich gearbeitet, mit goldenen Nägeln versehen.

„Gnädiges Fräulein, er ist verschwunden,“ rief der Architekt klatschesfroh; „eben stand er noch vor dem Purzelmann.“

Ellen war betroffen. Was fand er nur an dem lächerlichen Fratz, den das Riesenweib aus dem deutschen Urwald gebracht hat? Und warum verschwand er wie von der Erde verschlungen in dem Augenblick, als sie das Museum ihres Besuches würdigte? Das war sonderbar. Sie warf dem Götzen einen ärgerlichen Blick zu.

Der grinste ganz huldvoll dagegen, als wollte er sagen: „Ich nehme es nicht übel; Liebesgötter sind gegen Launen abgehärtet.“

Vor dem kostbaren Pokal redete indessen der kleine Moses auf den Kommerzienrath ein. „Soll mir einer sagen, was ’ne Sach’ ist. Der Direktor müßte dastehen, den Hut in der Hand, schon wegen des Pokals, den wir mit Lebensgefahr hier ausstellen. Statt dessen läßt er Sie allein hier herum stehen.“

„Ach Moses, lassen Sie das,“ wehrte der Kommerzienrath, ein stattlicher Herr mit Diamantknöpfen im Chemisette, ab. „Wer mich mit Steinen wirft, den werfe ich mit Brot.“

„Aber Fräulein Ellen braucht sich ihm nicht zu dem Brot an den Hals zu werfen,“ erwiderte giftig das Faktotum.

„Moses, Sie sind unverschämt!“ rügte der Kommerzienrath in klagendem Tone.

„Ich bin nicht unverschämt,“ widersprach der kleine Moses, und seine klugen Augen blitzten energisch. „Aber der Direktor ist unverschämt, daß er mit dem sauer verdienten Geld des Herrn Kommerzienraths will in der Welt herumfahren und den Griechen helfen, ihre alten Steine ausgraben. Herr Kommerzienrath, dieses Geschäft wird nicht groß geschrieben.“

Der Kommerzienrath wand sich in Verzweiflung. „Aber Ellen will es einmal, und ich kann ihr nichts abschlagen!“ seufzte der weichherzige Mann.

„Warum will es Fräulein Ellen?“ fuhr Moses fort. „Weil hier der Direktor des Museums ein großes Thier ist, und weil die Ausstellung ihn hinstellt gleich einem Generalfeldmarschall. Wenn der Schwindel vorbei ist, kräht kein Hahn mehr nach ihm.“

Ellen schritt herein. „Ich möchte nach Hause fahren. Meine Migräne.“ Voll zärtlicher Sorgfalt geleitete sie der Vater hinweg, und Moses nahm, hebräische Worte in den Bart murmelnd, die wie eine Verwünschung klangen, wieder Platz auf seinem Wachtposten.


Endlich war die Eröffnung der Ausstellung erfolgt. Regierungskommissar und Direktor hatten hochinteressante Reden gehalten, und von morgens bis abends strömten die Besucher durch das hohe Portal ein und aus.

In einer Mittagsstunde, als eben der Zug von dem benachbarten Bade her die Stadt passirt hatte, schritt ein junger eleganter Herr mit einem mächtigen blonden Schnurrbart in die gewölbte feuerfeste Halle herein, wo die Arbeiten aus Edelmetallen ausgestellt waren. Sein Blick wurde natürlich von dem Pokal zuerst angezogen. Er trat heran und ein Ausdruck von Ueberraschung flog über seine Züge, da er ihn näher besichtigte. Er sah in dem Katalog nach, schüttelte den Kopf und schaute sich um, als suche er jemand, der Aufschluß geben könnte.

Moses, der jeden Ankömmling scharf beobachtete, kam herbei. „Wünschen Sie etwas?“ fragte er zuvorkommend.

Der Herr tippte auf eines der Wappen. „Können Sie mir sagen, woher der Pokal stammt? Das Einhorn führe auch ich. Sehen Sie?“ Und er zog seine Uhr hervor, die dasselbe Wappen trug.

Moses verbeugte sich tief. Er hatte mit raschem Blick die Grafenkrone entdeckt, die darüber gravirt war. „Der Pokal,“ berichtete er, „wurde vom Herrn Kommerzienrath Arion für fünfhunderttausend Mark gekauft von einer adeligen Familie.“ Er zuckte die Achseln. „Sie hatte vielleicht Unglück gehabt,“ setzte er zartsinnig hinzu.

Der junge Herr lachte. „Wenn sich eine Familie solche Becher anschafft und dann auch vielleicht noch recht oft austrinkt, kann es leicht kommen, daß Wein, Pokal und Familie zum Teufel gehen. Aber fünfhunderttausend Mark? Der Herr Kommerzienrath muß ein reicher Mann sein.“

Moses nickte und zwinkerte bejahend. „Eine Laune seiner einzigen Tochter mit solchem Sümmchen zu befriedigen, ist ihm eine Kleinigkeit. Fräulein Ellen Arion ist eine Dame von feinem Geschmack. Sie war eben noch hier und besichtigt nun die anderen Säle.“

Der Blick des jungen Herrn ging über den kleinen Moses hinweg in die von Fremden belebten Räume. Er grüßte freundlich und doch auf eine Weise, welche den Abstand zwischen dem Grafen und dem kleinen Moses entschieden festhielt, und ging raschen Schrittes in die Säle hinein.

Wie allmorgendlich so auch heute hatte des Direktors erster Weg dem kleinen Götzenbild gegolten. Der Mensch, der etwas Theueres verloren hat, weiht gern seinen Tag damit ein, daß er ein Andenken an das Geschiedene in die Hand nimmt, einen Blick hinüber wirft auf den Lieblingsplatz oder die letzte Ruhestätte desselben.

Und ebenso unabänderlich richtete Ellen ihren Weg dahin, aber nicht in wehmüthigem Schmerz, sondern in immer prickelnderer Empfindlichkeit und Empörung. Während sie in ihrem eleganten Landauer nach dem Museum fuhr, stieg schon heiß die Frage in ihrem Herzen auf: wird er heute wieder vor der geschmacklosen Figur stehen?

Sie ließ ihre Gesellschafterin bei einem Evangelienbuch aus dem elften Jahrhundert zurück und wandte sich dem Saal mit den Denkmalen aus der vorchristlichen Zeit zu.

Ja! Sie erkannte die Hünengestalt schon von weitem. Er stand abermals da. Die winzigen Fußspitzchen stachen förmlich in die alte graue Halle hinein und das Lachen klang scharf, mit dem sie fragte: „Können Sie sich noch immer nicht von dem schwarzen Amor trennen?“

Erwin Steffen fuhr erschrocken herum. „Gnädiges Fräulein –“

Im selben Augenblick klappte von der anderen Seite elastischer Männerschritt über die Steinfliesen heran und eine frische lachende Stimme sprach: „Wahrhaftig, da droben steht das kleine Scheusal!“

Beide wandten sich betroffen nach dem Sprechenden um.

„Herr Doktor Steffen!“ rief dieser nach einem Blick in des Direktors etwas verwirrtes Gesicht. „Ist’s möglich? Mein Lieutenant vom letzten Manöver. Der Name auf dem Katalog kam mir gleich bekannt vor. Aber wie viele Steffen giebt es nicht, und wie viele Lieutenants hat man gehabt!“ Er schüttelte ihm die Hand.

„Herr Rittmeister!“ rief Steffen, sichtlich erfreut. „Was führt Sie hierher? Sie waren doch kein Freund von Alterthümern?“

Der andere lachte. „Der dort führt mich her.“ Und er deutete auf den Purzelmann. „Aber nun – bitte –“ kam er einer neuen Frage, die dem Direktor auf der Zunge zu schweben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_423.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)