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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

schien, zuvor, „wollen Sie mich der Dame vorstellen, die Sie ja, wie es scheint, kennen.“

„Herr Rittmeister, Graf Rossel von Rosselsprung-Steinklipp – Fräulein Arion,“ kam Steffen der Aufforderung nach.

So unbefangen die Miene war, mit welcher der Rittmeister sich verbeugte, – es traf das junge Mädchen doch ein prüfender Blick. Ja, diese pikante Schönheit war ganz chic. Ihre feine, kaum mittelgroße Gestalt erschien sehr graziös in dem schwarzen Promenadenanzug, welcher an den Aermeln und zwischen den lose flatternden langen Rockbahnen ein feuerrothes Unterkleid zeigte. Das energisch geschnittene schmale Gesicht schaute unter einem Hütchen hervor, auf welchem ein Strauß rother Federn keck emporstieg.

„Ich habe soeben das Prachtstück der Ausstellung bewundert, das mit Ihnen, meine Gnädigste, eingezogen ist,“ sprach er, und es klang eine leise Schmeichelei in dem Ton.

Sie antwortete mit dem nachlässig gesprochenen Alltagswort: „Es freut mich, daß der Pokal Ihren Beifall findet.“ Dann wandte sie sich lebhaft zum Direktor und fuhr fort: „Ich werde Ihnen ewig dankbar dafür bleiben, daß Sie uns auf dieses Kunstwerk aufmerksam gemacht und den Ankauf vermittelt haben. Ich kann mich nicht satt daran sehen.“

Der Direktor verbeugte sich stumm. Statt seiner antwortete Graf Rossel: „Damen haben immer eine Schwäche für Gold, Diamanten und Rubinen.“

Sie hob hochmüthig das feine Kinn. Ihre Augen streiften ihn mit einem Ausdruck, als wollte sie sagen: eine echte Offiziersidee. Dann richtete sie wieder ihre Rede an den Direktor. „Wenn ich bei diesem Pokal an etwas Goldenes denke, so ist es das Gesetz des goldenen Schnittes, welches der Jamnitzer mit echt künstlerischer Strenge eingehalten hat. Wie der Deckel, der Pokal, der Fuß zu einander in einem wohl abgewogenen Verhältniß stehen, das ist immer wieder eine Freude zu schauen.“

Sie wartete vergeblich auf Antwort. Der Direktor schien ihre ästhetische Aeußerung nicht gehört zu haben. Er wendete sich an den Rittmeister und fragte: „Wie sind Sie zu der Bekanntschaft mit dem kleinen Erzbild, Purzelmann genannt, gekommen?“

Der Rittmeister sah seinen ehemaligen, so querfeldein redenden Lieutenant scharf an und erwiderte dann lächelnd: „Durch eine schöne blonde Dame.“

„Wie denn das?“ fragte Steffen sichtlich gespannt.

Die Augen des Grafen Rossel blitzten ihn muthwillig an. „Sind Sie eifersüchtig, bester Herr Doktor?“

Eine glühende Röthe schoß in Steffens Gesicht. Zugleich knisterte die schwere schwarze Seide von Ellens Robe, nur leise zwar, aber dem feinen Ohr des Weltmannes ganz vernehmbar.

Er strich sich lächelnd den mächtigen blonden Schnauzbart, wie er zu thun pflegte, wenn er bei Rekognoszirungen mit den scharfen Augen die Positionen überblickte und Gedanken in ihm tagten, wie dieselben etwa genommen werden könnten.

Ohne weiter der raschelnden Seide und der rothen Stirn des Direktors Beachtung zu schenken, sagte er mit seiner kräftigen Stimme, die schallend das Gewölbe füllte und alle beengende Schwüle zu zerstreuen schien: „Die Sache ist nicht der Rede werth. Ich geleitete die junge Dame, die unvorsichtigerweise ohne Kammerjungfer reiste, aus einem Coupé in das andere, da ungezogene Jungen sie um dieses kleinen schwarzen Burschen willen behelligten. Finden Sie auch bei ihm das wohlabwägende Gesetz des goldenen Schnittes beobachtet, mein gnädigstes Fräulein?“ wandte er sich wieder Ellen zu.

Es schien ihm, als habe sich das Gesichtchen unter dem wallenden Federbusch verfinstert. Und jetzt brach es mit unmuthigem Lachen erregt über die schmalen rothen Lippen: „O, der ist abstoßend, kalt, hart! Wie alles, was uns vom Norden kommt.“

„Alles?“ fragte er übermüthig lachend und wandte ihr mit einer leichten Bewegung das Gesicht zu.

Seine herrlich geschnittenen Züge, die feurigen Augen, der liebenswürdige Ausdruck des Mundes schlugen ihr Urtheil in die Flucht. Und so ruhig sie auch dastand in der Haltung der vornehmen Dame, ihr Blick konnte nicht ganz die leise Befangenheit verbergen, die sie in diesem Augenblick empfand.

Graf Rossel war ein ritterlicher Mann; er half ihr über die kleine Klippe hinweg, indem er fröhlich schwadronnirte: „Das ist eine riesige Beleidigung. Herr Doktor, die dürfen wir uns nicht bieten lassen! Ja, wohin ist er? Eben stand er doch noch da?“

Wie oft hatte Ellen diese Worte in den letzten Tagen hören müssen, wenn sie das Museum besuchte. Aber Graf Rossel ließ ihr keine Zeit, sich abermals über dieselben zu ärgern. Rasch und unbefangen fuhr er fort: „Ein netter Mann, dieser Doktor Steffen, nobler Kerl! War auch im Rrrrement gern gesehen. Niemand merkte ihm an, daß er nur Reserveoffizier war. Wahrhaftig nicht! – Und in seinem Fach eine Autorität! Von jedem alten Knopf ist er imstande, die Lebensgeschichte zu erzählen.“

Er lachte laut, und auch sie mußte lächeln. Ihre schlimme Laune verflog unter seiner Rede, sie wußte selbst nicht, warum. Es war ihr, als wichen während derselben die beiden Menschen, durch die sie sich so schwer gekränkt und gedemüthigt fühlte, aus ihrer Sphäre; als höbe eine starke Hand sie über die Zurücksetzungen, die sie in der letzten Zeit erfahren hatte, hinweg und stellte sie auf einen schönen erhabenen Platz, wo dieselben sie nicht mehr erreichen konnten.

„O,“ antwortete sie einlenkend und schmeichelnd, „Sie dürfen mich nicht mißverstehen. Ich meine, der Preuße ist so in der Disziplin und Subordination aufgegangen, daß er auch seiner Phantasie eine stramme Dressur geben will. Was er schafft, kommt ihm nicht unmittelbar aus dem Herzen; er grübelt’s im Kopf aus und darum spricht es auch wieder nur zu unserem Verstand, während das Herz kalt bleibt. Bei den Werken unserer Künstler dagegen meine ich immer, sie haben eine Thräne, einen warmen Händedruck, ein herzfrohes Lachen, einen Jauchzer hinein geschmolzen. Und das ist’s, was freut und rührt.“

„Und Sie glauben, der norddeutsche Liebesgott wisse nichts von allen diesen schönen Dingen?“ fragte er, förmlich sprühend vor Uebermuth. „Sie halten ihn für einen so langweiligen Patron? Von diesem Irrthum müssen Sie bekehrt werden, es koste, was es wolle.“

„Ich bin gespannt, zu erfahren, wie Sie das auszuführen gedenken,“ antwortete sie scherzhaft herausfordernd.

„Ah, der ‚Preuße‘ ist ja gewöhnt, zu“ – er hielt einen Augenblick inne – „zu vertheidigen,“ vollendete er dann.

Da schaute sie ihn mit einem koketten Augenaufschlag an und sagte lächelnd: „Wenn er nicht gerade attackirt.“

Und wie er den Schelmenblick auffing und erwiderte, da bildete sich eine unsichtbare Brücke, auf welcher plötzlich die Gedanken beider sich zusammenfanden; und sie vergaßen, daß sie eine andere und einen andern hier im ehrwürdigen Museum gesucht hatten.

„Die Attacke der Schönheit gegenüber ist verzeihlich,“ erwiderte er mit tiefer Verbeugung.

„Sie ist nur dann entschuldigt, wenn sie glückt,“ antwortete sie, mit ihrem Fächer spielend. „Das Erobern ist gar nicht leicht.“

„Am schwersten ist das Festhalten,“ sagte er und sah ihr in die Augen.

Ihr Gesichtchen färbte sich mit zartem Rosa unter seinem Blick „O, das versteht der Preuße am besten,“ erwiderte sie leise.

Vereint verließen sie heiter plaudernd den kleinen Götzen, der dem jungen Paar auf den Höhen des Lebens mit demselben lustigen Grinsen nachschaute wie der barfüßigen Magd und ihrem Schwämme suchenden Schatz. Er ist einmal ein unverbesserlicher Demokrat.

Sie schweiften zusammen durch die Säle. Und es war sonderbar. Während Ellen neben dem jungen Grafen herschritt, dachte sie gar nicht daran, sich mit dem schwierigen Verständniß eines byzantinischen dürren Heiligenbildes zu mühen. Mit herablassender Miene hörte sie den jungen Architekten an, der ihr von einem Bauplan des Direktors sprach, verhieß dann gütevoll einen Beitrag ihres Papas und befahl, daß an verschiedenen verkäuflichen Kostbarkeiten ihr Name als derjenige der nunmehrigen Eigenthümerin vermerkt werde.

„Es ist eine hübsche Stellung für eine Dame,“ lobte sie Graf Rossel, „als Mäcenin Künste und Wissenschaften zu fördern. So nützen die verschiedenen Stände auch einander. Die Künstler etcetera finden die Unterstützung, welche sie brauchen, die liebenswürdige Gönnerin den künstlerischen Schmuck des Lebens, der ihrem feinen Geschmack unentbehrlich ist.“

Sichtbar von seinen Worten geschmeichelt, flatterte Ellen an allen Merkwürdigkeiten und Kunstwerken vorüber wie einer der zierlichen schwarz und rothen Schmetterlinge, die auch nur an den Blumenkelchen nippen und die schwere Honigtracht den fleißigen Bienen überlassen.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_424.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)