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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

der That war er bei drei erfolgten Einladungen nur einmal versagt gewesen, hatte es aber für angezeigt gehalten, sich mehrmals bitten zu lassen.

„Sind Sie morgen um zwölf Uhr zu Hause, mein gnädiges Fräulein?“ fragte Bendel.

„Ich will einmal nachdenken – was ist morgen um zwölf? Probe?“ begann die Mara.

Bendel verbeugte sich rasch.

„O, ich danke. Wenn Sie erst nachdenken müssen, versage ich mir das Vergnügen. Meine Herrschaften, ich habe die Ehre!“

Die Mara bekam ein dunkles Gesicht und schaute dem hochmüthig Davonschreitenden erschreckt nach.

„Behandeln Sie ihn nicht so hautaine,“ sagte Prasch ärgerlich, denn die Mara war für ihn die Verbindungsbrücke zu dem einflußreichen Bendel, „er ist ein ganz bedeutender Mensch von unantastbaren Gesinnungen. Wirklich anständig. Eine brillante Partie obendrein. Soll ich morgen zu ihm gehen und ihm sagen, Sie lassen ihn doch bitten, zu kommen?“

Mit solcher Freudenbotschaft konnte er dann in einem Athem bitten, eine Notiz über sein Buch zu verfassen.

„Meinetwegen,“ sagte die Mara, der eine solche knappe Abfertigung ganz neu und einschüchternd war. –

Es schlug gerade acht Uhr, als Bendel in das Zimmer der Frau Marie Ravenswann trat, wo er außer dem Ehepaar noch die unvermeidlichen Schneiders traf die, bis über die Ohren hinter Vorurtheilen gegen den ihnen persönlich unbekannten Bendel verschanzt, steif und stumm dasaßen.

Ravenswanns waren auch etwas verlegen. Sie wußten doch nicht recht, welchen Ton sie gegen den fremden Gast anschlagen sollten, mit dem sie wohl in einer Stadt, aber nicht in einer Kultursphäre lebten.

Aber Bendel war nicht die Persönlichkeit, sich durch irgend welche Menschen oder irgend welche Situation die vollkommene Sicherheit und Ruhe seiner Gedanken und Bewegungen rauben zu lassen. Er war im Frack mit dem chapeau claque erschienen; als Ravenswann eine Bemerkung darüber machte und sagte, daß man hier ganz einfach unter sich sei, entschuldigte Bendel sich; er müsse später noch den Jour fixe der Freifrau Hammerburg besuchen.

„Sie verkehren dort?“ fragte Marie, die das Haus dieser Dame unter den ersten der Residenz hatte nennen hören.

„Viel,“ sagte Bendel einfach. „Die Freifrau liebt, wie Sie wissen werden, Wagner sehr. Ich theile diese Idolatrie. Wir finden uns oft in gemeinsamem Wirken für des Meisters Musik zusammen. Ich möchte Ihnen dringend rathen, sich einmal Zutritt zu unseren Konzerten zu verschaffen; dort erst lernen Sie kennen, was man tout Berlin nennt. Es kann Ihrem Gatten durch seine Verbindungen doch nicht schwer fallen, vielleicht gar Mitglied unseres Vereins zu werden.“

Durch diese Erzählung war Bendel den Anwesenden mit einem Male ganz wichtig geworden. Vorher hatten sie sich gewissermaßen vor einander entschuldigt, daß man sich im Grunde nichts vergebe, wenn man auch einmal mit einem Journalisten verkehre, den man ja nicht bei großen Gesellschaften einzuladen brauche. Nun schien er plötzlich sogar über sie hinaufgerückt. Die Mienen wurden heiterer, der Ton traulicher.

„Ich hoffte, Steinweber und Haumond hier zu treffen“ sagte Bendel, als er nachher neben Frau Mietze zu Tische saß.

Tödliches Schweigen legte sich über die Tafel.

„Wir verkehren nicht mehr,“ sagte Ravenswann endlich, sich räuspernd.

„O, das thut mir leid für Sie,“ sprach Bendel mit der größten Unbefangenheit; „beide Männer sind bedeutend, die junge Frau sehr anziehend.“

„Daß sie Verstand haben, spreche ich ihnen nicht ab, nur hat dieser sie doch nicht davor geschützt, sich sehr unverständig zu benehmen,“ erklärte Ravenswann. „Was die junge Frau betrifft, der ich so wenig wie dem besonnenen Steinweber dergleichen zugetraut hätte, so habe ich meiner Frau verboten, sie noch zu empfangen.“

„Sie sehen mich erstaunt,“ rief Bendel, „was ist vorgefallen? Was haben diese drei Menschen begangen, das sie von der Gesellschaft scheiden sollte? Haben sie sich als Nihilisten entpuppt?“

„Die reine Anarchie herrscht wenigstens bei ihnen,“ brummte Schneider.

„Meine Gnädige, klären Sie mich doch auf!“ bat Bendel. Jettchen Schneider schlug die Augen nieder und schüttelte sanft die blonden Locken.

„Ich verstehe nicht, was da vorgeht. Sie müssen wissen, ich habe so jung geheirathet und mein Mann hat meine Seele so sorgfältig davor behütet, die Abgründe kennen zu lernen, die das moderne Leben birgt, daß ich wirklich nicht verstehe, was da vorgeht.“

„Ich will Ihnen sagen, was wir wissen,“ begann Mietze entschlossen. „Es hat mich furchtbar mitgenommen, ich habe so viel von beiden gehalten und so viel für beide gethan. Wirklich, ich hätte besseren Dank verdient, als daß sie mir solche Geschichten machen.“

„Ihnen? So haben sie sich gegen Sie vergangen?“

„Natürlich treffen solche Skandalgeschichten doch auch den Kreis mit, in welchem die Betreffenden verkehrten. Schon unsertwegen hätten sie das nicht dürfen. Denken Sie nur, Haumond und Germaine lassen sich scheiden; die Scheidung wurde schon nach vierwöchiger Ehe eingeleitet. Daß Sie aber davon nichts hörten, begreife ich nicht.“

„Natürlich habe ich das gehört,“ gab Bendel zu, „ich finde das außergewöhnlich, aber weiter nichts. Man löst ein Band, das, wie ich höre, nur zum Schein bestand und nicht einmal in der Kirche gesegnet war.“

„Das ist doch s-tark genug. Die ganze kurze Ehe nur eine Komödie. Ich kann Ihnen sagen, daß es Ravenswann und mir schrecklich genug ist, uns ahnungslos zum Mits-pielen hergegeben zu haben. Aber nicht genug damit: Germaine, diese blonde Heuchlerin, die vor mir so sittig und s-till that, hat eine Liebschaft mit S-teinweber. Sie wollen sich heirathen. Alfred ist bei alledem ein Herz und eine Seele mit beiden. Aber sie hat schon vor ihrer Heirath ein Verhältniß mit S-teinweber gehabt, das weiß ich ganz genau.“

„Von wem?“

„Alle Leute sagen es.“

„Meine Gnädigste,“ begann Bendel und wußte, ohne seinen Ton zu heben, doch seiner Stimme einen eindringlich scharfen Druck zu verleihen, „meine Gnädigste, ich gebe zu, daß alles, was Haumond und Steinweber – meine Freunde, wie sie mir hoffentlich gestatten, sie zu nennen – daß alles, was sie jetzt thun, sehr ungewöhnlich ist. Sie gehen nicht im Geleise des Alltagslebens. Darf ich Sie fragen, ob das Ungewöhnliche als solches, auch ohne Kenntniß der Gründe, Ihnen schon verdammenswerth erscheint?“

„Was sollen da wohl für Gründe sein? Uebers-pannte Menschen sind sie, ohne Moral,“ sagte Mietze entrüstet.

Bendel pflegte sonst nicht mit Leuten zu streiten, die nicht logisch antworteten. Hier aber bemühte er sich, Marien näher zu kommen, die sich von den Anwesenden offenbar für die Nächstbetheiligte hielt und die Unterredung führte.

„Sehen Sie, meine gnädige Frau, ich denke mir so: ein guter Christ und humaner Mensch, der seinen lieben Nächsten etwas scheinbar Unbegreifliches thun sieht, läßt ihn still seine besonderen Wege gehen in der Annahme, daß sich die Gründe der ungewohnten That wohl eines Tages von selbst enthüllen werden. Wenn ich Beweise habe, daß ein Mensch vornehm empfindet und klar denkt – solche Beweise gaben unsere beiden Freunde – gebe ich ihm gewissermaßen moralischen Kredit. Ich glaube an ihn, auch wo ich ihn nicht verstehe. Ich sage mir, es ist eben nicht jedermann gegönnt, gemächlich auf glattem Wege vorwärts zu wandern. Ich wünsche dem Abirrenden eine gefahrlose Wiederkehr auf den ruhigen Pfad. Aber ich hüte mich, ihn anzuklagen, denn seine Gründe können die reinsten und zwingendsten sein, und ich selbst kann nie wissen, ob ich nicht auch eines Tages, wider Wunsch und Willen, mich in Lagen versetzt sehe, wo ich dann der Unverständliche und Ungewöhnliche bin.“

„S-prechen kann man wunderschön über so was,“ sagte Marie erregt, „für einen Junggesellen wie Sie ist es ja auch was anderes, mit so viel bes-prochenen Menschen zu verkehren. Wir mußten es aufgeben, so leid es mir für Haumond that, der es hätte besser haben können. Ich bitte Sie bloß – was für Gründe können da vorliegen?“

Bendel lächelte etwas und ließ seine Phantasie reden.

„Zum Beispiel könnte eine Testamentsbestimmung Alfred auferlegt haben, Germaine zu heirathen, und die Rücksicht auf den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_451.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)