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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

in schlimmen Tagen. Keinem der regierenden Häuser ist es vergönnt, auf eine gleich lange Epoche geschichtlicher und staatlicher Vergangenheit zurückzublicken . . . Wie der einzelne Mensch in dem Kampf von Gegensätzen reift, in welchen das Leben ihn nun einmal gesteckt hat, so beruht der Fortschritt des Menschengeschlechtes darauf, daß die Gegensätze in der Geschichte des menschlichen Geistes und der Völker in eine höhere Einheit aufgehen.“

Zu den Fortschritten des Menschengeschlechtes haben Fürsten und Volk in Sachsen zu allen Zeiten Schulter an Schulter in ernster Arbeit redlich beigesteuert und zu dem „Aufgehen der Gegensätze und der Völker in eine höhere Einheit“ haben die beiden jüngsten der Wettiner Herrscher, der verstorbene König Johann und der regierende König Albert, in hervorragender und das ganze deutsche Volk zu ewiger Dankbarkeit verpflichtender Weise gewirkt.

Das Bewußtsein davon verlieh der Feststimmung eine unaussprechliche Weihe, es war der Grundton, auf den die begeisterten Akkorde des Volksjubels gestimmt waren.

Werfen wir einen Blick auf die Tag und Nacht von freudig erregter Menge belebte Stadt im Schmuck ihres Festgewandes! Da wird es gleich jedem klar, warum Herder recht hatte, wenn er ganz im Geiste Winckelmanns Dresden für alle Zeit auf den Namen „Elbflorenz“ getauft hat. Dem unbefangenen Beschauer macht sich die spezifisch künstlerische Atmosphäre dieser Stadt sofort fühlbar, der tiefer Eingeweihte erkennt „die vorgeschobene Kolonie des Südens, Italiens und seiner Künste“ in ihr. Die dekorirende Kunst hat das Ihrige gethan, diese eigenartigen Eindrücke zu erhöhen.

Daß dem großartigen Fest der Gedanke zu Grunde liegt, die ruhmreiche Vergangenheit im dankbaren Gedächtniß wieder aufleben zu lassen, haben die ausschmückenden Künstler dadurch aufs sinnigste zu veranschaulichen gewußt, daß sie alle Standbilder in der Stadt mit duftig grünenden und blühenden Blumenbeeten umgeben, ja die Plätze stellenweise in förmliche Palmen- und Lorbeerhaine gehüllt haben. Unter allen leuchtet das Denkmal des deutschen Reformators hervor, der, im Festzug nicht vertreten, sozusagen einen Ehrenplatz inmitten eines bewimpelten Mastenwaldes am Neumarkt einnimmt dicht bei dem Pavillon des Königs, dem Mittelpunkt der ganzen Feier. Der Blumenschmuck ist bei dem Luther-Standbild so reichlich ausgefallen, als ob der Rosenmond alle seine Rosen, Lieblinge bekanntlich des Reformators, ihm zu Füßen gelegt hätte. Blumen sind kein allegorischer Schmuck, sie sind lebendige Huldigung, sie sprechen klar und deutlich zu den Sinnen und Goethe hat gesagt: „Wer nicht klar zu den Sinnen spricht, der redet auch nicht rein zum Gemüthe.“ In dem festgeschmückten Dresden spricht diesmal alles klar zu den Sinnen und rein zum Gemüthe. Die herrliche Natur, die überall hereinragt, half Dresden bräutlich schmücken; von welcher der drei großen Elbbrücken aus man die Blicke schweifen läßt, überall Herrlichkeit und Pracht; in solchem Glanz hat Elbflorenz noch niemals gestrahlt. Gäste, die jüngst Rom und Berlin beim Kaiser- und Königsempfang bewundert haben, sagen, daß sie am Tiber und in der Reichshauptstadt kaum so Großartiges zu schauen bekamen.

Wollte man einen Vergleich ziehen mit der Kunstschwesterstadt an der Isar, wo die Wittelsbacher das 700jährige Jubiläum feierten, so würde es wohl daraus hinauslaufen, daß München malerischer, Dresden plastischer zu dekoriren versteht. Das entspricht der künstlerischen Besonderheit beider Städte. Dresden ist heute eine Bildhauerstadt; der Festgast, der von der Augustusbrücke aus den eigenartigen Platz betritt, der von Brühlscher Terrasse, Schloß, katholischer Kirche, Zwinger, Museum, Theater und Elbufer umrahmt wird, fühlt sich sofort im Bann von Plastik und Architektur. Dem weltberühmten Ensemble entsprechend, hat dort zur Jubelfeier die plastisch-architektonische Dekoration sozusagen den Höhepunkt erstrebt.

Zur Ausführung konnte niemand mehr berufen sein als Johannes Schilling. Der berühmte Bildhauer schuf, von seinem Sohn, einem talentvollen Architekten, unterstützt, einen durch Einfachheit und edle Verhältnisse vornehm stilvoll berührenden monumentalen Festschmuck, Malachit-Obelisken mit Kolossalfiguren der Vergangenheit und Gegenwart.

Würdig reihen sich daran die künstlerischen Tribünenbauten auf dem Alt- und Neumarkt.

Der Dresdener Altmarkt hat fast die saalartige Geschlossenheit des St. Markusplatzes in Venedig, er eignet sich daher ganz besonders zu terrassenartig aufsteigenden Langbauten. Der Architekt Adam, vom „Durchbruch“ her in bestem Andenken, hat, diese Eigenthümlichkeit betonend, wahre Prachtbauten von Tribünen geschaffen, die von farbenprächtigen Pavillons mit Baldachinen und Blumenminareten flankirt werden, riesige Makartbouquets scheinen hier in den Lüften zu schweben, während das Siegesdenkmal, die Germania von Henze, aus Fächerpalmen von ganz ungewöhnlicher Größe inmitten des Platzes hoheitsvoll hervorragt.

Auf dem Neumarkt fühlt man sich in die Prunkzeit Augusts des Starken versetzt. Mit dem Königspavillon hat Baurath Weidner etwas Großartiges geschaffen; edelste Renaissance und dabei in der stofflichen Ausstattung mit Velarien, Baldachinen, Goldgrundgobelins, Ornamenten und Bildschmuck so malerisch packend, als hätte die Hand Paolo Veroneses mitgeholfen. Entsprechend reich gehalten sind die von Professor Giese ausgeführte Fronttribünen mit ihren einladenden Pavillons, dem Schmuck der Mauer- und Stadtkrone, den Kuppeln, den blumengefüllten goldenen Vasen, den Zeltdächern, den zahllosen Flaggenmasten und Guirlanden.

Dresden-Neustadt hat auch einen Markt mit dem goldenen Reiterstandbild Augusts des Starken, auch seinem Andenken hat Dresden einen Blumenschmuck ohnegleichen gewidmet. Die Neustädter-Hauptstraße, ein weltbekannter richtiger Boulevard von der Elbe bis zum Alberttheater, gehört zur via triumphalis. Architekt Schubert hat sie durch eine riesige Ehrenpforte mit künstlerisch ausgeführten Velarien, durch Pyramiden und sonstigen farbenprächtigen Straßenschmuck charakteristisch ausgestattet. Einen geradezu pompösen Abschluß findet diese Feststraße in dem halbkreisförmig mit Tribünen versehenen Albertplatz mit der Siegessäule und der von Bildhauer Schulze modellirten Viktoria. Die bekannten Wasserbassins, die nächstens durch Gruppen von Bildhauer Dietz werden verherrlicht werden, bilden geschmackvolle Seitenprospekte.

Der prächtigste aller Triumphbogen aber ist der erste, welchen der Festzug passiren mußte, an der Kreuzung der Prager- und Sidonienstraße.

Hier ragen einzig schöne gelblich abgetönte Marmorsäulen in die Luft und die Velarien (von dem Hoftheatermaler Riek) sind von überraschender Schönheit. Das Ganze bezaubert durch Stilgröße und edle Harmonie, kein Wunder, denn der Entwurf rührt von Baurath Lipsius her, der eben erst von Griechenland zurückgekommen ist und attische Anregung frisch verwerthet zu haben scheint.

Selbstverständlich hat die dekorirende Kunst nicht versäumt, gleich an den Bahnhöfen die Festgäste in monumentaler Weise willkommen zu heißen, selbstverständlich wimmeln alle Plätze und öffentlichen Gebände von statuarischem und bildlichem Schmuck aller Art, ganz Dresden ist einfach ein Festplatz, man sieht vor Triumphbogen, Ehrenpforten, Obelisken, Rostralsäulen, Flaggmasten, Velarien, Baldachinen und zeltbespannten Balkonen, Guirlanden und Blumenranken die eigentliche Stadt nicht mehr.

Dafür aber sieht man Eines überall, das köstlicher ist als all die farbige Herrlichkeit, und das ist die Liebe eines ganzen Volkes, die Treue eines unverwüstlichen echten deutschen Stammes, der sonst kein Aufsehen mit seinen herzlichen Gefühlen fürs große und fürs engere Vaterland zu machen gewohnt ist, heute aber einmal aus sich herausgetreten ist und nun aber auch mit den heißblütigsten Söhnen des Südens in lauten Zeichen der Verehrung wetteifert.

Der fromme Sinn der Wettiner war stets beflissen, Gott vor allem die Ehre zu geben. Daher die eigentliche Wettin-Feier erst mit dem für alle Kirchen des Landes angeordneten Festgottesdienst am Sonntag den 16. Juni ihren Anfang nahm. Die glänzendste kirchliche Feier vollzog sich natürlich in der katholischen Hofkirche zu Dresden, wo der Hochaltar im berühmten Silberschmuck erstrahlte und Bischof Bernert das Hochamt celebrirte. Dazu erklangen das Hassesche Requiem und die achte Messe von Reissiger, durch die königliche Kapelle und den Hofkirchenchor ausgeführt.

Kein Gotteshaus der Welt hat über ähnliche musikalische Kunstunterstützung zu verfügen; Dresdens Hofkirche steht seit anderthalb Jahrhunderten ganz einzig in ihrer Art da. Es war somit ein eigengearteter Ruhmesglanz des albertinischen Hauses, der über dieser Kirchenfeier lag

Schon mehrere Tage zuvor war der außerordentliche Landtag eröffnet worden. Die getreuen Stände nahten nicht mit leeren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_454.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)