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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

armen Kinde wieder ein. Zu meiner Beruhigung schwatzte Herr Lemberg wohl viel von der ‚höchsten Subjektivität‘, von dem Recht des Einzelnen, sich auszuleben, ohne Rücksicht auf lächerliche, zopfige Schranken, aber Magdalene schwieg meistens dazu oder warf nur hier und da ein verwundertes Wort dazwischen, wenn er es gar zu arg machte. Sie sah melancholisch aus, wie auf ihrem Bilde dort –“

Konrad erhebt sich und dreht es schweigend um.

„Träumerisch, als ob sie kaum hörte, was er mit ihr sprach. Er dagegen – nun, seine Beschäftigung gab ihm ja Gelegenheit genug, sie nach Herzenslust in seiner dreisten Art anzustarren. Das Bild war dann fertig und wurde nach seinem Atelier geschafft, wo Sie damit überrascht werden sollten. Er hatte uns alle eingeladen, Sie erinnern sich wohl – Sie holten uns ab und wunderten sich über Magdalenens scheues, erregtes Wesen.“

„Sie war immer kühl und scheu wie ein Vögelchen – ich liebte das so an ihr,“ sagt Konrad.

Miß Sikes nickt. „Dann die Ueberraschung, die Freude, die Sie bei dem Anblick des Bildes hatten. Sie konnten sich gar nicht davon trennen, Sie blieben an der Staffelei stehen und hörten nicht auf, zu danken und zu bewundern. Wir sahen uns unterdessen im Atelier um, und Lemberg zeigte uns die Farbenskizze zu einer Ophelia.

‚Ich erlaubte mir, der ‚holden Maienrose‘ Ihre Züge zu geben,‘ sagte er zu Magdalenen, ‚natürlich nur für mich, nur um einmal den Genuß zu haben, Idee und Ausführung vereinen zu dürfen. – Ich habe es auch schon begonnen,‘ fügte er dann zögernd hinzu und drehte das schöne Bild um, das uns einen Ausruf des Entzückens entlockte, auf den auch Sie zu uns kamen – wissen Sie?“

„Natürlich,“ sagt Konrad, „es ist ein Meisterwerk, Farbe, Stimmung, Technik – alles berückend. Ich konnte ihm nicht einmal zürnen, daß er der Ophelia, die den Stamm der Weide umklammert hält und noch einmal gedankenverloren aufblickt, Magdalenens holde Züge gegeben hatte.“

„Das Bild ist seit heute in der Kommandantenstraße ausgestellt –“

Konrad fährt zurück. Das berührt ihn augenblicklich noch empfindlicher als der erste ungeheure Schlag, der fast betäubend gewirkt hatte.

Er springt auf wie ein Rasender, er schreit, murmelt, Thränen des Zorns strömen unaufhaltsam aus seinen Augen – er ist besinnungslos vor Leidenschaft.

Miß Sikes sitzt regungslos in ihrem Stuhl und läßt den ersten Sturm austoben.

Auch draußen ist das Gewitter losgebrochen. Ein pfeifender Windstoß schüttelt die Bäume, der Straßenstaub wirbelt auf und hüllt in einem Augenblick alles in seinen häßlichen, grauen Mantel. Dann zuckt ein Blitz und gleich hinterher kracht der Donner, als ginge die ganze Welt aus den Fugen.

Muß sie denn nicht auch untergehen – können die Tage in gleicher Weise, mit gleichem Sonnenschein und Regen kommen und gehen; können noch mehr Menschen von Freundschaft und Liebe träumen und jäh aufwachen und Staub und Schmutz das Höchste, Beste umhüllen sehen, was Herz und Seele gleich liebten?

Er lacht häßlich auf, so daß Miß Sikes scheu die Hand auf seine Schulter legt.

Konrad fährt sich über die feuchte Stirn.

„Es war der erste Schreck, Miß Sikes,“ sagt er dann in einem häßlichen ironischen Ton. „Im übrigen, ich bin Advokat und komme oft mit dergleichen Unsauberkeiten in Berührung, Ehescheidungsprozessen und solchen Dingen. – Warum soll ich nicht auch selbst erleben können, worüber ich manche Akten vollgeschmiert habe. Es ist doch alles wahr?“ schreit er plötzlich auf.

Miß Sikes reicht ihm mit thränenüberströmtem Gesicht den Goldring, den er an dem schlanken Finger seiner Braut so oft geküßt.

„Hier einen Brief von ihr. Er ist für einige Tage verreist und stellt sich Ihnen nachher zur Verfügung. Ich habe beide gesprochen. Sie haben von zwingender Leidenschaft geredet, der sie zum Opfer gefallen, – daß sie zu einander gehörten, daß sie sterben würde, wenn Sie auf Ihren Rechten bestünden –“

„Phrasenkram!“ sagt Konrad verächtlich. „Wie hat er wagen können, das Bild auszustellen!“

„Magdalene hat gewünscht, Sie auch äußerlich einer vollendeten, unabänderlichen Thatsache gegenüber zu stellen.“

Konrads Gesicht wird fahl.

„Es war die Veranlassung zu der auch mich niederschmetternden Aussprache. Lemberg wollte heute zu Ihnen, Magdalene aber beschwor ihn mit einer Leidenschaftlichkeit, deren ich sie nie für fähig gehalten hätte, Sie erst nach einigen Tagen zu sprechen, – und ich war schließlich schwach genug, die Aufgabe zu übernehmen, einem Gentleman einen Schlag ins Gesicht zu versetzen. – Sie fleht Sie in diesem Brief wohl um Ihre Verzeihung und um Schonung für ihren Liebhaber an, – sie wurde halb ohnmächtig in dem Gedanken an ein Duell.“

Miß Sikes spricht hastig, ohne Betonung, und sieht mit Blicken voller Todesangst zu Konrad auf, der den Brief in den Händen hält.

„Arme Miß Sikes,“ sagt er, „so wohlanständig in Ihren Gesinnungen, und Sie haben sie so geliebt! – Fürchten Sie nichts – das Eiserne Kreuz, das ich bei Vionville errang, sichert mich vor der Berührung mit einem Schuft, die Sie andeuten. Hier Fräulein von Langendorfs Brief. Ich wünsche, von den üblichen Phrasen verschont zu werden, – ich will von dem Herrn, der mein bester Freund war, nie mehr etwas hören, – ich kenne weder ihn noch seine Geliebte, noch irgend etwas, das auf die beiden Bezug hat. Sie können das gar nicht genug betonen, Miß Sikes. Ich werde Fräulein von Langendorf den Uebergang durch eine Reise erleichtern, die ich sofort antrete. Hier mein Ring, – das Bild und die Briefe des Fräuleins folgen. Ich bitte die meinen unter meiner Adresse in dem Bureau meines Bruders niederzulegen.“

Miß Sikes erhebt sich. Ihre mühsam behauptete Fassung schwindet.

„Shocking, shocking, shocking,“ ächzt sie und schwankt nach der Thür, die Konrad ihr höflich öffnet, seinem Diener den Befehl gebend, der Dame einen Wagen zu besorgen, des heftig strömenden Regens wegen.

„Wollen Sie meine Hand nehmen, Mr. Herrendörfer?“ fragt das alte Mädchen in der Thür.

„Aber gewiß, Miß Sikes,“ sagt Konrad zerstreut, – und dann einer plötzlichen Eingebung folgend, beugt er sich auf die dargebotene Hand und küßt sie. Miß Sikes zieht sie zurück, ergreift dann noch einmal die seinige und drückt sie heftig.

„Leben Sie wohl, Miß Sikes –“ dann schließt sich die Thür hinter ihr und dem schönen Jugendtraum, der nach dem Erwachen einen so schalen, widerlichen Nachgeschmack zurückließ!

Und da war er wieder, dieser böse Nachgeschmack, als Konrad Herrendörfer mit plötzlichem Gedankensprung des Gegenwärtigen gedachte. – Liebte Gertrud Hein ihn denn auch wirklich? Wenn es ihm damals nicht gelungen war, ein Mädchenherz festzuhalten, um das er in stürmischem Jugendfeuer geworben, würde er jetzt in reiferen Jahren, nachdem die eigentliche Jugend vergangen war, Kraft genug besitzen, das so viel jüngere Mädchen für ein Leben an sich zu fesseln?

Bange, beunruhigende Zweifel stiegen in ihm auf. Einen Augenblick flüsterten sie ihm sogar zu: Vielleicht ist Gertrud beeinflußt, vielleicht hat man ihr erzählt, daß du ein wohlhabender, ein reicher Mann bist, – doch nein, wie niedrig, wie widerwärtig war dieser Gedanke, nein und tausendmal nein, es war seine Person, die das junge, liebreizende Geschöpf vom ersten Augenblick angezogen hatte! – und wie ein unverdientes Geschenk kam ihm jetzt ihre warme, reiche Liebe vor, die er mit so inniger Neigung erwiderte.

Er hatte mit einem Gefühl stillen Glücks schon bei ihrer ersten Begegnung empfunden, daß ein wunderlicher Zug zwischen ihm und diesem jungen Mädchen bestünde, ehe sie nur ein Wort zusammen gesprochen hatten.

Sie hatten einander gegenüber gesessen bei der Table d’hote eines Hotels in Sassenitz, sie in größerer Gesellschaft, er ein einsamer Reisender, dem der Zufall den Platz gegeben, den er nun hatte. – Er war dieses Zufalls froh gewesen; das junge Mädchen ihm gegenüber hatte ihm gefallen. Lange war ihm kein so frisches, liebes Gesicht begegnet, in dem sich so viel Erwartung und Lebensfreude aussprachen. Sie war keine Schönheit und doch mehr als das. Je länger er hinblickte, desto deutlicher erkannte er es, und bald schien es ihm, als ob er nichts Reizenderes gesehen hätte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_495.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)