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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

als diese fragenden grauen Augen unter fein gezeichneten dunklen Brauen, dieses frische bräunliche Kolorit und diese Fülle braunen Haares, das der herrschenden Mode entgegen in schweren Flechten im Nacken lag. Eine gelbe Rose war leicht darin befestigt und eine gleiche schloß den hohen Kragen ihres einfachen dunkelblauen Leinenkleides, – sonst trug sie keinen Schmuck. Konrad studirte das alles genau, wie es seine Gewohnheit auch bei andern Personen war, die ihm durch irgend etwas auffielen. Freilich, ein so herzerquickender Eindruck war ihm lange nicht geworden, und er fand nichts, gar nichts an dem jungen Mädchen, worüber er sich hätte aufhalten können.

Sie sprach lebhaft, ohne auffällig zu sein, wurde geneckt und neckte wieder, sah sich die Hotelgäste unbefangen an und amüsirte sich augenscheinlich köstlich. Eben sagte der junge Herr, der bei ihrer Gesellschaft war, gewiß etwas Komisches, denn sie lachte laut und so fröhlich, daß ihrem Beobachter warm ums Herz wurde.

Und da traf ihn ihr Blick – ihr Lachen verstummte, und sie sah noch einmal nachdenklich und erstaunt zu ihm hinüber, dann während der folgenden Gänge nie wieder. Sie war auch nicht mehr so heiter und wußte die Neckereien, die man an sie richtete, nicht mehr so schlagfertig zu erwidern wie vorher.

Liebes, reizendes Geschöpf! Konrad Herrendörfer fühlte ihn wieder in sich lebendig werden, den in der Jugend so unversieglich sprudelnden Quell der mittheilsamen Liebe zu andern. So erklärte er sich anfangs sein Wohlgefallen an dem reizenden Mädchen.

Nach Tisch erkundigte er sich nach seinem Gegenüber: der alte Herr war ein Kollege, ein Jurist aus der nahe gelegenen Provinzialhauptstadt, die alte Dame seine Frau und die junge eine Verwandte. Die übrigen wurden ihm auch mit Namen genannt, doch kümmerten sie ihn nur insoweit, als er den Bekannten irgend eines Bekannten unter ihnen entdeckte, der ihn dem kleinen Kreise vorstellen konnte.

Und dann die folgenden Tage! – Mit Behaglichkeit malt Konrad sie sich jetzt aus, und jeden Ausflug, jedes gemeinschaftliche Mittagessen, jedes Beisammensein mit dem lebensfrischen, klugen, heitern Mädchen, das geradezu belebend auf den fast Blasirten einwirkte.

Ihre Lebensgeschichte hat er bald erfahren. Sie ist einfach genug und spielt sich in engem Kreise in der Stadt ab, die Konrad nun eben aufgesucht hat. Ihr Vater, ein höherer Baubeamter, ist ihre einzige Schwärmerei, die Mutter ist früh gestorben, sie erinnert sich ihrer kaum.

Konrad hört von einem einfachen, aber traulichen Heim, dessen Herrscherin sie ist, von vielen Freundinnen, – von ernsten Studien und heiterer Geselligkeit, und alles, was Gertrud Hein ihm vorplaudert, ist von ungeheurer Wichtigkeit. Das Leben zeigt sich ihm von einer andern Seite, er glaubt wieder an eine glückliche Zukunft, und ehe er sich recht klar geworden ist über alles, was ihn bewegt, spricht er das entscheidende Wort, als er wahrnimmt, daß auch andern das junge Mädchen begehrenswerth scheint wie ihm.

In einen Rausch des Entzückens versetzen ihn wieder die damals gesprochenen Worte Gertruds, Worte, aus denen ihre Liebe zu ihm blickt, wahr und aufrichtig.

Wie so ganz anders als damals!

Und nun faßt ihn von neuem ein unbeschreiblicher Widerwille gegen die Thatsache, daß man dergleichen zweimal erleben kann, – zweimal werben um verschiedene Frauen, – beide gleich werth halten, das Leben mit ihnen zu theilen.

Und wie er sich wieder die Umstände ausmalt, die seine Werbung um Magdalene von Langendorf begleiteten, und alles, was dann folgte und was seither wie ein Wurm an ihm genagt hat, da sagt er sich, mit einer Anwandlung zugleich körperlicher Schwäche, daß selbst sein neues, junges Glück nicht Stich hält gegen die bittere Erfahrung seiner Jugend und die schwermüthige Empfindung, welche die heutige Begegnung, diese Stimme aus der Vergangenheit, in ihm wachgerufen hat.

Aus der frohen, erwartungsvollen Stimmung, die ihn die Wochen seit seiner Verlobung erfüllt hat, fällt er wieder in seine gewöhnliche, halb fühllose, halb düstere Stimmung des blasirten Lebemannes.

Und so geht er hinunter und macht sich einem kleinen Kreise anscheinend gleichgestimmter Herren bekannt, die im Speisesaal zusammen sitzen.

Es ist eine Gesellschaft, an die er gewöhnt ist, ältere Junggesellen, die sich Lebenskünstler nennen, die gastronomische Studien für die einzig wahren halten und für das wahrhaft Edle und Ideale, für Frauenwürde längst das Verständniß verloren haben – und in rücksichtsloser, ja roher Weise wird die Unterhaltung geführt.

Konrad ist nur zu bekannt mit diesem Ton, er ist ihm selbst sogar zur Gewohnheit geworden, wenn auch etwas in ihm sich beständig dagegen aufgelehnt hat. Auch heute nimmt er theil an den Gesprächen, die sich hier wie in seinem Klub in Berlin um dieselben Dinge drehen, er weiß selbst sogar noch gewagtere Schlagworte einzustreuen, um gleich darauf Ermüdung und Widerwillen zu empfinden.

Das Essen ist längst abgetragen, dem neuen Bekannten zu Ehren fließt Sekt, – und die Erzählungen werden so zugespitzt wie nur möglich.

Und Konrad betheiligt sich. Das gewohnte Treiben betäubt das häßliche „shocking“, die sentimentale Auffassung der Dinge, – und er ist ganz wie immer ein kühler, fast ermatteter Zecher, der den Schaum ohne Genuß schlürft, weil er den Becher oft bis auf den Grund geleert hat.

Wer ihn jetzt beobachtet, kann keinen günstigen Eindruck von ihm empfangen.

Und er wird scharf beobachtet, ohne daß er es weiß. Unter den von seiner Gesellschaft – die nicht daran gewöhnt ist, sich vor andern Zurückhaltung aufzuerlegen – nicht beachteten Gästen, die zum großen Theil in Zeitungen vertieft dasitzen, würde ihm vielleicht, wenn er um sich gesehen hätte, der ältere Herr aufgefallen sein, der nach einer kurzen Frage an den Oberkellner in seiner Nähe Platz genommen und ihn fortwährend im Auge behalten hat.

Eine fast ängstliche Spannung spricht dabei aus seinem edlen Gesicht, und je länger er hört, desto düsterer wird sein Blick, und als Konrad gerade eine sehr satirische, mit großem Beifall aufgenommene Bemerkung macht und ein Glas Champagner, dessen Schaum er eben geschlürft, in ein Wasserglas gießt und es sich neu füllt, – da wendet der alte Herr sich mit einer Bewegung des Widerwillens ab und verläßt den Speisesaal.

Das Gelage dauert indessen noch fort, und als nach einigen Stunden Konrad auf seinem Zimmer über den verflossenen Abend nachdenkt, da empfindet er deutlicher als je den bittern Nachgeschmack, dieses leise, aber nachdrückliche Gefühl des Abscheus vor sich, vor andern und vor der ganzen Existenz. – –

(Fortsetzung folgt.)




Friedrich Silcher, der Wiedererwecker des deutschen Volksliedes.

Zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages. Von Benedikt Widmann. Mit Bildniß Seite 485.

Es gab eine Zeit – und zwar liegt sie gar nicht so weit hinter uns – da Kunst und geselliges Leben vielfach zu steifen Formen entartet waren. Die Dichter und Aesthetiker hatten sich von dem idealen, individuellen Leben hinweggewendet, ihre Blicke ausschließlich auf die Wirklichkeit und ihre nüchternen Forderungen gerichtet; es fehlte ihnen an „Herzenseinfalt und Herzensfrische, an Glaube und Liebe, an einer tieferen, alles beherrschenden Idee.“ Eine Gegenströmung konnte nicht ausbleiben. Sie fand sich, nachdem die französische Revolution ausgebrochen und dann der große Weltkrieg entstanden war. In der traurigen Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutschlands war ihm eine frische Jugend herangewachsen. Und in diese Zeit fällt auch die Gründung einer neuen Dichterschule, die man die „romantische“ zu nennen pflegt, die nach Friedrich Schlegel „das tiefste und innerste Leben der Phantasie“ zum Angelpunkte ihrer Dichtungen machte.

Wenn auch zugestanden werden muß, daß dieses Streben vielfach zur bloßen Phantastik führte, daß das Wunderbare oft ohne vollkommene Gestaltung, ohne gehöriges Eingreifen in dem Kreise, in dem es wirken soll, innerlich schlaff und mit unnöthigem Flitterstaat beladen, in den grellsten Farben auftritt, so muß doch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_496.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)