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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

stößt es jenen kläglichen Angstschrei aus, gleichsam Hilfe rufend gegen den räuberischen Bösewicht, dessen spitzes Gesicht mit den tückischen Sehern, umweht von krummen Hahnenfedern, dem des Mephisto gleicht. Jetzt ist die Füchsin auf dem Bau angelangt, legt den Hahn vor die Röhre, drückt ihn mit beiden Vorderläufen nieder und ruft ihre gehorsamen Jungen aus der unterirdischen Behausung. Schnell wie der Blitz sind sie da, die kleinen Unholde, und umkreisen mit gierigen, doch zugleich ängstlichen Gebärden den Raub, denn sie kannten nur Mäuse, lebend und todt, vielleicht auch junge Hasen, hatten aber bis jetzt noch kein Thier von solcher Größe gesehen; und trotzdem die Mama ihnen zeigt, wie sie anfassen sollen, und sie hierzu mit Zeichen und Stimme reizt, wagen doch die jungen Schelme den Angriff auf das so kläglich überlistete Symbol der Wachsamkeit nicht. Um ihre Gier noch mehr anzufeuern, läßt plötzlich die Alte den Hahn los, und dieser, hoffend, daß er jetzt noch seinen blutgierigen Feinden entfliehen könne, springt auf und eilt, mit seinem gesunden Flügel den Lauf beschleunigend, so rasch er kann, aus der Nähe der lüsternen Raubgesellen. Doch das unerwartete Aufspringen des Hahns bringt auf die Jungen eine ganz andere Wirkung hervor, als Mutter Reineke gehofft hatte, denn statt ihm nachzueilen, huschen sie, von Schreck ergriffen, in ihr sicheres unterirdisches Versteck, und nur wiederholtes Rufen der Mama, die nach wenigen Sprüngen den Hahn eingeholt und zurückgeschleppt hat, kann das junge Raubgesindel bewegen, ans Tageslicht zurückzukommen. Nochmals versucht die Alte dasselbe Spiel und jetzt schon mit mehr Erfolg. Reinhard, der seinen Geschwistern an Größe („Stärke“ sagt der Jäger) etwas voraus ist, greift nach einer Schwanzfeder, während die beiden andern, sich drückend, dem entfliehenden Hahn nachschauen. Wieder schleppt ihn die Alte zurück und drückt ihn mit den Vorderläufen nieder, und jetzt greifen alle drei mit spielender Gier in die Federn und halten fest, bis die Alte den armen fast zu Tode gequälten Ritter des Hühnerhofes mit einem Griff auf den Hals abgethan hat.

Reinhard hat den Hals des Hahns gepackt, und rückwärts reißend und schüttelnd zieht er mit aller Kraft, das eine Brüderchen greift nach dem noch zuckenden Beine, das andere reißt sich eine lange Schwanzfeder aus – jetzt ist die ganze Sippe in einen Knäuel zusammengedrängt – da knallt’s zweimal fast a tempo – und Pulverdampf verbirgt unsern Blicken das gestörte Räubermahl, dessen Wirthin jetzt neben dem erlesenen Festbraten liegt, während Reinhard nicht weit davon eben seine junge Räuberseele aushaucht.

Und nun zu unserem Bilde! Dasselbe zeigt eine Füchsin mit einem Theil ihres Gehecks in einer etwas späteren Jahreszeit, Ende Juni oder Anfang Juli. Die Bürschchen sind schon mehr herangewachsen und folgen ihrer Mutter bei gutem Wetter durch Dorn und Dickicht ins Feld, um selbst an der Jagd mit theilzunehmen und ihrer Lehrmeisterin abzulauschen, wie sie mit hoher Nase langsam gegen den Wind dem Geruche eines Mäuschens oder Häschens nachschleichen müssen, um dann mit hohem Bogensprunge, die Luft mit der Lunte triumphirend peitschend, ihr Opfer mit den Läufen nach Art der Katzen zu packen.

Sehnsüchtig schaut die lüsterne Bande hinter dem Gebüsche des Waldrandes hervor nach einem Hasenpaar aus, das vor ihr auf der offenen Heide sich zeigt. Aber das Männchen ist wachsam, es hat die schleichenden Tritte gehört, die emporgereckten Löffel lauschen aufmerksam nach dem verdächtigen Geräusch, und ehe die Räubermutter nahe genug ist, um zum Sprunge ansetzen zu können, hat das aus seinem Abendfrieden aufgestörte Hasenpaar längst das Panier ergriffen, das von ihm seinen Namen trägt, und ist in weiten flüchtigen Sätzen über das dürre Heidegras davongeeilt. Karl Brandt.




Blätter und Blüthen.

Dr. Paul Möbius †. Ein ausgezeichneter Schulmann, der gothaische Oberschulrath Dr. Paul Möbius, ist am 8. Juni in dem lieblichen Friedrichroda in Thüringen, wo er seit langem alljährlich zur Kur weilte, aus dem Leben geschieden, indem er in einem Anfalle geistiger Umnachtung die ihm zu schwer gewordene Bürde des Alters selbst von sich warf. Die große Gemeinde von Freunden, welche Paul Möbius in langer und verdienstvoller Wirksamkeit sich erworben hat, beklagt sein verfrühtes Hinscheiden; aber einhellig wie die Trauer ist die Anerkennung dessen, was er gewesen und bis an sein Ende geblieben: ein durch Güte des Charakters wie durch reiche Geistesgaben ausgezeichneter Mann, ein trefflicher Schulmann und Gelehrter und ein rastlos thätiger Freund der Lehrerwelt und der Jugend.

Paul Möbius wurde am 31. Mai 1825 in Leipzig geboren und war der Sohn des dortigen rühmlich bekannten Astronomen und Mathematikers Professor Dr. A. F. Möbius. In Leipziger Schulen vorgebildet, studirte er von 1844 bis 1848 in seiner Vaterstadt und in Berlin Philologie und Theologie, wirkte alsdann bis 1865 in Leipzig im höheren Schulamt und bis 1869 als Direktor der ersten Bürgerschule daselbst. Am 24. Mai 1869 erfolgte seine Berufung als Schulrath und Generalschulinspektor nach Gotha, und 1880 wurde er zum Oberschulrath ernannt. Am 1. Mai d. J. aber trat er in den Ruhestand, und von dieser Zeit an bemächtigte sich seines Geistes die tiefe Schwermuth, die, rasch wachsend, ihn in den Tod getrieben hat.

Möbius ist Verfasser zahlreicher trefflicher Schriften, von denen wir neben den Volkserzählungen „Ehrhard der Waffenschmied“ und „Der Spieler“, sowie dem Trauerspiel „Bar Cochba“ und den „Alpenerzählungen“ vor allem seine Räthselsammlungen „Sphinx“ und „Die neue Sphinx“ erwähnen müssen. Seine Vorliebe und seltene Begabung für das Räthsel hat ihn auch vielfach mit den Lesern der „Gartenlaube“ in Berührung gebracht; alle Räthselsonette, Charaden etc., welche in den letzten Jahrgängen unter den Namen P. Möbius und M. Paul erschienen sind, haben den nun Verstorbenen zum Verfasser.

Der Heimgegangene war eine hochpoetische Natur und ein Gelehrter im weitergehenden Sinne des Wortes auf manchen Wissensgebieten. Sein Amt als Generalinspektor der Schulen des Herzogthums verwaltete er in liberalem Geiste und bei aller Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt doch nie mit Härte oder Unnachsichtigkeit. Mit tieffühlendem Herzen nahm er an Leid und Freud der ihm unterstellten Lehrer theil, und diese vor allem haben in ihm einen wahren Freund verloren. R. Roth.

Amerikanische Festtage. (Zu dem Bilde S. 489.) Seit fünfzehn Jahren reiht sich in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Kette von Erinnerungstagen aneinander, von Feierlichkeiten, welche dazu bestimmt sind, die entscheidenden und bedeutungsvollen Marksteine in dem großen Unabhängigkeitswerke den um ein Jahrhundert von den Ereignissen getrennten Nachfahren ins Gedächtniß zu rufen. Noch jüngst hat auch die „Gartenlaube“ in ihrer Nummer 9 Veranlassung genommen, auf einen dieser Gedenktage, die Feier der Uebernahme der Präsidentschaftswürde durch ihren ersten Inhaber, George Washington, am 4. März 1789, in Worten der Erinnerung hinzuweisen, und nunmehr ist das letzte Glied der langen Kette angefügt worden, indem in den Tagen vom 29. April bis 1. Mai dieses Jahres die Einführung desselben Präsidenten in die Stadt New-York als Schluß- und Höhepunkt der ganzen Unabhängigkeitsbewegung festlich begangen wurde.

Fast überwältigend war das Bild dieses Riesenfestes in der Millionenstadt, schier endlos der Strom der Hunderttausende, der von allenthalben her sich in die Straßen New-Yorks ergoß, unerschöpflich die Kette der Veranstaltungen, in der Begrüßungs- und Redeakte, gottesdienstliche Feiern, Festmahle und Festbälle, Schiffs- und Militärparaden sich drängten, so daß an die Ausdauer des heutigen Nachfolgers von George Washington, des Präsidenten Harrison, harte Anforderungen gestellt wurden. Den Glanzpunkt des ganzen Festes brachte aber doch der dritte Tag, der 1. Mai. An ihm zog durch die menschengefüllten Straßen der von der Stadt New-York und ihren verschiedenen gewerblichen und Handelsvereinigungen veranstaltete „bürgerliche Umzug“, das Großartigste, was selbst das an massenhafte Schaustellungen gewöhnte New-York bis jetzt gesehen haben dürfte. Volle acht Stunden vergingen, bis alle die zahllosen Vereine, Gewerkschaften etc. mit ihren prächtig ausgestatteten Wagen vor dem Standpunkte des Präsidenten am Union Square vorübergezogen waren, und die 80 000 Menschen, welche in dem Aufzuge Platz gefunden hatten, waren nur ein Theil derer, die sich in patriotischem Eifer zur Theilnahme gedrängt hatten.

Innerhalb dieses Kolossalzuges aber trug nach dem einstimmigen Urtheil der Berichte die deutsche Abtheilung die Palme davon, und zu ihr führt auch unser Bild den Beschauer. Die Idee dieser Abtheilung des Zuges war, zu zeigen, was die deutsche Einwanderung den Vereinigten Staaten an Mitteln der Kultur zubrachte und welche Berufs- und Erwerbszweige hauptsächlich in den Händen der Deutschen sind. Joseph Keppler und der Bildhauer Aloys Löher, die Vorsitzenden des Künstlerkomitees, haben in diesem Zuge eine Meisterleistung vollbracht, insbesondere ist es der letztere, dessen Haupt der das Ganze tragende Gedanke entsprang. Von den beiden Gruppen, welche auf unserem nach Augenblicksaufnahmen von Falk in New-York gezeichneten Bilde sichtbar sind, ist die vordere der Wagen der deutschen Helden des Unabhängigkeitskriegs mit den Generalen von Kalb und Steuben, die Riesenerdkugel gehört der Gruppe der neuzeitlichen Presse an. Ueber ihnen wölbt sich ein gewaltiger, mit den Bildnissen Washingtons und Harrisons geschmückter Triumphbogen, ein kraftvolles Sinnbild der von Jahrhundert zu Jahrhundert sich spannenden Erinnerung.

Saccharin bei Zuckerkrankheit. Um auf mehrfache Anfragen, welche infolge des Artikels „Zuckerkrankheit“ in der Nr. 18 des Jahrgangs 1889 der „Gartenlaube“ gestellt worden sind, zu erwidern, sei erwähnt, daß zum Versüßen der Speisen bei Zuckerkrankheit sich statt des Zuckers das Saccharin empfiehlt, ein von Fahlberg und Remsen dargestellter Körper, der sich durch besonders süßen Geschmack auszeichnet. Das Saccharin bildet ein weißes Pulver, das in kaltem Wasser sehr schwer, in kochendem Wasser oder Alkohol leicht löslich ist. Wie nachdrücklich sein süßer Geschmack ist, geht daraus hervor, daß derselbe noch bei einer Verdünnung von 1 zu 70 000 deutlich hervortritt, während dies bei Rohrzucker nur bei einer Verdünnung von 1:250 der Fall ist. Im Gegensatze zu Zucker übt das Saccharin bei Zuckerkranken keinen ungünstigen Einfluß auf die Zuckerausscheidung und das Allgemeinbefinden aus. Ich lasse bei solchen Kranken gewöhnlich das Saccharin in Verbindung mit etwas doppelkohlensaurem Natron anwenden (Saccharin und doppelkohlensaures Natron je 0,10 Gramm in einer Tablette auf eine große Tasse Thee oder Kaffee). Was die weitere Verwerthung des Saccharins als Ersatz für Zucker im allgemeinen betrifft, so ist das erstgenannte Mittel noch zu neu, als daß ein abschließendes Urtheil abgegeben werden könnte. Die Behauptungen von der gesundheitsschädigenden Wirkung des Saccharins, zumeist von französischen Aerzten ausgehend, sind durch mehrfach vorgenommene Versuche widerlegt worden. Prof. Dr. Kisch.


Inhalt: Nicht im Geleise. Roman von Ida Boy-Ed (Schluß). S. 485 – Gesundheitspflege und Eisenbahnverkehr. Von Dr. med. Taube. S. 488. – Quickborn. Eine Berichtigung. Von Klaus Groth. S. 490. – Schatten. Novelle von C. Lauckner. S. 492. – Sommerlust. Illustration S. 493. – Friedrich Silcher, der Wiedererwecker des deutschen Volksliedes. Von Benedikt Widmann. S. 496. Mit Bildniß S. 485. – Frau Reineke als Lehrmeisterin. Von Karl Brandt. S. 499. Mit Abbildung S. 497. – Blätter und Blüthen: Dr. Paul Möbius †. Von R. Roth. S. 500. – Amerikanische Festtage. S. 500. Mit Abbildung S. 489. – Saccharin bei Zuckerkrankheit. Von Prof. Dr. Kisch. S. 500.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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