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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Der Kanal von Korinth.

Von Dr. E. Engel.

Ob es weise war, die Hauptstadt des jungen Königreichs Griechenland auf der Stätte des alten Athens zu errichten, die Frage ist früher oft aufgeworfen und meist verneint worden. Der außerordentlich schnelle Aufschwung des neuen Athens und nicht minder das Emporblühen seiner Hafenstadt Piraeus haben jedenfalls die ärgsten Befürchtungen zu Schanden gemacht: Athen mit Piraeus sind thatsächlich im besten Zuge, nicht nur zur Hauptstadt Griechenlands und des ganzen „Hellenismus“, nein, auch zur europäischen Großstadt sich auszuwachsen.

Um so hemmender macht sich die große Entfernung Athens von den Brennpunkten der westeuropäischen Welt fühlbar, und je mehr sich der Seehandel zwischen dem Westen und dem Osten Europas, oder gar zwischen Europa und Vorderasien den Piraeus zum Kreuzungspunkt aussucht, desto empfindlicher wird gerade für den Seeverkehr die Entlegenheit des ausgezeichneten griechischen Hafens und desto störender der Uebelstand, daß derselbe auf der Fahrt von Westen her erst nach einer beschwerlichen, ja oft gefährlichen Umsegelung der peloponnesischen Halbinsel zu erreichen ist.

Die ungünstige Lage des Piraeus hat denn auch schon im Alterthum Bestrebungen hervorgerufen, den Seeweg dorthin abzukürzen, und ein Blick auf die Karte zeigt, daß dazu weiter nichts nothwendig ist, als die Durchstechung des schmalen Bandes, welches Nordgriechenland mit dem Peloponnes vereinigt. Nur reichten die Mittel Athens, der einzigen für solche großgriechischen Pläne berufenen Macht, nicht zur Durchführung hin, und an eine gesammtgriechische Betheiligung an einem solchen, in erster Reihe ja doch Athen zu gute kommenden Werke war bei der Zersplitterung des alten Griechenlands in eifersüchtige Kantone und Kantönli nicht zu denken.

Erst als Rom seinen erobernden Arm auch über Griechenland ausgestreckt hatte, wurde der Kanal von Korinth zu einer unabweisbaren politischen Nothwendigkeit. Er hätte ja die gerade, kurze Verbindungslinie hergegeben zwischen Italien und Griechenland und weiter nach den römischen Provinzen in Vorderasien. So waren es denn wesentlich Gründe der militärischen Sicherheit des gesammtrömischen Reiches, die einen der nichtsnutzigsten römischen Kaiser bewogen, mit schneller Entschlossenheit an das große Werk zu gehen.

Mit 6000 jüdischen Arbeitern wurde der Durchstich der korinthischen Landenge unter Nero begonnen. Zunächst trieb man eine genügende Zahl von Bohrlöchern, in Abständen von etwa 1000 Fuß, in den Boden, um sich von der Art des Gesteins zu überzeugen, durch welches man in die Tiefe zu dringen haben würde. Die Bohrlöcher sind fast sämmtlich heute noch gut erhalten und geben uns ein deutliches Bild von der Linie, welche Neros Ingenieure für den Kanal ausgewählt. Sie hatten die Gesteinsart, die Bodenerhebungen, die Meeresströmungen so vorzüglich studirt, daß noch heute, nach 1800 Jahren, die jetzige Kanalbaugesellschaft nichts Besseres zu thun wußte, als einfach dem alten Zuge des Neronischen Kanalplans zu folgen, nachdem man mehrere Jahre mit Vermessungen und Bohrversuchen hingebracht hatte.

Nero mußte sein Werk bald nach dem Beginn unterbrechen, weil es in Italien dringendere Geschäfte gab und seitdem ist es liegen geblieben bis zum Anfang der achtziger Jahre unseres Jahrhunderts. Der General Stephan Dürr ist es, dem Griechenland und überhaupt die Länder, die mit Griechenland in Handelsbeziehungen stehen für die Vollendung des gewaltigen Werkes zu danken haben werden. Man hat ihn einmal vor 41 Jahren zum Tode verurtheilt wegen seiner Theilnahme an der ungarischen Revolution, hat ihn aber nicht hängen können, weil man ihn nicht hatte. In Italien fand der ausgezeichnete Offizier die freundlichste Aufnahme und hat es beim König Viktor Emanuel bis zum General und zu des Königs persönlichem Adjutanten gebracht. Mit den Jahren hat sich sein revolutionäres Feuer besänftigt, aber ganz erloschen ist es nicht. Er revolutionirte nach wie vor, aber er hatte es dabei nicht mehr aus politische, sondern auf friedliche Umwälzungen des großen Völkerverkehrs abgesehen, und diese gelangen ihm auch besser als seine früheren revolutionären Heldenthaten. Zuerst hatte er sein Augenmerk auf den Kanal von Panama gerichtet da es ihm aber nicht gelang, das ungeheure Kapital aufzubringen, so stand er von jenem Riesenunternehmen nicht ohne Bedauern ab, warf sich dafür aber mit verdoppelter Thatkraft auf die Ausführung des korinthischen Kanals.

Zunächst bildete General Dürr mit Unterstützung französischer Geldmänner eine Internationale Gesellschaft für den Seefahrtskanal von Korinth“, d. h. eine Aktiengesellschaft welche das nöthige Geld, die Kleinigkeit von 35 Millionen Franken hergab. Diese Gesellschaft schloß sodann einen Vertrag mit einer zweiten Gesellschaft, die sich verpachtete, für 24 Millionen Franken den Kanal innerhalb 8 Jahren herzustellen und betriebsfähig zu übergeben, natürlich immer unter der Ueberwachung der ersten Gesellschaft, die sich von der Tüchtigkeit der geleisteten Arbeit zu überzeugen oder Verbesserungen zu verlangen das Recht hat. Im Beisein des ganzen Hofes, der Minister und zahlreicher eingeladener Gäste that der König Georgias von Griechenland den ersten Spatenstich zu dem Kanal am 10. April des Jahres 1882. Unsere Abbildung bietet eine von Norden her gesehene Skizze des Geländes, durch welches der Kanal führt, und verdeutlicht die Lage der wichtigsten Punkte am Kanal selbst und an seiner Umgebung.

Leicht ist die Arbeit nicht, trotz der anscheinenden Niedrigkeit des Erd-Rückens, durch den man sich von Meer zu Meer hindurchwühlen muß. Von Akrokorinth aus gesehen, sinkt die Landenge scheinbar zur Bedeutungslosigkeit eines Feldrains herab, und man glaubt es kaum, wenn man liest, daß selbst die flachste Kanallinie eine Bodenerhebung von 78 Metern zu durchbohren hat. Aber außer dieser beträchtlichen Höhe hat die Arbeit auch mit der Schwierigkeit des Gesteins, und zwar auf eine nicht unbedeutende Länge, zu kämpfen. Die Geologen werden einst ihre Freude daran haben, wenn die Kanalgesellschaft ihre schöne geologische Karte des Isthmus veröffentlicht! Die Natur hat auf diesem kleinen Raum einen wahren Höllenfandango getanzt und alle nur irgend vorkommenden Gesteinsarten sind hier bunt durcheinander gerüttelt und gequetscht. Es ist hier richtiges Erdbebenland, und sollte dem Kanal jemals eine ernste Gefahr drohen, so dürfte sie nur aus den Tiefen der Erde kommen. Auch jetzt grollt und schüttert es in ihren Eingeweiden jeden Monat im Durchschnitt zweimal, leichte Stöße, von denen man gar kein Aufhebens macht, die so hingenommen werden wie anderswo ein heftiger Gewitterregen.

Die größte Tiefe, die bei der angenommenen Kanallinie erreicht werden muß, liegt wie gesagt 78 Meter unter der höchsten Erhebung am Ufer des Kanals.

Unglücklicherweise ist gerade diese Stelle, in der Mitte des Isthmus belegen, festes Gestein, und ihre Aussprengung hat Millionen und Millionen verschlungen, und diese Umstände haben gerade in der letzten Zeit zu bedenklichen Störungen der Arbeiten, ja zur zeitweisen gänzlichen Einstellung derselben geführt. Das feste Gestein bildet überhaupt nahezu die Hälfte der ganzen Kanalmasse, nämlich 3 Kilometer Länge, während der Kanal von Meer zu Meer 6350 Meter mißt. Die Masse des auszusprengenden Gesteins und der fortzuschaffenden Alluvialschichten beträgt rund 9 Millionen Kubikmeter! Die Tiefe des Kanals nach der Vollendung wird 8 Meter betragen, somit auch den größten Schiffen die Durchfahrt gestatten. Da ferner die Eisenbahnbrücke der Linie Piraeus-Patras 80 Meter hoch über dem Wasserspiegel hinüberführt, so braucht auch der höchste Mastbaum der Erde bei der Durchfahrt nicht verkürzt zu werden.

Von überall her hat die Gesellschaft ihre Arbeiter kommest lassen müssen, denn die Griechen sind nun einmal keine Wegebauer, überhaupt keine ausdauernden Erdarbeiter. Sie bestellen im Schweiße ihres Angesichts ihren steinigen Weinberg und ihr Ackerfeld, aber sie eignen sich nicht für den Bau von Straßen und Kanälen. Außer wenigen Wasserarbeitern sind nur Aerzte, Apotheker, Lazarethgehilfen, Aufseher u. dergl. Nebenpersonal eingeborne Griechen.

Die eigentlichen Kanalarbeiter kommen von anderwärts her. Da sind zunächst die wichtigsten von allen die Montenegriner, die Bohrer und Minensprenger, hohe, schlanke, dabei muskelkräftige Gestalten mit Schultern von fast zwei Drittel Meter Spannungsweite, und mit Fußknöcheln, stark wie die eines Pferdes. Ich habe sie bei meinen wiederholten Wanderungen über den Isthmus nicht ohne Schaudern an den schwindelsteilen Böschungen des Kanals auf winzigen Vorsprüngen stehen und die Spitzhacke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_508.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)