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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

ohne zu beachten, daß diese unzuverlässig ist, da das Licht in dem giftigen Schwefelwasserstoffgas weiter brennt; sie ist auch nicht unbedenklich, da die Grubengase oft entzündlich sind und die plötzlich aufsteigende Lohe die Retter verbrennen kann. Man muß sich darum mit anderen Mitteln behelfen, wie z. B. durch Herablassen und schnelles Wiederheraufziehen eines aufgespannten Regenschirmes eine starke Luftbewegung in der Grube zu erzeugen suchen; es wird auch Hineinschütten von vielem Wasser oder von Kalkmilch, welche die Gase bindet, empfohlen; aber alle diese Mittel sind nur halbe Maßregeln. Die rascheste und sicherste Hilfe wird von einem Retter gebracht, der in eine solche Grube mit dem Athmungsschlauch oder Luftzubringer ausgerüstet hinabsteigt. Ja, solche Athmungsschläuche gestatten überhaupt ein gefahrloses Reinigen derartiger verpesteter Räume.

In wie vielen Gemeinden ereignen sich nicht solche Unfälle, aber in wie vielen sind Athmungsschläuche nur vom Hörensagen bekannt!

Auf Schritt und Tritt erfahren wir auf der Ausstellung, in wie verständnißvoller Weise der Scharfsinn der Erfinder die Gefahren zu mildern verstand, die uns inmitten der neu geschaffenen Kultur bedrohen. Wir besitzen ein ganzes Rüstzeug, und es liegt nur an uns, es richtig zu verwerthen und wo möglich zu verbessern. Man wird die Unfälle nicht gänzlich aus der Welt schaffen können, aber gewiß liegt es in unserer Macht, ihre Zahl zu mindern. Und es ist noch so viel auf diesem Gebiete zu thun! Die Ausstellung giebt jedermann Gelegenheit, über wichtige Schutzvorrichtungen in seinem Berufskreise Aufschluß zu erlangen. Wir glauben durch die angeführten Beispiele ihr eigentliches Wesen genügend gekennzeichnet zu haben, und wünschen nur, daß recht viele sich veranlaßt sehen möchten, dieselbe zu besuchen und dort zu ihrem eigenen Besten und zum Wohl ihrer Mitmenschen Belehrung zu schöpfen.

Wir schließen hiermit diesen Bericht über die Ausstellung. Er soll nicht der letzte sein. Aus der Fülle der Anregungen, die sie uns bietet, werden wir einige, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, herausgreifen und auf diese Weise, so weit es in dem Rahmen unserer Zeitschrift möglich ist, an der Erreichung jener hohen Ziele mitzuwirken suchen, welche so sehr geeignet sind, die Härten des Kampfes ums Dasein zu mildern.




Schatten.

Novelle von C. Lauckner.
(Fortsetzung.)


Es war ein Fehler, Miß Sikes, daß ich Sie hier aufsuchte,“ sagte Konrad mit leiserer Stimme als gewöhnlich. „Natürlich ahnte ich nicht … ich bin vorübergehend hier und glaubte, Sie gestern gesehen zu haben. Verzeihen Sie mir, es war eine sentimentale Regung, – ich dachte wohl auch –“

„Entschuldigen Sie sich nicht,“ sagte Miß Sikes lebhaft. „Sie machen mir eine große Freude. Es waren glückliche Zeiten, als wir uns kennen lernten, – und heute ist es mir eine Genugthuung, daß Sie nach so vielen Jahren noch an das alte Mädchen denken, das damals – doch nichts von damals! Auch ich erinnere mich, daß ich Sie gestern auf der Straße gesehen habe, wenn ich Sie auch nicht erkannte.“

Konrad war tiefer bewegt, als er zeigte. Eine feine Röthe bedeckte sein Gesicht, er hörte noch nicht recht auf die Worte Miß Sikes’, seine zerstreuten Blicke suchten die nun geschlossene Thür, und je mehr er die äußere Ruhe zu bewahren suchte, desto größer wurde der Aufruhr in seinem Innern.

Ob Miß Sikes seinen Zustand ahnte?

Sie sah ihn forschend an in der Hoffnung, von ihm zu hören, was ihn eigentlich hierher geführt hatte.

Daß es hauptsächlich der Wunsch gewesen war, der Zeugin seiner einstigen Niederlage, nun sie zufällig anwesend war, sein junges Glück zu zeigen, war ihm selbst nicht ganz bewußt gewesen, im Augenblick hätte er gar keinen Grund anführen können. Er hatte alles vergessen, sein Herz schlug stärker und alle seine Gedanken weilten in dem Zimmer, in dem ein kurzer Blick ihn die Jugendgeliebte hatte erkennen lassen.

„Arme, arme Magdalene!“ brach nun die Engländerin das Schweigen. „Sie haben sie gesehen und erkannt?“

Konrad nickte.

„Ist sie zu Besuch bei Ihnen?“

„Sie ist meine Tochter, mein Alles, Glück und Unglück zugleich, seit sie von jenem Elenden in Noth und Jammer verlassen worden ist.“

Konrad sprang auf.

„So mußte es kommen,“ rief er voll Erregung, – „so hat das Schicksal mich gerächt“ … und alles, was der Verrath des Mädchens ihm genommen hatte, stand einen kurzen, bittern Augenblick vor seiner Seele.

„Erzählen Sie mir!“ bat er hastig, – „aber ich möchte nicht mit ihr zusammentreffen.“

Miß Sikes schüttelte den Kopf.

„Das haben Sie nicht zu fürchten. Sie betritt dieses Zimmer nie ungerufen; ich gebe meine Stunden hier und hüte sie sorgfältig vor jeder Berührung mit Fremden, denn in dem noch so entzückend schönen Körper wohnt eine kranke Seele.“

„Sie hängt noch immer an jenem Elenden?“ fragte Konrad.

„Mit jedem Gedanken, soweit ihr Zustand ihr das erlaubt – sie ist geisteskrank.“

Da fuhr Konrad erschreckt zusammen. Das lebhafte, hinreißend schöne Mädchen, an dem er mit der ganzen Gluth einer vollen ersten Liebe gehangen hatte, schlimmer als nur todt, – vor der Zeit geistig gestorben – und noch so jung und noch so schön! – Der eine Blick vorhin hatte ihm den ganzen Zauber noch einmal vor Augen geführt, dem er so viel geopfert hatte.

„Wie ist das geschehen?“ fragte er tief bewegt. „Können Sie darüber mit mir sprechen? Ich beklage die Aermste und ich nehme gern die mir unwillkürlich entfahrene Aeußerung über die gerechte Strafe des Schicksals zurück.“

Miß Sikes wiegte bedächtig den grauen Kopf.

„Sie hatten wohl ein Recht dazu, bester Herr, von Ihrem Standpunkt aus … und doch nein! Ich habe mich damals selbstredend auf Ihre Seite gestellt, ich habe dem armen Mädchen die bittersten Vorwürfe gemacht, aber heute sehe ich, daß es ungerechte waren. Die Tiefe ihres späteren Leidens hat mir begreiflich gemacht, daß sie damals unter dem Zwang einer Gewalt handelte, gegen die sie machtlos war, die sie damals schon überwältigt haben würde, wenn sie ihren Willen nicht durchgeführt hätte. Sie waren nach den landläufigen Ansichten von dem armen Mädchen beleidigt, im Grunde war es aber nicht sie, sondern ihr Schicksal, das, indem es ihre eigene Vernichtung vorbereitete, auch Ihnen einen hoffentlich bald überwundenen Schmerz bereitete.“

Konrad nickte stumm, wenn er auch mit Recht hätte widersprechen können.

„Sie muß damals schon wahnsinnig gewesen sein,“ fuhr die alte Miß fort. „Das habe ich später klar gesehen. Dieses leidenschaftliche ungleiche Wesen – sonst ihrer Natur fremd – sobald es sich um den Elenden handelte, dieses Erröthen und Erblassen in seiner Gegenwart, diese bald scheue bald schrankenlose, ich muß wohl sagen unpassende Zärtlichkeit dem Mann gegenüber, der bald nicht mehr der aufmerksame Liebhaber war, diese vollkommene Unterwerfung unter seine abscheulichen, freigeistigen Ideen, – das alles kann nicht mehr gesund gewesen sein. Denken Sie sich, daß der Abscheuliche nicht einmal eine kirchliche Einsegnung gestattete und daß sie, mein frommes Kind, ohne weiteres in eine nur standesamtliche Trauung willigte! Doch was spreche ich darüber! Der gewaltsame Bruch mil Ihnen, dem sie sich doch aus freier Wahl, ohne jede Beeinflussung verlobt hatte, ist ja schon allein ein Beweis für das, was sich in ihrem Geist vorbereitete, wenn auch damals noch nicht erkennbar.“

Konrad mußte lächeln, obgleich er wieder einen nachträglichen, dumpfen Haß gegen den einst so geliebten Freund empfand. Die schranken- und bedenkenlose Liebe eines Weibes nannte dieses alte Mädchen, das das Zeitwort „lieben“ nur in seiner grammatikalischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_527.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2020)