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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

herauszufordern. Das thut zumal der nahe Pöhlberg, noch mehr aber der zu den Beherrschern des Erzgebirgs gehörige Fichtelberg und der König des Gebirgsreviers, der Keilberg. Vom Aussichtsthurm des Fichtelbergs schweift das Auge weit über die grünen Höhen des Erzgebirges, über einen Strich des Fichtelgebirges, über die Vorberge des Thüringerwaldes und grüßt nach Osten den Fürsten des böhmischen Mittelgebirges, den Milleschauer. Erst kürzlich, am 21. Juli, ist auf dem Fichtelberge auch ein Unterkunftshaus eingeweiht worden; am Abhang des Berges aber, 1092 m hoch, liegt ein Gasthof und seine Bewohner sind Sr. Majestät des Königs von Sachsen „allerhöchste Unterthanen“. Nicht allzufern befindet sich endlich die höchstgelegene Stadt des ganzen Deutschen Reichs, Oberwiesenthal, welche die „Gartenlaube“ 1879, Nr. 11, in Wort und Bild geschildert hat, schlicht, still und ziemlich weltfern, auf ihrer Höhe die ganze Rauhheit des langen Erzgebirgswinters durchkostend, der meist viele Monate lang riesenhohe Schneewälle um das kleine gewerbfleißige Nestchen baut.

Für das westliche Erzgebirge bildet die Flußader die Zwickauer Mulde. Um in ihr Gebiet zu gelangen, wandern wir von Annaberg über Buchholz und Schlettau nach dem Städtchen Scheibenberg, wo gleichfalls an die Stelle des einstigen Bergbaus die Posamentenfabrikation getreten ist, dann herab in das Thal der Mittweida, die bereits in das Flußgebiet der Zwickauer Mulde gehört und bei Schwarzenberg sich in das Schwarzwasser ergießt. Um diese Stadt her glühen Nacht und Tag die Hochöfen, und in den Walz- und Hammerwerken stehen wie berußte Cyklopen die kernhaften, kräftigen Gestalten der Schmiede und schwingen die Hämmer und dämmen den flüssigglühenden Eisenstrom, der aus den Hochöfen kommt, in Sandgruben ab, wo er zu schwarzen Klumpen, den sog. „Gänzen“ wird. Gebräunte Wangen, rauhe Hände und eine derbe Art haben diese Söhne Vulkans, aber dabei auch schlichte treue Herzen. Auch Schwarzenberg ist Bergstadt; es lehnt sich an den Felsen, der über dem Schwarzwasser aufragt, und sein alterthümliches, malerisches Schloß blickt trutzig auf den freundlichen, fleißigen Ort an seinem Fuße und über die grünen Wälder und die herrlichen Landschaftsbilder, die sich unter ihm hindehnen. Und wer diese besonders genießen will, der besuche die malerischen Felsgruppen des nahen Ottensteins, an dessen Fuße, malerisch hineingebettet in das liebliche Thal, das Bad gleichen Namens sich befindet, oder er wandere die Todtensteinpromenade entlang und labe Herz und Auge an den reizvollen, wechselnden Scenerien.

Wenn wir der Führung des Schwarzwassers uns anvertrauen, so leitet uns dies an den zerklüfteten Felswänden des Teufelsteins und an dem rührigen Korbmacherdorfe Lauter vorüber allgemach hinein in das idyllische Thal von Aue, in welchem an der Mündung des Schwarzwassers in die Mulde die Stadt Aue liegt. Sie ist der Mittelpunkt einer ansehnlichen Blechwarenindustrie und besitzt auch eine Fachschule für Blecharbeiter. Wer eine Perle des westlichen Erzgebirgs kennen lernen will, der wandere von hier in das wildromantische Muldenthal und gehe den alten Floßgraben entlang, über dessen Anlage und Ausführung alte Chronisten gar seltsame Sachen zu erzählen wissen. Es ist ein entzückender Weg mit immer neuen mannigfaltigen Bildern, der bald unter leise rauschendem Laubdach, bald unter hochstämmigen Riesenfichten hinleitet. Hier verengt er sich, so daß sich fast hart neben uns mit schroffem Abfall eine tiefe Schlucht aufthut, während an der andern Seite hoch, steil und mit wunderlich zerklüfteter Brust graue Felsen emporragen, aus deren Bruch und Spalten es grünt und blüht, dort wieder weitet sich das Thal zu anmuthigem Wiesengrund und zwischen durch, vorbei an Felswand und grünem Wald, fließt mit spiegelklarem Wasser die Mulde über die großen erratischen Blöcke ihres Bettes; der glänzende Schienenstrang der Eisenbahn zieht sich dem Fluß entlang auf hohen Dämmen hin, überschreitet ihn da und dort auf zierlichen Brücken, ja einmal sogar läuft er in einem 150 m langen Tunnel unter dem Graben selbst hinweg. Beim sogenannten „Rechenhaus“ wendet sich der Floßgraben von der Mulde ab, und über die stattliche Brücke leitet der Weg nach dem Dorfe Bockau, das sich lang in dem Thale hindehnt. In den kleinen, wohlgepflegten Gärten, die um die freundlichen, sauberen Häuser liegen, werden noch immer wie seit uralten Tagen zahlreiche Heilkräuter angebaut, die vordem von hier aus weit versendet wurden. Noch immer heißt der Ort ein Arzneidorf, noch lebt hier manch wunderlicher Laborant, welcher der Natur besondere Kräfte abgelauscht zu haben vermeint und nicht abfallen will von dem Glauben und Aberglauben wie von der Thätigkeit seiner Väter. Auch viele tausend Schachteln „Schneeberger Schnupftabaks“ wandern von hier in die Welt, und er soll die Kraft haben, den „verlorenen Verstand“ wieder herbeizuschaffen.

Von Bockau geht es in der Richtung nach Zschorlau über die Höhe beim Rittergut Albernau, wo Auge und Herz sich erfreuen mag an dem herrlichen Ausblick über das weite grüne Thal, über die ragenden steinernen Wächter an der Mulde, die ihre stolzen Granithäupter gen Himmel recken, und über den dunklen Föhrenwald des mächtigen Ochsenkopfs. Beim Weiterwandern treffen wir immer mehr auf Berghalden, auf die rauchenden Essen der Förderungsschachte und gewinnen die Ueberzeugung, daß wir wieder in ein Gebiet gerathen sind, wo die Schätze der Erde für den menschlichen Fleiß noch nicht erschöpft sind. Und wenn wir auf der Halde des Bergwerks Siebenschlehen uns befinden, liegt weit vor uns ausgebreitet der umfangreiche Filzteich. Still und friedlich ruhen seine grünen Wasser in dem freundlichen Rahmen der Höhenzüge und des dunklen Waldes, aber nicht immer ist er so harmlos gewesen; im zornigen Wallen hat er im Jahre 1785 seine Dämme durchbrochen und seine Fluthen verheerend hineinergossen in das Thal von Zschorlau.

Wir stehen in dem Schachtrevier von Neustädtel und von jeder freien Höhe aus sehen wir ein freundliches Bergpanorama und von seinem Hintergrund heben sich Bilder bergmännischen Lebens und Treibens ab, die landschaftlich allerdings jenen in der Freiberger Gegend weit überlegen sind. Neustädtel selbst ist eine kleine, freundliche Stadt, die freilich gegen ihre größere Schwester Schneeberg zurückstehen muß, welche die wichtigste Stadt des westlichen Erzgebirgs und der Mittelpunkt eines noch immer ansehnlichen Bergbaus ist. Wohl sind auch hier die Zeiten lange vorüber, da ein sächsischer Fürst auf einer Silberstufe von 80000 Mark Werth aus der Georgenzeche sein Mahl einnehmen konnte, aber freundlich und traulich läuten noch immer die Bergglocken von den Halden und neben Kobalt und Wismut blinkt wohl auch noch da und dort dem Bergmann das helle Silber entgegen. Die Stadt liegt sehr malerisch am Bergeshang und wird überragt von der ansehnlichen gothischen Pfarrkirche, in deren Thurm die große Donnerglocke hängt.

Von Schneeberg wenden wir uns gegen Niederschlema und von da durch das Poppenholz nach Wildbach, in dessen Nähe sich über der Mulde die Trümmer der einstigen Isenburg zeigen; von größerem Interesse aber ist eine am andern Ufer, nach welchem uns eine einfache Fähre bringt, gelegene Felsenhöhle. Es ist ein alter Bergstollen, der in Sachsens Geschichte eine besondere Bedeutung erlangt hat. Eine Marmortafel am Eingang kündet uns kurz und bündig: „Aus dieser Kluft wurde Prinz Ernst von Sachsen am 11. Juli 1455 nach dreitägiger Gefangenschaft befreit.“ Hier fand der bekannte sächsische Prinzenraub seinen Abschluß, sein Nachspiel fand er in Freiberg, wo man heute noch als ein düsteres Wahrzeichen am Marktplatz die Stelle zeigt, auf welcher der Prinzenräuber Kunz von Kauffungen enthauptet ward. Die Kluft bei Wildbach aber heißt noch heute die „Prinzenhöhle“.

Im Muldenthal nur wenig abwärts liegt eine der malerischsten alten Burgen Sachsens, Schloß Stein. Es ist, als ob es herauswüchse aus seinem Felsengrunde, und seine grauen Mauern spiegeln sich in dem hart darunter vorbeiziehenden Flusse. Von hier führt uns das Dampfroß binnen kurzem nach dem mächtig aufblühenden Zwickau, wo wir scheiden wollen von dem Erzgebirge und seinen Schönheiten.

Nur flüchtig haben wir es kreuz und quer durchflogen, aber mancher der freundlichen Leser hat doch wohl den Eindruck erhalten, als ob es nicht gerade arm sei an Reizen. Seine ernsten Fichtenwälder, seine spiegelklaren Flüsse, an denen graue Felsenriesen Wacht halten, seine zahlreichen Burgen und Schlösser, seine fleißigen Dörfer und Städte sind wohl des Besuches werth. Ueberall raunt und erzählt es von alten seltsamen Sagen, die ihre Silberfäden spinnen über die Höhen und durch die Thäler, und mit dem Zauber der Vergangenheit eint sich der freundliche, gefällige und entgegenkommende Sinn der heutigen Bewohner. Und vor allem seit der rührige Erzgebirgsverein von Schneeberg aus sein Banner entfaltet und das ganze Gebirgsgebiet mit seinen Zweigvereinen umspannt hat, ist das Wandern beinahe überall bequem und behaglich geworden: Wegweiser zeigen die besten Steige,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_543.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)