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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

besonders Aninia, die mit weit offenen Augen die Mutter anstarrte, als ob sie zurückschrecke vor dem, was der Rede folgen konnte. Da antwortete Fra Battista:

„So ist es, gute Frau Barbla. Wie ich von Gott und dem heiligen Vater durch meine geistlichen Oberen die Macht und das Recht erhielt, die Sünden zu lösen, so kann und darf ich auch binden für das Leben, was Menschen nicht mehr trennen können. Doch wozu diese Frage?“

„Das sollt Ihr sogleich vernehmen, kurz und bündig,“ sprach Mutter Barbla weiter. „Mein Mann hat heute vormittag vor der versammelten Pfarrgemeinde diese hier, mein Kind Aninia, mit dem Franzosen-Peider verlobt – brauchst noch nicht zu zittern, Beppo,“ rief sie dem jählings Erblassenden zu, der eine Schreckensbewegung machte. „Höre mich nur ruhig an! – Mich, sein Weib, die Mutter unseres Kindes, hat er dabei nicht gefragt, und ich habe ihm gesagt, daß ich in den Bund nicht einwilligen würde – oder die Aninia müßte es so wollen. Doch das Mädchen liebt den da, den armen Hirten aus Eurem italischen Lande, und da ich ihn für einen braven wackeren Burschen erkenne, mein Kind glücklich machen will und dazu auch ein Recht habe, so willige ich in diesen Bund. Und somit frage ich Euch weiter: Wollt Ihr, Fra Battista, kraft Eures Amtes, die beiden hier zusammengeben für das Leben? – Heute noch? – Morgen dürfte es vielleicht zu spät dazu sein.“

Der Mönch zauderte; es war auch ein gar bedenkliches Ansinnen. Da warf er einen Blick auf das junge Paar, das sich weinend umschlungen hielt, dann auf die Frau mit den starren Zügen, die mit finsteren Blicken auf ihn niederschaute. Endlich sprach er, seinem Bedenken Worte leihend: „Doch der Cavig – was wird der dazu sagen?“

„Haha!“ lachte Frau Barbla grell und höhnend auf. „Auch Ihr fürchtet ihn? Aber sagt: heischt nicht Euer priesterliches Amt, Gott mehr als die Menschen zu fürchten? Und wenn ich Euch nun sage, Fra Battista, ich, die Ihr als ehrliche und wahrhafte Frau kennt: der Cavig ladet sich eine Todsünde aufs Gewissen, wenn er seine Tochter auf diese Art dem Franzosen-Peider giebt!?“ Sie hatte die letzten Worte in sehr bedeutsamem Tone gesprochen. Dann folgte ein Schweigen. Fra Battista richtete die klugen Augen auf sie, die ihn unverwandt ansah. Er hatte verstanden, denn am Vormittag war er ein stiller Zeuge der Gerichtsverhandlung gewesen. Und so wiegte er nur sinnend das Haupt, als Frau Barbla eifrig fortfuhr: „Ihr dürft ungescheut den Segen über die beiden hier aussprechen, ja, Ihr müßt es, um Sünde zu verhindern, und Gott selbst wird’s Euch lohnen, wenn Ihr hier ohne Menschenfurcht handelt.“

„Ihr verlangt Schweres von mir,“ entgegnete der Mönch, „und es wäre wohl besser für mich, Nein zu sagen. Aber Ihr habt mir Worte gesagt, die ich nicht überhören darf. Sei es denn in Gottes Namen! Holt mir das Schreibzeug Eures Mannes, damit ich Euch die nöthige Urkunde anfertigen kann.“

Frau Barbla hatte schon die Stube verlassen. Jetzt warf sich Aninia weinend Fra Battista zu Füßen, seine Hand an ihre Lippen führend und mit Thränen des Dankes benetzend. Der alte Mönch hob das Mädchen empor und legte ihm segnend die Rechte auf das Haupt. Während er die freie Hand Beppo reichte, sprach er mit tiefbewegter Stimme:

„Vor dem Herrn erniedrige Dich, und mit Deinem Dank flehe ihn an um seinen Segen! Er möge in seiner Gnade allzeit bei Dir und Deinem Erwählten sein, in Eurem jungen Glück – wie im Leid Eurer Prüfungszeit, die Euch nicht erspart bleiben wird; er erleuchte und stärke Euch, wenn die Nacht des Duldens, wenn Bangen und Zweifel über Euch kommen werden; seine Barmherzigkeit sei mit Euch – und mit uns allen! Amen!“

Frau Barbla war während der Zeit wieder eingetreten, sie hatte das Verlangte auf den Tisch niedergelegt und stand nun da, die Hände gefaltet, die Augen voll Thränen. Ihr Mutterherz schlug gewaltig und ihr ganzes Sein erbebte in tiefer Ergriffenheit, denn sie hatte die Bedeutung der Worte des Mönches wohl verstanden und wußte, daß die Prüfungszeit ihres Kindes hart, wohl kaum zu ertragen sein würde.

Fra Battista hatte den geknoteten Strick von seinem härenen Gewande losgenestelt und mit diesem die Hände des jungen Paares umwunden. Der arme – glückliche Beppo lag auf seinem Lager wie von einem seligen Traume befangen. Seine Augen leuchteten wie verklärt, und dennoch irrten seine Blicke fragend von einem zu dem andern, als ob er noch immer zweifle an dem, was ihm da so plötzlich Herrliches geschah. Er, ein armer, unwissender Hirte, sollte das schönste und reichste Mädchen des Engadins als Weib sein eigen für das ganze Leben nennen? Es war auch zuviel des Glücks, und hätte er es in seiner vollen Kraft erlebt, es würde ihn überwältigt, daniedergeworfen haben. Trafen seine Blicke die Aninias, erkannte er die beseligende Freude, welche das liebe Gesicht noch liebreizender erscheinen ließ, so zog es wie himmlische Ruhe in die Seele des armen Burschen ein, und nur ihr überließ er sich, tief und erleichtert aufathmend. Der Mönch hatte nach einem kurzen stummen Gebet also zu den beiden geredet:

„Die Stola des Priesters, welche die Stricke bedeutet, mit denen unser Herr und Heiland gebunden wurde, mag der Strick ersetzen, der unserem Ordenskleide verliehen ist.“ Dann sprach er die üblichen lateinischen Gebete, erläuterte dem Paare die schöne Symbolik der durch einen Theil des priesterlichen Gewandes umschlungenen Hände, und wie diese Umschlingung den im Namen des Herrn, unter dem Schutz und Segen der Kirche nunmehr geschlossenen Ehebund bedeute, den fortan kein Menschenwille mehr trennen könne.

Ohne Aufforderung sanken Mutter und Tochter im Verein mit dem Diener Gottes in die Kniee. Beppo hatte die Hände gefaltet und sprach halbleise ein einfaches Gebet, das ihn wohl als Kind die Mutter gelehrt hatte. In seiner Einfalt vermochte er keine andern Worte zu finden als die, welche ihn von seinem ersten Denken an bis heute begleitet hatten.

Fra Battista erhob sich zuerst, und während Aninia mit einem von Freudenthränen halb erstickten Jubelruf Beppo, der jetzt ihr Gatte geworden war, um den Hals fiel und ihm rückhaltlos den ersten Kuß seines Weibes gab, trat der Mönch an den Tisch und schrieb die Urkunde über die vollzogene Trauung nieder, die er zugleich als Priester und als Zeuge unterzeichnete. Aninia, herbeigerufen, schrieb mit fester Hand ihren Namen; doch Beppo, – der brave glückliche Beppo, vermochte nur mühsam ein Kreuz hinzumalen. Mutter Barbla, wenn auch nicht schreibkundig, war doch imstande, ihren Namen in groben Zügen unter die Schrift zu setzen, und alle Förmlichkeiten waren erfüllt. Die schöne, reiche Gold-Aninia, die Tochter des stolzen Cavigs und Ammanns Gian Madulani, war das Weib des armen Bergamasker Schäfers Beppo geworden.

Der Mönch steckte das inhaltschwere Papier zu sich mit den Worten: „Die Urkunde nehme ich an mich, am nächsten Sonntag erhaltet Ihr sie zur rechten Stunde.“

Zu ihm, doch noch mehr zu dem jungen Ehepaar gewendet, sagte Mutter Barbla, jedes Wort scharf betonend: „Bis zum Sonntag soll und darf der Vater nichts von dem erfahren, was hier vorgegangen ist; erst dann, vor der Kirche und vor der versammelten Pfarrgemeinde, im Angesicht des Himmels soll es offenbar werden!“

Dann umarmte sie heftig Aninia und Beppo, der jetzt auch ihr Sohn geworden war, und verließ mit dem Mönch die Kammer, die Neuvermählten sich selbst und ihrem jungen Glücke überlassend. –

Fra Battista bestieg sein Grauthier, nachdem er ihm aufmunternd den Hals geklopft und gestreichelt hatte. Der wohlerzogene Genosse seiner Einsamkeit verstand die Aufforderung, schüttelte ein paarmal den dicken Kopf und setzte sich sofort in einen vergnügten Trab. Fra Battista lenkte ihn aber vom Weg nach dem Crestaltahügel ab und geradeswegs am Ufer des Surleybaches hin nach Silvaplana zu. Der gute Bruder war weit entfernt, die heitere Stimmung seines Trägers zu theilen, vielmehr schaute er steif zwischen dessen beiden wackelnden Ohren durch, eine Beute von sehr wechselnden Empfindungen, unter denen die bedenklichen bald die Oberhand behielten. Hatte er nicht doch seine Befugniß stark überschritten, indem er sich zu einer Handlung des Mitleids fortreißen ließ, ja, war denn überhaupt die Form nur gültig, unter der er diese Ehe geschlossen hatte? Fra Battista streifte mit ungestümem Ruck die Kapuze von dem heißen Haupt zurück und murmelte zwischen den Zähnen: „Ich konnte nicht anders! Der hochwürdige Herr Bischof hätte selbst nicht anders gekonnt. Aber ich muß schleunigst zu ihm und seine Genehmigung erbitten, damit die Ehe nicht mehr angefochten werden kann! – Es wird mit der Zeit reichen! – Keine drei Tage brauche ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_550.jpg&oldid=- (Version vom 7.12.2022)