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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

über den Julier abwärts hin – übermorgen bin ich in Chur – dann bleiben mir fast vier Tage zur Rückkehr, die aufwärts allerdings etwas länger dauern wird. Doch am Sonntag, zur rechten Stunde, werde ich zur Stelle sein und müßte ich die Nächte dafür zu Hilfe nehmen!“

Dann trabte er weiter, durch Silvaplanas Gassen, dem Saumpfad folgend, der sich in weiten Schlangenlinien die felsige Bergwand des Juliers zu der nicht allzu fernen Paßhöhe bei den beiden altrömischen Säulen hinanzog.

Als Gian Madulani am späten Abend heimkehrte, befand er sich in einer nicht gewöhnlichen Aufregung. War der viele genossene Wein, den sein zukünftiger Schwiegersohn ihm vorgesetzt hatte, die Ursache hiervon – oder war es der große Schatz an blinkenden Goldstücken und kostbaren Pretiosen, den er geschaut – wie er zuvor im Leben nie etwas Aehnliches gesehen hatte? Letzterer mußte wohl hauptsächlich so mächtig auf ihn eingewirkt haben, denn sein erstes Wort zu Hause galt diesem goldenen Schatz, der nun bald bei ihm einziehen werde und den er seinem Weibe in einer gierigen Freude zu schildern suchte. Barbla hörte ihm theilnahmlos zu und ließ ihn ungehindert weiter reden. Anfangs achtete Madulani nicht darauf, endlich mußte es ihm auffallen, er stutzte und schaute sein Weib mit gerunzelten Brauen an. Eine Pause entstand; er erinnerte sich wohl jetzt des Gespräches wieder, das er vor seinem Ausgange mit Barbla geführt hatte, und plötzlich eine höhnische Lache aufschlagend, rief er:

„Schon gut! – Du und das Mädel, Ihr sollt mir schon kirre werden, wenn Ihr schaut, was vor meinen Augen glänzte und funkelte. Für jetzt bleibt’s bei der Abmachung, und Du wirst Deine Pflicht thun, für das, was die Braut zur Trauung nöthig hat, sorgen – den festlichen Hochzeitsschmaus werde ich später selber anordnen.“ Da wiederum keine Antwort erfolgte, fragte er mit jäh aufsteigendem Zorne: „Hast Du, wie ich befohlen, der Aninia alles mitgetheilt? – Und nun antworte – oder –!“

Jetzt öffnete Frau Barbla die Lippen und mit einer auffallenden Ruhe antwortete sie:

„Brauchst Dich nicht zu ereifern, Gian; ich habe dem Mädchen alles gesagt, wie Du es befohlen hast, und am nächsten Sonntag führe ich sie Dir vor der Kirche zu. Doch nun laß uns zur Ruhe gehen, es ist spät in der Nacht.“

„A – ah!“ keuchte es aus Madulani mit einer grimmigen Freude hervor. „Also doch – sie haben alle beide Vernunft angenommen und ich kann ruhig sein.“ Dann folgte er seinem Weibe, das bereits die Stube verlassen hatte.


6. Das Recht der Mutter und Madulanis Schwur.

Eine Woche voll Unruhe und innerer Sorge war den Bewohnern des Madulanischen Hauses vorübergegangen und der verhängnißvolle Sonntag gekommen, der eine schwerwiegende Entscheidung bringen mußte. Beppo hatte sich überraschend schnell erholt, dank seiner unverdorbenen und kräftigen Natur; aber auch das große Glücksgefühl hatte gewiß seinen Antheil an der glücklichen Veränderung in dem Wesen des Burschen. Das Lager hatte er schon seit einigen Tagen verlassen dürfen, um im Zimmer umherzugehen oder auch, wenn Madulani nicht daheim war, auf Aninia gestützt, einen Gang ins Freie zu machen. Doch sein Obdach verließ er nicht, zum heimlichen Aerger des Cavigs, der gewaltsam an sich hielt und sich zur Beruhigung sagte: „Es ist nur bis zum Sonntag, dann muß er hinaus, und geht er nicht von selbst, jage ich ihn mit dem Stock davon!“ Mit keinem Wort erwähnte er der bevorstehenden Trauung; er sah Aninia, die wie von einem stillen Glück verklärt im Hause umherging, und da er das Mädchen durch die Mutter unterrichtet wußte, da diese ihm fest zugesagt hatte, Aninia am Sonntagvormittag zu rechter Stunde dem Vater vor der Kirche zuzuführen, so dünkte ihm diese stille Heiterkeit seiner Tochter ein gutes Zeichen, und er beruhigte sich vollständig. Stumm und ernst wie immer ging er seiner Wege und hütete sich fast ängstlich, ein Wort zu reden, das diese scheinbar freudige Ergebung in seinen Willen hätte stören können. Was er wollte, geschah, und diese Gewißheit genügte ihm.

Eine seltsame Wandlung war mit dem Franzosen-Peider während dieser Woche vorgegangen, wenn dieser auch aus Furcht vor seinem künftigen strengen Schwiegervater kaum wagte, dies auch nur mit einem Worte laut werden zu lassen. Seit er der Angst um sein Leben ledig, der Hand Aninias gewiß war, hatte deren Besitz merkwürdigerweise nach und nach den Hauptreiz für ihn verloren. So lange er für seinen Hals fürchten mußte, schien ihm Aninia ein heißbegehrtes Ziel; aber nun? Auf Lebenszeit in dem armen Hochthal sitzen bleiben, seine Kunst vergessen, die ja hier niemand würdigen und – bezahlen konnte, die geplante Reise nach Wien aufgeben sammt allen Hoffnungen auf einen Posten in der kaiserlichen Hofküche, den ihm seine seltene Geschicklichkeit sicher verschafft hätte! Peider hatte bei allen diesen Erwägungen ein Gefühl, als drücke man ihm sachte die Kehle zu. War er einmal verheirathet, so mußte er nach Surley in das Haus des Cavigs ziehen, so hatte es dieser bestimmt, und dort wohl auch die Hantierung seines bäuerlichen Schwiegervaters treiben. Das war fatal – sehr fatal! und gab seinem nicht ganz auf rechtmäßige Weise gewonnenen Glück einen Beigeschmack wie von – „bittern Mandeln“. Und dann, war die Aninia wirklich und sogar mit Freuden auf eine Heirath mit ihm eingegangen? Daran kamen ihm auch allerhand Zweifel. – Der alte Madulani hatte es ihm wohl gesagt, sogar hoch und theuer versichert – und dennoch gemeint, es wäre besser, die beiden Frauenzimmer für diese Woche in Ruhe zu lassen, da sie vielerlei für die Trauung und Hochzeit zu besorgen hätten. Am Sonntag würde sein Weib Barbla ihm schon nach Brauch und Herkommen die festlich geschmückte Braut vor der Kirche zuführen, und dann wäre er der Herr.

So war es gekommen, daß der Peider an dem für seine Zukunft entscheidenden Sonntag, wenn auch wie ein Prinz geputzt, doch ohne besonderes Behagen in Begleitung seiner Freunde und fast aller Bewohner von Sils-Baseglia nach Surley zog. Je näher er dem Orte kam, wo er sein Glück empfangen sollte, je unerfreulicher wurde ihm zu Muth, und in einer Stimmung langte er dort an, die für keinen Bräutigam, am allerwenigsten aber für den des schönsten und reichsten Mädchens des ganzen Engadins paßte.

Vor der Kirche hatte sich wohl eine gleich zahlreiche Menge wie am Sonntag vorher versammelt, aber diesmal hatte sie ein festlicheres Ansehen, denn die Frauen und Mädchen, welche beim Gericht der geschworenen Männer hatten im Hintergrund bleiben müssen, drängten sich jetzt so viel als möglich nach vorne, um die Braut zu sehen. Madulani befand sich mit den angesehensten Einwohnern der verschiedenen Ortschaften in der Kirche, die wegen ihrer Kleinheit nur wenige Personen fassen konnte, weshalb die Trauung durch den Geistlichen in der offenen Kirchthür und unter freiem Himmel stattfinden sollte. Der Cavig hatte vor dem Verlassen seines Hauses verstohlen, doch scharf nach den nöthigen Vorbereitungen für das anbefohlene festliche Mittagessen ausgeschaut, an dem, des beschränkten Raumes halber, außer der Familie nur noch der Bräutigam theilnehmen sollte; – das eigentliche Hochzeitsfest gedachte er wie üblich später auf der Wiese, natürlich unter Beihilfe von Peiders Dukaten, abzuhalten. Zwar brodelte es stark auf dem Herde, und seine Schwester, die Büssin stand nebst der Magd hantierend dabei, doch dies wollte ihm kaum genügend erscheinen. Eine Frage zu stellen, erlaubte sein Stolz ihm nicht, denn das hieße ja, an der Ausführung seines Befehls zweifeln.

Endlich, auf der Schwelle der Hausthür, vermochte er sich doch nicht mehr zurückzuhalten; er wandte sich nach seiner Frau hin und sprach aus, was ihm so lange auf der Zunge gelegen hatte: ob die Anstalten auch hinlänglich seien. Sonst könne ja die Büssin wohl bis Mittag noch mancherlei anrichten.

„Sorge Dich nicht,“ entgegnete Frau Barbla kurz, „es wird reichen für uns und für noch manchen andern und gut werden wie an allen Festtagen. Geh’ Deiner Wege, und ist es an der Zeit, läutet die Glocke, werde ich mit Aninia zur Stelle sein.“ Darauf hin verließ Madulani sein Haus und schritt dem an seiner Wohnstätte vorüber fließenden Surleywasser entlang der Kirche zu.

Mit nicht geringem Herzklopfen weilte währenddem Aninia in der Stube bei ihrem Gatten.

Beppo war, wenn auch noch etwas schwach, doch sonst wieder genesen. Er hatte seine einfache Gewandung angelegt, die von Mutter Barbla und Aninia so gut wie möglich hergerichtet und auch in einzelnen Theilen durch neue bessere Stücke ersetzt worden

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