Seite:Die Gartenlaube (1889) 554.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Lenaus Muse.

Von Gustav Karpeles.

Das waren köstliche Maientage, so sonnenhell und prächtig wie nur je! Lieblich duftete der Flieder, im Hag schluchzte die Nachtigall, das saftige Grün der jungen Bäume sproßte üppig hervor und wandelte die Straßen zu breiten Alleen; überall herrschte Frohsinn und heiterer Lebensgenuß. Nur in einem Jünglingsherzen weckten „diese tausend Stimmen der erwachenden Natur“ neuen Kummer, neue Schwermuth. Die „sinnende Melancholie“ war diesem Jüngling schon in die Wiege gelegt worden, seine Braut hieß Qual und sein Erbtheil war die Sorge . . .

Er nannte sich Nikolaus Lenau.

An einem wunderlieblichen Maientage des Jahres 1820 sehen wir diesen Dichterjüngling mit seinem Freunde Fritz Kleyle zum ersten Male nach dessen Wohnung gehen. Noch nie hatte Fritz seinen schwermüthigen Niki dazu bewegen können, ihn im Hause seines Vaters, des alten Hofraths Kleyle, zu besuchen. Heute an diesem seligen Frühlingstage war’s ihm endlich gelungen. Und als nun die beiden Freunde in der schönen Villa auf der Landstraße zu Wien einen langen Gang durchschritten, kamen sie an einem Fenster vorüber, welches ihnen in den Gartensaal Einblick gewährte. Dort aber saß des Herrn Hofraths schönes Töchterlein Sophie und kämmte ihr langes, braunes Haar. Ueberrascht hielt Lenau inne; sein Herz durchzuckte eine mächtige Bewegung, dann ging er weiter. Hatte er eine Ahnung davon, daß dieses weibliche Wesen dermaleinst so mächtig in sein armes Leben eingreifen werde?

Freilich sollten noch dreizehn schicksalsschwere Jahre vorüberrauschen, ehe er Sophie zum zweitenmal sah, Jahre des Hangens und Bangens, unglücklicher Liebe, verrathener Hoffnungen, grausamer Enttäuschungen! Als Lenau Sophie Kleyle zum erstemale sah, war er ein schwermüthiger Jüngling – als er ihr zum zweitenmale entgegentrat, war er ein lebensmüder Mann …

Zu spät! Das war das Verhängniß seines Lebens. Ob sich dieses glücklicher gestaltet haben würde, wenn er Sophie damals schon kennen gelernt hätte? Wer vermag das zu entscheiden! Er selbst aber glaubte es fest und bestimmt. So wollen auch wir es glauben.

Und abermals an einem sonnenhellen, prächtigen Maientag – am 12. Mai des Jahres 1889 – trugen sie in Wien Sophie zur letzten irdischen Ruhestätte. Sie hat also Lenau fast um vierzig Jahre überlebt und ist selbst achtundsiebzig Jahre alt geworden. Still und treu hat sie nur noch der Erinnerung an den Dichter gelebt. Erst bei ihrem Tode wurde es bekannt, daß sie überhaupt noch bis in diese Tage gelebt hatte. Sie verdient es, daß wir heute einen Immortellenkranz der Erinnerung auf ihr Grab legen.


Sophie Kleyle wurde 1830 die Gattin des österreichischen Ministerialsekretärs Max v. Löwenthal, eines vielseitig gebildeten, dichterisch beanlagten Mannes, mit dem sie in glücklichster Ehe lebte. Poesie und Kunst waren die Genien ihres Hauses, als im Herbst 1833 Nikolaus Lenau dasselbe zum erstenmal betrat. Von da ab beginnt eine Wendung in ihrem Geschick. Es muß ein überwältigender Eindruck gewesen sein, den die beiden vom ersten Augenblicke an auf einander ausgeübt haben. Und dieser Eindruck ging nicht flüchtig vorüber, er blieb haften und steigerte sich endlich zu einer starken, heißen Liebe.

Heute darf es ja gesagt werden, wo der kühle Rasen die sterbliche Hülle der edlen Frau birgt: es war eine stürmische, heiße Liebe, die sie dem theuren Dichter entgegenbrachte, ohne daß sie aber dabei ihre weibliche Ehre geopfert oder ihre Gattenpflicht vernachlässigt hätte. Und sie forderte von Lenau gleiche Liebe. Sie forderte, daß er ihr sich ganz zu eigen gebe mit dem Bewußtsein, daß sie ihm nie werde angehören dürfen. Aus diesem Widerstreit entstand das unglückselige Verhältniß, das beide wie eine Kette zwölf Jahre lang mit sich schleppten.

Es erscheint ungerecht, der Frau allein die Schuld an diesem Verhältniß beizumessen, wie das wiederholt geschehen ist. Ich kenne aus einer Quelle, die aufs genaueste unterrichtet ist, die Art und Weise dieser Beziehung: „Der kennt Lenau schlecht, der da sagt, sie hätte ihm nach den ersten vier Wochen den Abschied geben müssen. Noch schlechter beurtheilt aber der den Charakter des Dichters, der da glaubt, daß ein auf anderer als der Grundlage der reinsten Sittlichkeit beruhendes Verhältniß ihn auf die Dauer an Sophie gefesselt hätte. Es war eben sein Verhängniß – er mußte daran zu Grunde gehen, aber glauben Sie mir, sie hat noch mehr als er gelitten und getragen!“

So sagte mir ein Freund Lenaus, der ihn und Sophie kannte. Und so ist es auch gewesen, so erscheint uns dies Verhältniß, wenn wir die einzelnen Stadien desselben verfolgen. Es war ein Akt seltener Selbstverleugnung und wahrhaft hochherziger Gesinnung, daß Sophie 1854 schon dem Schwager Lenaus, Anton Xaver Schurz, mehr als 120 Briefe des Dichters an sie ausfolgte, die ihre Beziehungen zu Lenau charakteristisch und treu darstellen. Aus diesen Briefen lernen wir Lenau und seine Muse genau kennen.

Im Jahre 1835 fängt die Korrespondenz an. Die ausschlaggebende Stimmung Lenaus ist die inniger Neigung, großer geistiger Abhängigkeit und aufrichtiger Verehrung, die Sophiens krankhafte Liebe und glühende Eifersucht. Nach Lenaus Briefen gewinnt allerdings die Sache den Anschein, als habe Sophie ihn mit ihrer Krankheit und Eifersucht furchtbar gequält. Dieses Bild ist aber nur ein einseitiges, da uns ja die Briefe Sophiens an Lenau fehlen, die der Dichter in den ersten Tagen seines Wahnsinns verbrannt haben soll. Ein einziger ihrer Briefe ist erhalten; er ist bezeichnend für ihren Geist und ihre Auffassung Lenaus, er kann auch für die übrigen zeugen. Es heißt darin u. a.: „Neulich sah ich auf der Donau, was mich heftig und schmerzlich an Sie mahnte. Ein armer Slowak oder Landsmann von Ihnen, ein Wallfahrer, wie deren neulich eine ganze Schiffsladung bei Maria-Taferl ertrunken ist, trieb in einem kleinen Kahne auf der Donau. Im ärmlichen Zwilchkittel stand er in seinem Fahrzeuge und ruderte lässig dahin und dorthin, planlos, und schaute mit seinem dunklen, schwermüthigen Blick den bewegten Wellen nach, unbekümmert um die Leute am Ufer, die seinem wunderlichen Treiben zusahen. Seinen Hut mußte er weggeworfen haben, den bloßen Kopf setzte er der glühenden Sonne aus. Kein Kleidungsstück, kein Brot, kein Fleisch hatte er in seinem Kahne, nur einen vollen großen, grünen Kranz, den er an seinem Pilgerstab im Vordertheil des Schiffchens wie eine Flagge befestigt hatte. War das nicht das Bild eines echten Dichters, Ihr Bild, lieber Niembsch? Haben Sie nicht auch im Leben so herumgetrieben? Im leichten Kahne auf dem wilden, dunklen Strome, nach keinem Ufer ausblickend, mit weggeworfenem Hute und nur den Kranz bewahrend statt allen irdischen Gutes? Und wenn die anderen besonnenen, klugen Leute sorgfältig die Schlafmützen und Hüte und alle Arten von Kopfbedeckungen auf ihre Schädel stülpten, haben Sie nicht Ihr edles, schönes Haupt der Sonne und den Blitzen, dem Schnee und den Stürmen preisgegeben, von dem schönen, grünen, ewig grünen Kranze umschlungen, aber nicht geschützt? O die glatten, schlanken Lorbeerblätter schmücken die Stirne nur, sie behüten sie nicht, sie halten die Unbill dieser rauhen Zeit nicht ab, und darum, darum sind Sie krank! Ich habe ihm lange nachgesehen, dem armen Landmann und an seinen Landsmann gedacht mit quälender Sehnsucht!“

So war, so schrieb Sophie. Und Lenau? Hören wir einen seiner Briefe an die Freundin: „Seien Sie heiter und reißen Sie sich, wenn es noch nicht geschehen, für immer aus dieser fatalen Stimmung . . . Soll ich Ihnen alles aufzählen, was Sie berechtigen kann, ja verpflichten muß, sich am Leben zu freuen? Ich thu’ es nicht, weil ich überhaupt nicht gern lobe, hier aber um so weniger gern, als ich Ihnen lieber eine kleine Strafpredigt halten möchte. Nur eins halte ich Ihnen entgegen: Ihre hohe sittliche Würde, deren Bewußtsein Ihnen ein ewiger Quell stiller Freuden sein muß, wie sie andern, die das Glück Ihres Umgangs genießen, und namentlich mir eine Quelle der Freude ist und eines der erheiterndsten Momente meines Lebens. Ich denke nie ohne inniges Behagen an Ihren stillen, festen Wandel. Seien Sie heiter, wenden Sie sich nicht feindselig ab von sich selbst! Daß Sie Ihre Welt in Ihren Kindern finden, ist schön, und ich habe das immer so hoch geachtet an Ihnen, aber lassen Sie sich die übrige Welt nicht allzufern rücken und hören Sie nicht auf, diese Welt zu

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_554.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)