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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Lemberg gezeigt – nur ein klein wenig herabgekommen, müde und gezwungen in seinem ruhigen, gentlemanmäßigen Wesen, das er der alten Miß wohl vorspielen wollte.

Seine Stimme, früher hell und frisch, klang heiser und war das Verkommenste an ihm neben dem häßlichen, wüsten Zug um Augen und Mund.

Als Konrad noch einmal schärfer hinblickte, machte er eine Bemerkung, die der unerfahrenen Miß Sikes wahrscheinlich entging: Lemberg war nicht ganz nüchtern.

Seine ersten Worte konnten auf Rechnung einer leicht erklärlichen Befangenheit geschoben werden, aber jetzt – er stockte – er wiederholte die Phrasen, die er machte – die Zimmerwärme schien ihn mehr und mehr zu verwirren, nachdem er sich in der kühlen Herbstluft von seinem Rausch vielleicht soweit erholt hatte, daß er Muth zu diesem Gange gefaßt – dachte Konrad verächtlich.

Wie hatte er selbst nur so kopflos sein können, die arme Miß Sikes zu veranlassen, jetzt, abends und unvorbereitet, den Besuch dieses Menschen anzunehmen – man hätte ihm eine beliebige Stunde bestimmen müssen.

Er machte sich bittere Vorwürfe und konnte gar keine Entschuldigung für sich finden.

. . . „und da dachte ich mir,“ sagte Lemberg jetzt, auf demselben Stuhl Platz nehmend, auf dem Konrad vorhin gesessen hatte, „ja, ich dachte . . . mache die Angelegenheit gleich klar, den beiden Damen kann damit nur gedient sein, wenn alles so schnell wie nur möglich erledigt wird. Daher auch die etwas späte Stunde meines Besuchs, deretwegen ich höflichst um Entschuldigung bitte.“

„Meine eigene Thätigkeit macht es mir wünschenswerther, Sie jetzt zu empfangen,“ sagte Miß Sikes würdevoll. „Ich würde Sie sonst um eine andere Zeit gebeten haben, wenn es überhaupt nöthig war, daß Sie mich aufsuchten.“

„Ganz zweifellos,“ sagte Lemberg etwas unsicher, „eine noch so kurze Ausprache wird uns mehr fördern als vieles Hin- und Herschreiben.“

Miß Sikes schwieg.

„Ich habe mir erlaubt, Ihnen meine Vorschläge zu machen, darf ich fragen, wie Magdalene sich dazu stellt?“

Miß Sikes dachte nach.

„Sie sind gänzlich im Irrthum,“ sagte sie endlich, „wenn Sie glauben, daß wir ohne weiteres anzunehmen gedenken, was Sie vorschlagen.“

„Ist Magdalene – gesund?“ ging Lemberg nun in viel rücksichtsloserem Ton auf sein Ziel los.

Die arme Miß Sikes schüttelte den Kopf. Lemberg athmete erleichtert auf.

„Sie haben sie auf dem Gewissen. Ihre schändliche Handlungsweise hat das arme Kind in die geistige Nacht getrieben – und als sie daraus durch Ihr Kommen hätte geweckt werden können – die Aerzte haben es alle behauptet – da blieben Sie unter nichtigen Vorwänden weg. Und jetzt, nach Jahren, wo sie äußerlich wenigstens ruhig geworden ist, wollen Sie Ihrer Gewissenlosigkeit die Krone aufsetzen und durch Ihren Anblick, durch Untersuchungen und ich weiß nicht, was alles zu Ihrem Plan gehört, die Aermste vollständig ruinieren. Aber ich werde sie schützen, meine treue Pflege giebt mir ein Recht dazu. Sie wollen noch einmal heirathen. Gut, ich werde die Familie, in die Sie eintreten wollen, vor Ihnen warnen, ich will ihr die arme Magdalene vorführen, die in ihrem Wahn Sie ärger anklagt, als alle Worte es könnten, und ich –“

Miß Sikes konnte nicht weiter. Sie brach in heiße Thränen aus und schien nun in ihrer schmerzlichen Hilflosigkeit selbst auf Lemberg Eindruck zu machen.

Er sah zu Boden und dann fing er an zu sprechen, ganz anders vermuthlich, als er sich vorgenommen hatte. Der alte Lemberg kam wieder hinter dem häßlichen, verwüsteten zum Vorschein. Er war für einen Augenblick nicht der herabgekommene reisende Künstler, der aus geschäftlichen Gründen einen Skandal in das stille Haus der tödlich beleidigten Frau tragen und dabei noch möglichst viel Vortheil aus der Angelegenheit ziehen wollte, sondern ein unglücklicher, zerfahrener Mensch, dem seine hohe, künstlerische Begabung zum Fluch geworden war, weil ihm die Energie zum Guten gefehlt hatte, sprach zu der alten Lehrerin, deren strenges Auge vor Jahren schon so tadelnd auf ihm geruht hatte, als er äußerlich noch in stolzer Kraft und überzeugt von seiner hohen, künstlerischen Aufgabe, vor ihr stand – innerlich bereits dem Wege strenger Rechtschaffenheit untreu geworden – ein Verräther an der Freundschaft und der Mannesehre.

„Meine Heirath mit Magdalene ist mir zum Unglück geworden,“ sagte er, den Blick zu Boden gerichtet. „Sie liebte mich allzusehr, sie beschönigte meine Fehler und bestärkte mich in meinem hohen Selbstbewußtsein. Sie übte niemals Kritik an meinen Bildern und vergötterte alles, was ich that. Das langweilte mich bald, ihre anfangs so viel bewunderte Schönheit schien mir unbedeutend – sie welkte übrigens auch bald – ihre Hingebung ermüdete mich und ihre Duldsamkeit fand ich empörend. Ich hoffte in der Kunst wieder vorwärts zu kommen, ohne sie – und froh, von ihr befreit zu sein, beantwortete ich entsprechend Ihre Briefe, Miß Sikes, die mir die Erkrankung Magdalenens meldeten. Ich hatte da schon alle Schiffe hinter mir verbrannt – ich ging mit der von der Regierung ausgerüsteten Expedition unter della Seglia nach Afrika und führte das übliche interessante, aber mühevolle Nomadenleben solcher Entdeckungsreisenden. Anfänglich malte ich viel, allmählich aber begann die wilde Natur einen andersartigen Reiz auf mich auszuüben. Meine Kunst schien mir erst klein, dann überflüssig der großartigen Wildniß und der Aufgabe gegenüber, die Kultur in sie hineinzutragen.

Jahre lang habe ich keinen Pinsel angerührt, bin drüben geblieben, nachdem meine Gesellschaft oder vielmehr deren Ueberreste längst nach Europa zurückgekehrt waren, und – vielleicht ermüdet von unserer Ueberkultur, habe ich allen Ernstes geglaubt, das wahre Glück unter wilden Völkern, im Kampfe mit der fremdartigen Natur und ihren Geschöpfen gefunden zu haben.

Eines Tages aber, als ich unter einer Sykomore ruhte – ich weiß nicht, wie es kam – fiel es mir ein, daß drüben gerade die Linden blühen müßten, und ein heftiges Verlangen nach dem betäubenden, träumerischen Duft wollte sich nicht mehr stillen lassen. Das war das erste, und dann kam plötzlich ein gewaltiges Heimweh über mich, ein solches Reißen und Zerren nach dem Meer, nach Schiffen, nach Landsleuten, daß ich mich durch Mühsale aller Art nach Alexandrien durchkämpfte und endlich dann auch glücklich die europäische Küste und allen Kulturschwindel wieder erreichte, der so lange wie ein Traum hinter mir gelegen hatte.

Zunächst hungerte ich. Da mußte ich die alte Kunst versuchen, um mir ein Stück Brot zu verdienen. Früher hatte sie mir Geld im Ueberfluß gebracht – aber ich war ein Wilder geworden, an Stoffe zu Gemälden konnte ich gar nicht mehr denken. Es hätte auch zu lange gedauert, bis ich mit einem Bilde etwas verdient hätte, und da malte ich denn, was vorkam – für das tägliche Brot.

Ich lernte die Noth kennen, die Kunst verachten und das Geld lieben. Je schneller ich malte, desto mehr verdiente ich. Ich wanderte dabei herum und fand Spaß an dem Vagabundenleben. Ich hatte die feste Ueberzeugung, daß es nur meines Wollens bedürfte, um wieder Hervorragendes zu leisten – wer eine ‚Ophelia‘ gemalt hatte, der durfte nur mit Energie wollen. –

Und dann kam mir der Gedanke, daß ich ein Weib hatte. Er ließ mich zuerst kalt, allmählich aber fing er an, mich zu bedrücken. Ich begann mich unfrei zu fühlen.

Eines Tages, in Barcelona war es, lernte ich einen Gastwirth kennen, der über meine Fähigkeit, schnell hübsche, augenblendende Bilder zu malen, in großes Staunen gerieth. Ich sollte die Kolonnaden seines Hauses ausmalen, es sammelte sich auf seine Veranlassung Publikum um mich, das voller Bewunderung die glühendsten Landschaften unter meinem Pinsel entstehen sah.

Die stürmischen Beifallsbezeigungen stachelten mich zu immer erstaunlicheren Leistungen an – der spekulierende Wirth ließ eine Zigeunerbande aufspielen – das Publikum fand sich scharenweise ein. Die Zigeuner spielten ihre Fandangos und Sarabanden, ich gab meine Pinselkunststücke zum besten und die begeisterten Zuschauer wollten vor Entzücken vergehen.

So entstand in Barcelona in einem heißen Sommer, der reich an Entbehrungen aller Art gewesen war, der Konzertmaler Señor Pablo.

Ich fand einen Impresario und reiste eine Zeit lang, ich kann wohl sagen mit Vergnügen, denn das Neue und Wechselvolle reizt. Aber nun wollte ich auch wieder ein wirkliches Bild schaffen, in meiner alten Art, ich hatte einen Stoff gefunden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_560.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)