Seite:Die Gartenlaube (1889) 562.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

eine Rizpah sollte es werden, die die Leichname der geliebten Söhne vor Schändung bewahrt. Ich hatte ein wunderbar schönes Modell, in meiner Phantasie lebten die glühenden Farben der südlichen Landschaften, und ich malte mit einem guten Stück der alten Künstlerbegeisterung.

Aber . . . das Können hielt nicht mit dem Wollen Schritt. Ich konnte nichts mehr ausführen, die angewöhnte böse Handwerksmanier ließ sich nicht verleugnen. Ich quälte mich furchtbar, ich mußte das Bild zwingen – und als ich es endlich fertig hatte, glaubte ich denn auch ein Meisterwerk geschaffen zu haben, gegen das die ‚Ophelia‘ ein blasser Schatten war. Ich schickte es zur Ausstellung nach Düsseldorf . . . man verweigerte die Annahme. Es wanderte nach Berlin . . . und es kam zurück, ohne ausgestellt worden zu sein. Wuth und Verzweiflung faßten mich – ich versuchte das Menschenmögliche – umsonst, ich drang nicht mehr durch; sie wollten die Naturwahrheit des schönen Bildes nicht anerkennen. Uebertrieben, unfein, unkünstlerisch nannten sie es.

Unterdessen brachten mir meine Konzertreisen Geld und Ruhm. Nicht den göttlichen, von dem ich einst geträumt und auch schon gekostet hatte – eine ganz andere Sorte – aber in Ermangelung von anderen nahm ich auch mit diesen billigen Lorbeeren vorlieb und malte, malte Abend für Abend Waldlandschaften, Wüstenscenen, Gletscher und Seestücke zu den tagesüblichen Gassenhauern.

Aber ich fing an, des Treibens müde zu werden, meine Augen fühlten sich auch angestrengt – und ich sehnte mich oft nach einem kleinen, ruhigen Hafen, in dem ich meine gute Cigarre rauchen, träumen, philosophiren könnte, ohne nöthig zu haben, den Leuten bunte Kunststücke vorzumachen.

Eines Abends in München stand ich rathlos vor meiner Palette, auf der die Farben in einem wüsten, bunten Knäuel durcheinander tanzten. Vor mir saß eine hübsche, dicke Frau, mit vielsagenden dunkeln Augen – ich fixirte sie, um mich wieder zu sammeln, und es gelang mir einigermaßen. Die reichgekleidete Person hatte mein Fixiren anders aufgefaßt – ich näherte mich ihr, als ich das während der Pause bemerkte – und siehe da, der ersehnte Hafen war gefunden!“

Ein häßliches, gemeines Grinsen erschien auf dem gerötheten Gesicht Lembergs, von dem der veredelnde Ausdruck der Reue längst verschwunden war wie der weiche Ton aus der Stimme.

Miß Sikes war während des langen Berichtes mehrmals halb aufgestanden – bei der letzten Bemerkung stieß sie ihr zornigstes „shocking“ aus und veranlaßte durch ihre kalten, strengen Blicke den Redenden, in seiner Erzählung innezuhalten.

„Ich glaube nicht, Sir,“ sagte sie, so gemessen als ihr in ihrer Erregung möglich war, „daß Sie hergekommen sind, um mir Ihre Lebensgeschichte zu erzählen.“

„That ich das?“ fragte Lemberg verwundert. „Nun, dann hatte das den Zweck, Ihnen zu erklären, daß die schöne, reiche Witwe mir freundlich ein behagliches Heim angeboten hat und daß daher eine Scheidung von Magdalenen nothwendig ist. Ich habe mich zu dem Zweck an Sie gewendet, aus reinem Zartgefühl – wahrhaftig! – Magdalene . . . “

Ob er den Namen lauter rief, ob ein inneres Gefühl, mächtiger als die Scheu vor Fremden, die sie sonst zurückhielt, in der armen Kranken gesprochen hatte, die Thür zum Nebenzimmer öffnete sich und im hellsten Licht stand Magdalene einen Augenblick in dem Thürrahmen, in ihrem weißen, phantastischen Gewande einer Erscheinung aus einer andern Welt gleich.

Ihr schönes Gesicht erblaßte und schien zu erstarren, dann öffneten sich die Augen weit, weit – Purpurröthe strömte in die Wangen, und mit einem jubelnden, schluchzenden, herzergreifenden Ruf stürzte sie auf den wie verzückt nach ihr starrenden Mann, umschlang ihn mit ihren Armen und flüsterte, weinte und lachte, und küßte ihn wieder und wieder mit aller Gluth, welche die langen Jahre hindurch ihren Wahn durchlodert hatte.

Und er! Sprachlos starrte er auf das Wunder in seinen Armen. Eine welke, verhärmte Frau hatte ihn verlassen – hier fand er sie nach Jahren wie auferstanden, neu geschmückt mit allen Reizen menschlicher Schönheit. Ein Aufwallen der Leidenschaft, die ihn vor Jahren zu dem schönen Geschöpf geführt hatte, vereint mit dem gluthvollen Entzücken des Künstlers durchfuhr ihn, und er umfaßte das schöne, bebende Weib.

Helle Röthe flammte über sein Gesicht, seine Augen leuchteten auf und sein Mund öffnete sich gierig.

Miß Sikes schrie in namenlosem Entsetzen auf. Ein Blick auf sie gab dem doppelt Berauschten die Besinnung.

„Das ist ja eine hübsche Fabel, die Sie mir da erzählt haben, verehrtes Fräulein,“ sagte er höhnisch. „Du sollst krank sein, mein Lieb – komm, Du gehörst zu mir! Laß alles – geh mit mir! Was ist behagliches Leben an der Seite einer andern gegen Deine wundervolle Schönheit, Du herrliches Weib! O Magdalene, warum waren wir so lange getrennt! Wie konnte ich Thor vergessen, wie schön Du bist und wie Du mich liebst … Komm – komm!“

Und Magdalenens Blicke hingen voller Gluth und Anbetung an ihm – durch die hellen Glücksthränen hindurch, die aus den leuchtenden Augen strömten.

„Ich wußte ja, Du würdest wiederkommen. Aus langem Traum bin ich erwacht – nun ist es Tag, denn Du bist wieder da,“ flüsterte sie, sich an ihn schmiegend. „Aber Du bist kalt, komm in mein kleines, warmes Reich, in dem ich so viel an Dich gedacht habe.“

Mit neu entbrannter Leidenschaft zog er sie an sich – da fiel ihm jemand an den Arm und riß ihn zur Seite.

Er sah in Konrad Herrendörfers todtblasses Gesicht, aus dem heftiger Zorn, Haß, Leidenschaft ihm entgegenblickten.

„Du wirst sie nicht weiter berühren, Lump, der Du bist!“ sagte Konrad dumpf, aus zusammengeschnürter Kehle. Er wollte weiteres hinzufügen, aber die Worte versagten ihm. –

Nun hatte Lemberg ihn erkannt, von dem er einst in heiterer Freundschaft nach einem lustigen Abend Abschied genommen hatte – während er ihn schon längst betrog . . . er zuckte zusammen, einen kurzen Augenblick verblüfft vor Schreck und Scham.

Aber dann sah er plötzlich klar. Der Nebel, den sein leichter Rausch, das unvermuthete Wiedersehn mit der hinreißend schönen Frau über seine augenblickliche Lage, den Zweck seines Hierseins, seine Zukunftspläne gebreitet hatte, schwand und damit auch der Rest der besseren, reuevollen Gefühle, die ihn eine Zeit lang beherrscht hatten.

Ein unaussprechlich gemeines, verständnißvoll sein sollendes Lächeln verzog seinen Mund, und sein Blick glitt von dem ehemaligen Freunde zu seiner Frau, die voll ungeduldiger Freude da stand, unbekümmert um alles andere, was um sie her vorging.

„Sie haben in meiner Abwesenheit Ihre älteren Rechte auf diese Dame geltend gemacht,“ sagte er in gemacht leichtem Ton. „Gut, hier ist nicht der Ort, wo über dergleichen gestritten werden darf. Aber ich freue mich, daß Sie mich zur rechten Zeit über einen verhängnißvollen Irrthum aufgeklärt und mir damit die beste Handhabe für meine Klage vor dem Gesetz gegeben haben.“

Er wandte sich nach der Thür. Konrad konnte vor Erregung noch kein Wort finden, Miß Sikes aber trat zitternd an den Maler heran und sagte:

„Sie sind es, der sich in einem verhängnißvollen Irrthum befindet. Magdalene ist unheilbar geisteskrank.“

Lemberg zuckte verächtlich die Achseln und öffnete die Thür. Da stürzte Magdalene voller Todesangst auf ihn zu.

„Verlaß mich nicht!“ schrie sie gellend. „Du darfst nicht noch einmal fort – ich kann nicht leben und wachen ohne Dich. Ich verzeihe Dir alles, alles – aber nimm mich mit! Ich will noch nicht sterben – das Wasser ist so trübe, die Weide rauscht so traurig – ich habe auch keine Blumenkränze – und Du …“

Schluchzen erstickte ihre Worte, ihre Augen starrten mit unnatürlich erweiterter Pupille und dem leeren Blick nach ihm, den er ihnen einst auf seinem Bilde gegeben hatte.

„Ophelia,“ schrie er auf, und von Grauen erfaßt, machte er sich aus den ihn umklammernden Armen los, stürzte aus dem Zimmer, dem Hause, und hinaus in den dunkeln Herbstabend, der trüb, mit schweren, grauen Wolken auf der Stadt lagerte.

Die Unglückselige aber, die eben vom Gipfel höchsten Glückes in den Abgrund tiefster Verzweiflung geschleudert worden war, lag in Krämpfen auf dem Fußboden, für einen Augenblick von aller erträumten Qual und Glückseligkeit befreit.

Der erschütterte Konrad verließ die Frauen mit dem Versprechen, einen Arzt zu schicken und am nächsten Morgen zu weiterer Rücksprache bei Miß Sikes zu erscheinen.

Ihn fror. Wie traurig war das Leben! Es giebt kein Entrinnen vor dem Leid der Vergangenheit; düster überragt es alles Glück der Gegenwart und seine Schatten verdunkeln die Sonne, die eben hereinbrechen will. – – – – – – – – – –

(Schluß folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_562.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)