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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Kranzjungfauen und den Brautführern, ebenfalls ein Ehrentanz zusteht. In Magdeburg war es Sitte, daß der Geistliche bei dem Hochzeitstanze anwesend war und sogar die Braut zu ihrem Ehrentanze anführte, wie man in früheren Zeiten überhaupt keinen Anstoß daran nahm, wenn Geistliche, was namentlich bei fürstlichen Festlichkeiten sehr oft vorkam, in den Tanzsälen zugegen waren. Ist doch in einigen Chroniken zu lesen, daß Geistliche entweder selbst tanzten oder zum Tanz die Fiedel strichen.

Zum Tanze wurde in Deutschland von den frühesten Zeiten an und das ganze Mittelalter hindurch gesungen, und zwar sang gewöhnlich nur eine Person, während die anderen nur den Kehrreim mitsangen. Mit dem Gesange wechselten dann die Spielleute ab; früher waren dies nur Trommler und Pfeifer, später kamen dann noch Geigen, Zinken, Posaunen, Trompeten und die Drehleier sowie die Laute hinzu und erst mit dem 18. Jahrhundert erhielt die Tanzmusik eine Zusammenstellung von Instrumenten, wie dies in der Hauptsache heute noch üblich ist; gleichzeitig erschien auch das Klavier in den Tanzsälen.

Bis zum Eintritte der Reformation hatte sich sowohl auf dem Lande, als auch in den Städten eine Unzahl charakteristischer Tänze herausgebildet, die meisten derselben gingen jedoch in den verheerenden Zeiten des Dreißigjährigen Krieges spurlos verloren. Immerhin ist aber noch eine solch große Anzahl auf unsere Zeit überkommen, daß man mit der Beschreibung aller ganze Bücher füllen könnte; hat doch jedes Land und jeder Gau seine eigenen Tänze.

Zu einer Zeit, wo die Innungen in höchster Blüthe standen, also vom 15. Jahrhundert an, hatte auch jede Innung ihren eigenen Tanz, der indeß nur einmal im Jahre, an den sogenannten Jahrtägen der Innungen getanzt wurde. In manchen Städten genossen aber auch einige Innungen das meist von den Kaisern ihnen verliehene Recht, an bestimmten Tagen öffentlich auf Straßen und Plätzen gewisse Tänze aufführen zu dürfen, welche übrigens nur von den Gesellen und Lehrjungen ausgeführt wurden, während die Frauen und Töchter der Handwerksmeister sich nicht daran betheiligten. Diese Zunfttänze waren besonders in der alten Reichsstadt Nürnberg heimisch, wo sämmtliche Zünfte ihre eigenen Tänze hatten. Besonders hervorgehoben zu werden verdienen der Schwerttanz der Messerschmiede in Nürnberg, Frankfurt, Augsburg, Braunau und der Fleischer in Zwickau, der Fahnentanz der Nürnberger Tuchmacher u. a. m.

Der bekannteste unter den Handwerker- oder Zunfttänzen dürfte wohl der Schäfflertanz sein, der sich bis heute erhalten hat und von dem die „Gartenlaube“ 1879, Nr. 6 eine anschauliche Abbildung gebracht hat. Er wird von den Münchener Böttchergesellen infolge eines kaiserlichen Privilegiums alle sieben Jahre im Fasching aufgeführt. Die Böttcher (in Bayern auch Schäffler und in Schwaben Kübler genannt) erscheinen bei diesem Tanze in der Tracht der Edelknaben zuerst vor der Kgl. Residenz, wo sie, mit Buchszweigen und farbigen Bändern verzierte Reifen in den Händen tragend, unter der Melodie eines eigenen Liedes ihren Tanz, den sie den „großen Achter“ nennen, aufführen. Nach Beendigung des Tanzes stellt jeder ein gefülltes Weinglas in seinen Reif und schwingt den letzteren über seinem Haupte im Kreise herum, wobei weder das Glas zu Boden fallen, noch der Wein verschüttet werden darf; sodann wird auf den Regenten die „G’sundheit“ ausgebracht und das Glas leer getrunken. Unter Vorantritt einer Musikkapelle treten die Schäffler alsdann den Marsch vor die Wohnungen anderer angesehener Personen und schließlich vor eine Reihe Wirthshäuser an, wo jedesmal der Tanz wiederholt wird. Dieser Tanz, der schon oft Malern Stoff für ihre Darstellungen geliefert hat, wird auch noch in einigen anderen Städten, so namentlich in Nürnberg und Salzburg, zu gewissen Zeiten aufgeführt, als einziger Ueberrest echter volksthümlicher Tänze.

Die Ausschreitungen, zu welchen das Tanzwesen gegen das Ende des Mittelalters geführt hatte, riefen im Reformationszeitalter eine förmliche Literatur gegen den „Tantzteuffel, d. i. wider den leichtfertigen unverschempten Welttantz und sonderlich wider die Gottszucht- und ehrvergessene Nachttentze“[WS 1] hervor. Dieser Krieg dauerte fort bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts. Wie die Deutschen damals in allem die Franzosen nachahmten, so thaten sie es auch mit den Tänzen: die alten deutschen Reihentänze und Schleifer verschwanden an den Höfen und in den Städten, um den französischen Menuetten, Sarabanden, Gavotten, Müsetten etc. Platz zu machen, die sich theilweise bis in das 19. Jahrhundert hinein erhielten, wo sie wieder von anderen fremden Tänzen, z. B. Ecossaise, Redowa, Imperial, Anglaise etc. verdrängt wurden, die dann abermals den modernen Rundtänzen Platz machen mußten. Neben den fremden Tänzen Polonaise, Mazurka, Schottisch, Polka, Lancier und Française erfreuen sich zwei echt deutsche Tänze in der Neuzeit besonderer Gunst, es sind dies der Ländler und der Walzer. Letzterer, der mit Recht als echt deutscher Nationaltanz bezeichnet wird, entstand wahrscheinlich aus dem alten Ländler. Von alten Walzermelodien hat sich bis jetzt namentlich das bekannte Spottliedchen „O du lieber Augustin“ erhalten, das auf einen Sackpfeifer Augustin, der zu Ende des 17. Jahrhunderts in Wien lebte, gedichtet wurde. Zuerst gewöhnlicher Volkstanz, wurde der Walzer vom Jahre 1787 an in Deutschland allgemein üblich und in der Neuzeit ist er durch Lanner, den älteren Strauß u. a. zum beliebtesten Tanze geworden.

Ehe wir unsere Skizze schließen, müssen wir noch der ländlichen Tänze gedenken, die zwar leider immer rascher auszusterben beginnen, in denen aber solch charakteristische Züge echter Volkssitte sich wiederspiegeln, daß manche davon werth wären, der Vergessenheit entrissen zu werden.

Auf dem Lande wurde früher ebenso wie in den Städten an allen Sonntagen, mit Ausschluß der sog. geschlossenen Zeiten, die heute noch beachtet werden, getanzt; die hauptsächlichsten Tanzgelegenheiten waren aber neben Hochzeiten Kirchweihe und Fastnacht, die Pfingstzeit mit den Maitänzen, das Erntefest, das Johannisfest und endlich der St. Katharinentag als letzter Tanztag im Jahre.

Wohl einzig in seiner Art war ein in Langenberg bei Gera üblicher Tanz, welcher der „Fronentanz“ genannt wurde. Dieser Tanz, zu welchem sich die Bauern, sowohl Männlein als Weiblein, aus den umliegenden Ortschaften einfinden mußten, fand auf dem Markte unter einer alten Linde statt und wurde von dem Stadt- oder Landknechte mit einem Mädchen, das er aus den Umstehenden auswählte, eröffnet. Hatte nun der Stadtknecht seinen Umtanz gehalten, so waren die Bauern verpflichtet, ebenfalls mit Tanzen zu beginnen und ohne Ruhepause solange fortzutanzen, bis sie nebenher noch ein Faß Bier ausgetrunken hatten. Dieser Tanz, bei welchem auch der Stadt- und Landrichter zu erscheinen hatte, mußte jedes Jahr am dritten Pfingsttage abgehalten werden, gleichviel ob es regnete oder stürmte, ob gute oder schlechte Zeiten über das Land gekommen waren. Den Ursprung dieses Tanzes leitet man bis in das 10. Jahrhundert zurück, und zwar erzählt die Sage, daß Heinrich der Vogler an einem dritten Pfingstfeiertage durch Langenberg gekommen sei, um nach Leipzig zu reisen. Außerhalb der Stadt blieb nun sein Fuhrwerk an einer Steige stecken, so daß der König Vorspann verlangen mußte, welcher ihm aber verweigert wurde, da sich jung und alt eben unter einem Bäume vergnügte und niemand von dem Tanzplatze weggehen mochte. Hierüber sei nun Heinrich so sehr erbost worden, daß er einen Fronentanz angeordnet habe, welcher alljährlich am dritten Pfingsttage abgehalten werden mußte.

Andere eigenthümliche Bauerntänze waren der Siebensprung, welcher nur von einem Paar getanzt wurde und wobei der Bursche sich niederknieete und in sechs weiteren Stellungen (Sprüngen) allmählich so weit auf den Boden kam, daß er denselben mit der Nase oder Stirn berührte, ferner der Hahnentanz, der Holzäpfeltanz, der Hammeltanz, der Schuhplattltanz und noch viele andere. Ueberdies haben die Bauern in vielen Gegenden bei Hochzeiten und Erntefesten noch besondere Tänze. Die früheren Tänze der Bauern bestanden gewöhnlich in Ringelreihen, die aber längst aufgegeben und vergessen sind – andere Zeiten, andere Sitten!

Ob die Tänze der Gegenwart etwas Schönes seien oder nicht, darüber sind die Ansichten getheilt. Mancher Lobredner der alten Zeit hegt wohl, wenn er heutzutage in einem Tanzsaal aufmerksam die tanzenden Paare betrachtet, wie sie in rasender Eile dahinstürmen, hochgeröthet und fliegenden Athems, den aufrichtigen Wunsch, daß der deutsche Tanz wieder zur alten Strenge und Einfachheit zurückkehren möchte. Andererseits aber wird man doch auch nicht verkennen dürfen, daß die heute üblichen Rund- und Kontretänze, richtig und sinngemäß betrieben, in der Erziehung der Jugend zur Anmuth und Gewandtheit der Bewegung, in der Weckung des Sinns für Maß und Ordnung, für Rhythmus und Harmonie eine keineswegs zu verachtende Rolle spielen.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Florian Daul: Tantzteuffel, Frankfurt 1567 MDZ München
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_572.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)