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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

brach sich in einem heftigen Schluchzen Bahn. Plötzlich fuhr sie auf . . . Konrad – was würde er sagen, wie würde er leiden, was mochte vorgegangen sein? Vielleicht war er betheiligt. – Ihr Herz zog sie zu ihm. Da waren alle Bedenken, aller Stolz, aller Trotz ganz verschwunden vor dem einen Gedanken: es wird ein großer Schmerz für den Geliebten sein und du mußt ihn ihm tragen helfen, ihn trösten, ihm zeigen, daß du ihm auch in ernsten Lebensstunden etwas sein kannst.

Zögernd sagte sie zu Tante Lina: „Ich möchte Konrad sprechen.“

„Er ist gewiß benachrichtigt,“ meinte die Tante, „aber wenn Du meinst, können wir ja hinschicken.“

„Nein, nein, ich möchte selbst hin,“ sagte Gertrud. „Gehst Du mit?“

„In sein Hotel? Gott bewahre, Kind – Ihr seid noch nicht verlobt, und selbst dann wäre es ein unpassender Schritt, der Deines Vaters Billigung schwerlich finden würde.“

„Darauf käme es mir jetzt nicht an,“ sagte Gertrud trotzig. „Ich gehöre zu Konrad, und es ist für unser ganzes kommendes Leben von Wichtigkeit, daß ich jetzt bei ihm bin.“

„So lasse ihn bitten, sofort zu kommen,“ redete Tante Karoline zu.

„Darüber vergeht zu viel Zeit, und Miß Sikes kommt mir zuvor, und . . . ach, Tante, ich kann nicht anders, ich muß zu ihm, – und ich gehe allein, wenn Du nicht mitkommst!“

„Das darf ich nicht, und ich dulde auch einen so auffallenden Schritt von Deiner Seite nicht. Dein Vater hat Dich mir übergeben, – Du weißt selbst noch nicht, ob er diese Verbindung billigen wird.“

„Das wäre mir jetzt gleichgültig,“ rief Gertrud mit glühenden Wangen. „Ich ginge doch mit Konrad.“

Tante Lina schlug entsetzt die Hände zusammen, aber sie kam zu keiner Erwiderung, denn das Mädchen meldete: „Herr Rechtsanwalt Herrendörfer“.

Gertrud flog ihm jauchzend entgegen, warf sich in seine Arme, trotz der Anwesenheit der Tante, und er, auf eine kleine Scene gefaßt, machte sie heute nicht auf den Wunsch des Vaters aufmerksam, – weich gestimmt, wie er nach dem gestrigen Erlebniß war, küßte er sie zärtlich, gab ihr tausend Schmeichelnamen und schmückte sie mit den duftenden Rosen, die er ihr gebracht hatte.

Tante Lina hatte sich entfernt. Sie wollte kein strenges Wort in die junge Glückseligkeit hineinreden – sie ging still ins Nebenzimmer, und vielleicht wanderten ihre Gedanken zu den eigenen, längst vergangenen Rosentagen.

Konrad war noch ahnungslos. Er wollte nach den gestrigen Erfahrungen mit Gertrud nicht von der Tragödie sprechen, die er mit erlebt hatte, – obgleich sie ihn unausgesetzt beschäftigte.

Sollte der Elende seine Drohung wahr machen und seinen, Konrads, Namen in die Scheidungsklage verwickeln, dann mußte er eben das Weitere abwarten. Jedenfalls wollte er nicht mit Gertrud, sondern mit deren Vater vorher die Angelegenheit besprechen.

Höchlich überrascht war er, als Gertrud ihn plötzlich fragte, was Miß Sikes gestern noch von ihm gewollt habe.

Sie sagte ihm, wodurch sie von seinem Besuche unterrichtet sei, und als er zögerte, bat sie ihn so inständig, als Zeichen, daß er ihr ihre gestrige Unvernunft vergeben habe, – ihr von allem zu sprechen, so daß er ihr schließlich die Vorkommnisse des Abends kurz berichtete, auch mit der peinlichen Wendung, die sie zuletzt für ihn genommen hatten, – und von seiner Verabredung mit Miß Sikes, sie noch vormittags aufzusuchen.

„Sie erwartet Dich also,“ sagte Gertrud leise, – „daher . . .“

„Was?“

Und da legte sie den Kopf an seine Schulter, umschlang ihn fest mit ihren Armen und erzählte ihm unter Thränen von dem tragischen Ende der schönen Ophelia.

Eine Weile schwieg er erschüttert. Er war sehr blaß geworden und ein heftiges Frösteln durchschauerte ihn.

„Also das mußte das Ende sein!“ sagte er leise. „Arme Magdalene!“ Er legte die Hand über die Augen – „und arme Miß Sikes!“ sagte er, sich gewaltsam zusammennehmend und schnell aufstehend. „Ich muß sofort hin; ich will ihr in jeder Weise beistehen, was ich ihr gestern verweigern mußte.“

„Nimm mich mit,“ bat Gertrud; „es giebt da gewiß manches für eine weibliche Hand zu helfen!“

Er überlegte. „Und Dein Vater?“ fragte er.

„Er wird es billigen, daß ich jetzt bei Dir bleibe, – da ich durch nichts mich von Dir trennen lassen würde.“

„Und wenn Dein Vater Dir sagte, daß ich Deiner Liebe nicht würdig wäre?“

Ein ungläubiges Lächeln flog über ihr Gesicht, das erste heute. Sie erwiderte kein Wort, – aber sie lehnte sich fest, fest an ihn, – und ihre glänzenden Augen sagten: „Du bist der Herrlichste, der Beste, – und ich das glückseligste Weib!“ – – –

Er nahm sie nicht mit in das Sterbehaus. Sie war der armen Miß Sikes immerhin eine Fremde, während er selbst sich zu ihr gehörig fühlte. War sie doch der einzige Halt des armen, verlorenen Weibes gewesen, dem einst seine heiße Liebe gehört hatte, und in dieser Stunde ernster, schwermüthiger Trauer gelobte er sich, ihre uneigennützige Treue nie zu vergessen, sich ihr gewissermaßen als Ersatz für das verlorene Schmerzenskind zu bieten.

Er fand sie gefaßter, als er gedacht hatte. Ihre Thränen flossen zwar unaufhörlich, und ihr Gesicht schien noch spitzer und vergrämter, – aber ihre strenge Religiosität hinderte sie daran, sich in ihrem großen Schmerz gehen zu lassen.

„Die Aermste konnte nicht wissen, was sie that, – wenn wir nicht einen Unglücksfall annehmen wollen,“ – tröstete Konrad sie. „Die Vorstellung des unglückseligen Bildes muß sie immer verfolgt haben.“

Und er erzählte ihr von Gertrud Heins Zusammentreffen mit Magdalene, und wie sie von dem Teich unten und den Weiden gesprochen habe.

„Meine Ahnung führte mich auch sofort hinunter,“ schluchzte Miß Sikes, „als ich erwachte und ihr Bett leer fand. Sie hat den kleinen Garten immer geliebt. Wir liefen sofort hinunter, mein Mädchen und ich, – da lag ihr Tuch halb auf dem Steg, halb im Wasser, – und da haben wir sie denn auch bald gefunden. Der Arzt sagt, ein Schlagfluß müsse sie getroffen haben. Ihr liebes schönes Gesicht zeigt keine Spur eines Kampfes, – nur ein wenig ängstlich erstaunt sieht sie aus . . . o Gott, der Bube, der dieses holde Geschöpf vernichtet … möge die Strafe des Himmels ihn treffen!“

„Die hat ihn längst ereilt,“ sagte Konrad. „Er konnte Großes leisten und ist in den Schlamm gesunken, – und er ist sich dessen auch in vollem Maße bewußt. Eine härtere Strafe giebt es kaum für ihn. Doch jetzt nichts mehr von ihm! Lassen Sie mich Ihnen helfen, verehrtes Fräulein, – später will ich Ihnen noch einen andern Beistand bringen.“

Er erzählte ihr flüchtig von seinem jungen Glück, – und sie mit dem Edelmuth großer Naturen nahm theil daran, trotz ihres großen Schmerzes, trotz der Bitterkeit, die in ihr aufstieg, wenn sie bedachte, wie anders das Los ihres todten Lieblings an dieses Mannes Seite gewesen wäre.

Sie besprachen dann das Nothwendige, – und wenn möglich, so fand die arme Miß Sikes einen Trost darin, daß die Widerwärtigkeiten des drohenden Scheidungsprozesses ihr und ihrem Liebling fern geblieben waren.

Magdalene hätte unendlich leiden müssen, auch wenn ihr nicht ganz klar geworden wäre, um was es sich handelte, – nun ruhte sie in Frieden!

Ja, träumerische Ruhe, tiefer Friede, aber zugleich eine staunende Frage lag auf den wunderbar schönen, edlen Zügen. – In der fremdartigen Blumenpracht ihres Zimmers, in dem sie so lange geträumt, ruhte sie nun selbst wie ein verkörperter Traum von hinreißender Schönheit und Holdseligkeit.

Lange stand Konrad bei dem Lager, und wunderliche, hohe, ihm sonst nicht vertraute Gedanken zogen durch seine Seele.

Endlich beugte er sich nieder, küßte die kalte Stirn und legte die Rosen, die ihm Gertrud für sie gegeben hatte, in die schönen, starren Hände.

Alle Bitterkeit, die unbewußt die langen Jahre hindurch in ihn, gewirkt und ihm die Welt vergällt hatte, schwand aus seinem Herzen, und voller Wehmuth, aber innerlich frei, nahm er Abschied von dem Traume seiner Jugend, das Leben lag klar und reizvoll vor ihm. – – – – – – – – – – – – – –

Am Abend des nächsten Tages kehrte Gertruds Vater von Berlin zurück. Frohen Herzens wollte er nun, nach allem, was er über Konrad gehört hatte, den Bund seines Kindes segnen. Er fand zu seinem Erstaunen Konrad bereits als erklärten Bräutigam

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