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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Und verdenken kann ich es Euch wahrlich nicht, daß Ihr Euer Land befreien wollt! Ein jedes Volk soll Herr in seinem Hause sein, und wie Ihr, so würde auch ich denken und handeln, hätte mich der Zufall in Sicilien das Licht des Lebens erblicken lassen.“

„So sprecht Ihr?“ rief das Mädchen mit leidenschaftlicher Erregung. – „So seid Ihr denn ein Freund des sicilischen Volkes?“

„Warum sollte ich es nicht sein? Haben wir Schweizer doch auch unsere Freiheit erkämpft! Dasselbe Recht habt auch Ihr! Eine Furcht aber kenne ich, seitdem ich dies Land und seine Bewohner kenne …“

„Eine Furcht? ein Offizier?“

„Die Furcht, daß der Rock, den ich trage, und der Eid, den ich geleistet habe, mich eines Tages zwingen könnten, meine Pflicht als ehrlicher Soldat gegen dies Volk – gegen Euch – zu erfüllen!“

„Nein! nein!“ rief bei diesen Worten das Mädchen, „das kann, das darf nicht sein!“

„So würdet Ihr mich lieber als Euern Freund an Eurer Seite sehen?“

Sie schwieg, die Frage setzte sie in Verlegenheit, sie wußte selbst nicht, warum.

„Oder,“ fuhr Eckart mit scherzendem Ernste fort, „würdet Ihr wirklich einen neuen Ruggiero heraufbeschwören, um uns alle sammt und sonders wie Sarazenen in Stücke zu hauen?“

Ihr Auge flammte wieder auf wie vorhin.

„Graf Ruggiero,“ antwortete sie nach kurzem Zaudern, „war auch ein Fremder; einen Fremden braucht Sicilien nicht mehr; Siclien wird sich selber befreien!“

Der Offizier ließ sein Auge mit bewunderndem Staunen auf dem Mädchen ruhen, das so ruhigen und festen Sinnes sich mit ihm über all diese Dinge unterhielt. Wie kam dies einfache Bürgerkind dazu, vom Conte Ruggiero, dem ersten Normannenherzog, zu sprechen? wie kam es dazu, die alten Inschriften entziffern zu wollen? wie kam es dazu, mit solcher Unerschrockenheit einem königlichen Offizier gegenüber die bevorstehende Vernichtung der Fremdherrschaft zu verkündigen? Unwillkürlich kam ihm dabei die Gräfin von Cellamare in den Sinn. Wie ganz anders war doch diese Unbekannte! Und wie fühlte er sich ergriffen von den Gesinnungen, denen sie Ausdruck gab, wie zu ihr hingezogen durch ihr ganzes Wesen, durch die liebliche Weiblichkeit, die aus ihrem Antlitz strahlte, durch die Tapferkeit ihrer Vaterlandsliebe, durch den Seelenadel, der aus jedem ihrer Worte sprach!

„Warum schaut Ihr mich an?“ fragte das Mädchen.

„Ich staune ob Eurem Wissen, ob Eurer Sprache, ob Eurer Gefühle, Signorina! Möget Ihr mir’s nicht verübeln – aber man ist nicht gewöhnt, im Süden – bei einem Mädchen – solche …“

Die Begleiterin, die bis dahin der Unterhaltung stumm zugehört hatte, unterbrach ihn und mit einem Ausdrucke von strahlendem Stolze rief sie aus:

„Ja, Herr Offizier! unsere Felicita kann lesen und schreiben! Sie ist nicht wie die andern! Sie ist die beste von allen in ganz Sicilien!“

„Das glaube ich gern,“ erwiderte lächelnd der Hauptmann. „Aber darf ich fragen, Signorina, wie es kommt, daß Ihr so ganz anders seid als Eure Gefährtinnen? und welchem Umstande habt Ihr diese für Sicilien so seltene Erziehung zu verdanken?“

„Mein Vater wollte es so. Er haßt die Unwissenheit der Frauen. Er pflegt zu sagen, daß die Bildung der Frauen der Samen sei, aus welchem die Macht, die Freiheit und der Ruhm eines Volkes erblühen, und weil die Normannenfürsten die Frauen ehrten, darum liebt sie mein Vater so sehr – wie auch, weil sie es waren, die zum erstenmal ein unabhängiges Fürstenthum Sicilien gründeten!“

„Euer Vater ist ein kluger Mann und wie ein Weiser spricht er; – wer ist Euer Vater?“

Das Mädchen stand im Begriffe zu antworten, als die andere es am Rocke zupfte und ihm ein paar schnelle Worte ins Ohr raunte.

„Mein Vater,“ antwortete zögernd das Mädchen, – „ist … ein bescheidener Bürger aus Messina.“

„Wohnt er dort?“

„Wir besitzen ein kleines Landhaus in der Nähe der alten Normannenkirche, im Thale der Badiazza.“

Ein Fenster klirrte oben in dem ersten Stockwerke.

„Felicita!“ rief eine scharfe tiefe Stimme herunter.

Sie fuhr zusammen. –

„Ich komme, Vater!“ antwortete sie, und, ihre Mantille zusammenfassend, winkte sie dem Offizier einen zögernden Gruß zu, als frage sie sich, ob sie denn jetzt schon und so rasch wieder Abschied von ihm nehmen müsse.

Die Blume, mit welcher ihre Finger spielten, fiel dabei zur Erde. Sie bückte sich rasch nach ihr hin; ihre Hand kam aber zu spät, schon hielt Eckart die Blume in der seinigen – und von seiner Hand fühlte sie plötzlich die ihre umfaßt, mit so warmem festen Drucke … es schien ihr, als ergösse sich von dieser Hand eine wonnige Gluth bis zu ihrem Herzen … Es war ein Augenblick nur und es schien ihr eine halbe Ewigkeit. Sprachlos schauten sich die beiden in die Augen.

Eckart wollte sprechen; er fand die Worte nicht.

Wie durch einen Traum schien es ihm, als hörte er sie sanft und leise flüstern: „Wer die Blume hält, dem gehört sie zu!“ – und rasch entrang sich ihm ihre Hand, – und unter den Gewölben des Kreuzganges verschwanden die beiden Frauen.

Eine Pforte öffnete sich zu den inneren Klosterräumen. Dort wehte des Mädchens Schleier. Ohne sich zu besinnen, eilte Eckart dem winkenden Zeichen nach.

Unter der Gartenthür hinter ihm standen unbeweglich zwei Gestalten, die lautlos diesen Vorgang beobachtet hatten. Leichenblässe bedeckte das Antlitz der Gräfin; ihre zusammengepreßten Lippen bebten, ein racheglühender Ausdruck belebte ihre funkelnden Augen, und hastig drängte sie den Abbate, um dessen Mundwinkel ein eisiges ironisches Lächeln spielte, zum Aufbruch.

(Fortsetzung folgt.)




Steinerne Schätze.

Mit Zeichnungen von Prof. Fr. Keller.

Auch Steine können reden, und redende Steine sind in der That jene über einander geschichteten Schiefermassen der Steinbrüche bei Solnhofen in dem bayrischen Bezirk Mittelfranken, die wir auf den trefflichen Bildern von Prof. F. Keller erblicken.

Die Forscher haben es verstanden, diese Sprache zu deuten, und sie haben uns Staunen erregende Aufschlüsse über längst vergangene Zeiten gegeben.

Was in Solnhofen durch die Hand der rastlos schaffenden Arbeiter ans Tageslicht gefördert wird, das ist nicht allein nützliches Gestein, das sind auch wirkliche Blätter aus dem Riesenbuche der Erdgeschichte.

Die mächtigen Lagen des lithographischen Schiefers entstanden nicht auf einmal in den Entwickelungswehen des Erdballs. Sie sind langsam in Jahrhunderten und Jahrtausenden gewachsen.

Ueber dem jetzt blühenden Lande, das mit Städten und Dörfern besät ist, fluthete einst ein Meer, und die Stelle, an der wir jetzt den Steinbruch erblicken, bildete eine stille Bucht der längst verschwundenen See.

Der Grund derselben war mit tiefem Schlamm bedeckt und aus dem benachbarten Hochlande brachte ein Fluß neue kalkreiche Niederschläge hinzu.

Ein reges thierisches Leben herrschte an den Ufern und in den Tiefen des Wassers; aber sonderbare Arten waren es, die sich hier des Daseins erfreuten und – zu Grunde gingen: Wesen, wie sie kein menschliches Auge jemals gesehen hat; denn in jener altersgrauen Epoche herrschte noch nicht der Mensch auf Erden. Aber die Erde schrieb damals selbst ihre Geschichte, in dem Schlamm des Meeres versanken die Ueberreste der damaligen Thierwelt, der Schlamm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_587.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)