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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

seines Hundes die Schafe zusammentrieb und sich dann in seine mit duftendem Gras gefüllte Schäferkarre verkroch.

Die Nacht war längst gekommen, als das Paar unten in seiner Hütte auf dem Crestaltahügel anlangte, denn der Weg die Fuorcla hinunter war sehr beschwerlich und mehr denn einmal hatte der kräftige Beppo sein junges Weib über das steinige Geröll und einzelne Schroffen hinabtragen müssen – wie in der früheren schönen Kinderzeit.


8. Herbststürme.

Eine Wohnung konnte man die Behausung des wackeren Fra Battista auf dem Crestaltahügel nicht nennen – nur ein paar Mauerecken früherer Gebäude standen noch dort und zwischen ihnen, unter einem nothdürftigen Dach von Stämmen und Zweigen, hatten der Mönch und sein Maulthier seit Jahren Schutz gegen Wind und Wetter gefunden. Es war also nicht viel, was er dem jungen Paar anbieten konnte, als er es in der Entrüstung über Madulanis Unbarmherzigkeit mit sich hierher nahm, aber die gute That sollte ihm selbst zum Segen werden, denn durch die Büssin und ihren Clo war noch am selben Sonntagabend heimlich ein ordentliches Lager hinaufgeschafft worden, dem am folgenden Tage ebenso heimlich noch andere nothwendige Gegenstände folgten, welche Mutter Barbla ihren Kammern und Vorräthen entnommen hatte. Zugleich hatte Beppo, bald von Clo unterstützt, eine Anzahl Lärchenstämme gefällt, mit denen die klaffenden Oeffnungen der beiden Räume geschlossen wurden. Fra Battista erhielt dadurch selbst ein trockenes Obdach. Auch das Maulthier bekam einen neuen Stall, es würde also der Aufenthalt in diesen Steintrümmern ein für alle Betheiligten ganz angenehmer. Ringsum standen grüne Arven und Tannen, die einfallenden Sonnenstrahlen vergoldeten den Moosgrund – so lange der Sommer dauerte. Aber war er vorüber – was dann?

Das war nicht die einzige Sorge, die den guten Mönch beschäftigte. Zwar hatte er selbst es weit besser in Gesellschaft der jungen Leute; er erhielt nahrhafte, warme Speisen, die Aninia auf dem Steinherd zubereitete, schlief dabei in dem ehemaligen Stalle seines Grauthiers weit besser, bequemer und geschützter als früher in seinem niederen Gewölbe, aber er fühlte sich nicht wohler dabei. Im Gegentheil! Seit seinem überhasteten, anstrengenden Ritt nach dem fernen Chur und seiner noch beschwerlicheren Rückreise spürte er die stündliche Mahnung, daß es bald mit ihm zu Ende gehen könnte. Doch hütete Fra Battista sich wohl, seine jungen Freunde etwas von seinem bedenklichen körperlichen Zustande merken zu lassen. Er war heiter wie immer und suchte gesprächsweise, mit scheinbarer Unabsichtlichkeit, ihren Muth zu stählen für die herannahenden schweren Zeiten, die er nur zu deutlich ahnte.

Dann und wann sahen die beiden auch Mutter Barbla. Der guten, stets sorgenden Frau wurde es nicht leicht, sich heimlich von Hause fortzustehlen und unbeachtet den Gang nach dem Crestalta zu machen. Doch sie kam meistens am frühen Morgen, wenn sie ihre Kinder noch in ihrem elenden Heim wußte, und wie sie Trost brachte, so kehrte sie auch stets selbst getröstet wieder nach Surley zurück, denn sie sah, daß Aninia glücklich war, und das genügte der Mutter vor der Hand.

Als sie dann gar eines Tages die Tochter zu ungewohnter Zeit überraschte und von dieser erfuhr, was der guten Frau Barbla als das Heil aller erscheinen wollte, da schwoll ihr Herz von Hoffnung und Freude: jetzt konnte der Vater seinem Kinde die ersehnte Verzeihung nicht mehr vorenthalten – so meinte die Gute. Gian Madulani hatte just seine Fahrt nach dem Comersee angetreten, und noch eine lange – für Mutter und Tochter allzulange Zeit mußten sie warten, bis ihm die Mittheilung gemacht werden konnte, die ihnen allen das Glück bringen sollte.

Da Frau Barbla und Aninia in ihrer seligen Freude glaubten, fest auf eine Versöhnung mit dem Vater hoffen zu dürfen, drang Aninia, angesichts des sich mit raschen Schritten nähernden Herbstes, selbst nun auf die Heimfahrt Beppos, damit er noch zu einigermaßen guter Jahreszeit wieder bei ihr sein könnte, und er eilte auf die Alpe und ordnete so rasch als möglich den Abtrieb der Herde, der über den Kamm der Fuorcla und des Munt Arlas, dann durch das Rosegthal nach Pontresina, von dort über den Berninapaß stattfinden sollte. Am anderen Morgen in der Frühe wollte er auf dem Abhang des Munt Arlas zu Paolo stoßen und dann sollte es so rasch als möglich heimwärts gehen.

Die Nacht sank herein, als Beppo, ehe er den schweren Abschied von seinem Weibe nehmen sollte, sich noch vor Fra Battista niederwarf, der ihm schweigend die Hand auf den wirren Krauskopf legte. Wenn auch der arme Hirte keiner schönen Worte fähig war, so bewegte sich in seinem Herzen lebhaft die dankbare Liebe zu dem milden Greis, den er wie einen Heiligen verehrte. Ein Schluchzen brach aus seiner Brust, während er die Lippen auf die welke Hand des Alten senkte. Fra Battista strich ihm mit der anderen über die Haare und sagte:

„Ziehe mit Gott in Deine Heimath, mein Sohn, und kehre bald, heil und ungefährdet an Körper und Seele, zu Deinem jungen Weibe zurück. Und nun höre, was ich Dir noch zu sagen, ganz besonders ans Herz zu legen habe, und merke Dir meine Worte wohl, es sind vielleicht die letzten, welche ich an Dich richten darf, denn ich fühle mein Ende nahe, und wenn Du wiederkehrst, wirst Du wohl statt des alten Fra Battista ein Grab hier im Walde finden. – Glaube nicht, daß Ihr beide am Ende Eurer Prüfungszeit angelangt seid; das Herz des Vaters Deiner Aninia wird auch jetzt noch hart wie Stein bleiben. Was Euch aber auch auferlegt sein wird, was Ihr noch zu erdulden habt, ertragt’s ohne Murren, mit Geduld und Ergebung. Ganz besonders richte ich diese Mahnung an Dich, Beppo; Du bist gut, reinen Herzens, doch schwach und lenksam wie ein Kind. Halte den Bösen Dir fern, der sich in Deinen Gedanken Dir nähern wird; murre nicht über Deine Armut, beneide den Reichen nicht um sein Hab und Gut, und suche nie – hörst Du, niemals! – auf unrechtem, sündigem Wege die Kluft auszugleichen, die Dich von ihm trennt, überlasse dies der Weisheit des Herrn! – Und nun gehe zu Deinem Weibe, das jetzt allein noch ein Recht auf Dich hat, und überlasse mich der Ruhe – ich fühle mich matt und nicht wohl. Gehe mit Gott und gedenke stets der Worte Deines Priesters – Deines väterlichen Freundes. – Leb’ wohl !“ –

Mit den letzten Worten zog er den Knieenden zu sich empor, umarmte, küßte ihn, dann drängte er ihn fort. Tief ergriffen und gerührt, ohne imstande zu sein, nur ein Wort zu erwidern, verließ Beppo den kleinen Raum und kehrte zu Aninia zurück. –

Am andern Morgen in der Frühe nahm Beppo noch einen langen Abschied von seinem Weibe, dann riß er sich gewaltsam los und stürmte davon. Aninia blieb in Thränen zurück, aber Fra Battista stand ihr als Tröster zur Seite, und bald kam auch die Mutter, die lange Staschia, die Frau des Clo, welche zum erstenmal den Crestalta erstieg, mit sich führend. Das war ein rechter Trost für die arme junge Frau, denn Staschia war ihr immer eine gute Freundin gewesen. Aninia durfte hoffen, sie von jetzt an öfter zu sehen, wie auch die Mutter, denn der Vater war ja noch immer draußen, und wenn er heimkehrte, – ach! dann sollte ja all ihr Leid zu Ende sein – wie die Aermste im Verein mit der Mutter wähnte.

Die öftere Anwesenheit der beiden Frauen, zu denen sich bald noch die Büssin, die Mutter des Clo, gesellte, war in der Thal ein rechter und dabei höchst nothwendiger Trost für Aninia, denn Fra Battista wurde immer schwächer und hinfälliger und konnte schließlich sein armseliges Lager nicht mehr verlassen. Die Frauen pflegten den alten Mönch nach besten Kräften. Aninia verließ sein Lager nicht, aber die vereinten Bemühungen konnten das fliehende Leben nicht aufhalten, die schwach brennende Flamme nicht mehr zu frischer Gluth entfachen.

Es war zur Zeit, als Madulani mit seinem Ochsengespann den Malojapaß überschritten hatte, sich Sils, Silvaplana und Surley näherte, da umstanden Aninia, deren Freundin Staschia, die Büssin und ihr Sohn Clo das Lager des Mönches, mit dem es sichtlich zu Ende ging. „Reicht mir das Crucifix dort,“ sprach er mit leiser, kaum hörbarer Stimme, auf eine Stelle der zerbröckelten Mauer deutend, wo als einziger Schmuck des kahlen Raumes ein schwarzes Kreuzchen mit einem in Holz geschnitzten Heiland hing. „Und Du Clo, neige Dich näher zu mir und höre! – Etwa zehn Schritte von den letzten Steinhaufen des Hügels, zwischen den dichten Büschen der Alpenrosen, findest Du ein Grab – ich grub es mir in Gedanken an diese meine letzte Stunde; – ein Kreuz von Arvenholz steht dabei. Dort bettet Ihr mich morgen zur ewigen Ruhe. Und nun laßt mich beten zu dem Herrn, daß er mir ein milder Richter sei; habe ich doch im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_591.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)