Seite:Die Gartenlaube (1889) 603.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

standesherrlichen Jagdbezirke, in denen das edelste und für die Gebirgsjagd tauglichste Hundematerial gehalten wird, fast alle Jagdhundrassen vertreten findet, den mehr oder minder krummbeinigen Dächsel, die leichte Bracke, den schweren hannövrischen Schweißhund und daneben allerlei Kreuzungsprodukte. Diese Thatsache birgt nun mancherlei Uebelstände in sich, und häufig müht sich da ein Jäger durch Jahre mit der Erziehung eines Hundes ab, welcher von vornherein aus natürlichen Gründen für die Bergjagd entweder völlig unbrauchbar oder nur ungenügend tauglich ist. Die Arbeit des Schweißhundes ist eben im Gebirg eine ganz andere als im Flachland; denn während hier der Schweißhund mit all seinen Fähigkeiten doch immer nur ein Werkzeug in der Hand des leitenden Jägers bleibt und bleiben soll, verlangt die Bergjagd vom Hunde einen hohen Grad von Selbstständigkeit und einen ganz eigenartig ausgebildeten, speziell den vorliegenden Verhältnissen entgegenkommenden Instinkt, noch abgesehen von den Anforderungen, welche die Natur des Berglandes an den Körperbau des Thieres stellt.

So ist der große hannövrische Schweißhund für das steile und zerrissene Gelände des Gebirges viel zu schwerfällig, allzusehr dem Abstürzen ausgesetzt, und daneben zu robust und ungestüm gegenüber dem aufgespürten Wilde, das er in toller Hetze zu endloser Flucht veranlaßt – und häufig geschieht es, daß ein angeschossener Hirsch, um sich vor solch einem geifernden Ungethüm zu retten, in das steilste Gewände einsteigt, in welchem er sich unvermeidlich „zu Scherben“ fällt. Da gestaltet sich die Sache beim kleinen Dächsel schon langsamer und gemüthlicher; der muß sich um seiner kurzen Beine willen gehörig Zeit lassen; und der wunde Hirsch ist fast zu stolz, um vor dem kleinen Wichte Reißaus zu nehmen, er stellt sich schon nach kurzer Flucht; der scharfe, durchdringende Laut des Hundes ruft den Jäger herbei, und da ist es oft possirlich, anzusehen, wie die niedliche Krabbe mit Kläffen und Belfern vor dem stattlichen Recken umhergaukelt, der gleichsam verächtlich auf seinen winzigen Quälgeist niederblickt und nur manchmal den allzu Kecken durch eine drohende Senkung des Geweihes in die gehörigen Schranken zurückweist. Nur schade, daß die körperlichen Kräfte des Dächsels, besonders seine geringe Sprungfähigkeit, bei einem halbwegs schwierigen Boden nicht mehr ausreichen. Da ist es oft zum Erbarmen anzusehen, wie das arme Thier sich winselnd über Felsrisse und grobes Gestein hinwegzappelt, wie es sich abschindet bis zur völligen Erschöpfung, über kleine Wände niederpurzelt und sich blutig schlägt – und manchmal mag es ihm auch begegnen, daß es bei einem unzureichenden Sprung in eine tiefe Felsschrunde stürzt, aus der es für das gequälte Bürschlein keine Rettung mehr giebt, wenn nicht glücklicherweise seine klagende Stimme noch das Ohr des Jägers erreicht.

Aber die Natur ist gar geschickt und weise. Sie weiß ihre Geschöpfe so zu bilden, wie sie just am besten für den Fleck Erde taugen, der ihnen zur lieben Heimath oder zum herben Kampf ums Dasein angewiesen ist. Wie sie die Sehnen des Bergbewohners stählt und seine Lunge weitet, wie sie den Berghirsch rauher und gedrungener bildet als den Hirsch des flachen Landes, wie sie der Gemse den harten, zangenscharfen Kletterfuß verleiht, so hat sie sich auch den richtigen Berghund, wenn nicht erschaffen, so doch erzogen. Ueber das ganze Gebirge ist, und sogar in beträchtlicher Zahl, eine Gattung von Hunden verbreitet, welche als das Kreuzungsprodukt einer älteren, rein deutschen Rasse mit dem leichteren, nordischen Schweißhund bezeichnet werden dürfte, wenn auch die Abstammung mit Sicherheit nicht mehr nachzuweisen ist. Einzelne verständige Jäger haben die Brauchbarkeit dieser Kreuzung für die Bergjagd erkannt und haben dieselbe weitergezüchtet, wobei die Natur im Geheimen fleißig mitgearbeitet hat, um im Laufe ungezählter Jahre den Körperbau und die Fähigkeiten dieser Hunde allmählich den Verhältnissen des Gebirges anzupassen. Die verwirrten Jagdzustände, welche das achtundvierziger Jahr auch über einen großen Theil des Gebirges brachte, haben nach dieser Richtung wieder viel geschadet; aber es hat doch manch eine stille Försterklause jenen Hunden eine treue Herberge geboten, bis sich in jüngster Zeit ein edler Weidmann, Baron von Karg-Bebenburg, der Jagdherr der schönen Reichenhaller Berge, mit ganz besonderem Eifer und Verständniß um die Erhaltung und Weiterzucht dieser ebenso schmucken wie brauchbaren Thiere annahm. Seine dankenswerthen Bestrebungen haben im „Süddeutschen Verein für Züchtung reiner Hunderassen“ und in dem bekannten Thiermaler Otto Grashey, der diesen Artikel mit einer so charakteristischen Zeichnung schmückt, zwei emsige Förderer gefunden, auf deren Betreiben im Mai 1884 diese Hunde unter dem Tilel „Bayerische Gebirgsschweißhunde“ als selbständige dauernde Rasse anerkannt wurden – und im deutschen Hundestammbuch prangt nun „Hirschmann I“, ein Sprößling des Reichenhaller Zwingers, als geadelter Ahnherr des neuen Geschlechtes. Es sind das rothbraune, ockergelbe oder semmelfarbige Hunde, deren Größe, etwas unsportsmäßig ausgedrückt, zwischen dem Dächsel und dem hannövrischen Schweißhund die schöne Mitte hält. Der Leser kann sich nach dem Exemplar auf dem Bilde von Grashey ungefähr eine Vorstellung von dem Aeußeren derselben machen. Trotz ihres strammen und gedrungenen, so recht für die Verhältnisse des Gebirges passenden Körperbaues sind sie ungemein flüchtig und behend. Ihre dichte, bei aller Glätte fast stachlig rauhe Behaarung ist ihnen ein guter Schutz wider die strenge Witterung in den Bergen, und ihre Füße mit den gekrümmten stark entwickelten Nägeln und den rauhen lederzähen Ballen sind wie geschaffen, um sicher über glatte Felsen und schadlos über scharfes Gestein zu eilen. Auf einem kurzen, kräftigen Halse sitzt der halblange, energisch geformte Kopf mit der beweglichen Nase, den leicht überfallenden Lippen und den klaren, etwas vorliegenden Augen, deren gutmüthig freundlicher Blick in eigenthümlichem Gegensatze zu den ernst aufgezogenen Brauen und den altklugen Stirnfalten steht. Solch ein Hund und ein richtiger, echter Hochlandsjäger mit dem federgeschmückten Hütlein, den braunen, sehnigen Knieen und der blitzblanken Büchse, sie passen gar trefflich zu einander und geben ein prächtiges Bild, dem man bald immer häufiger begegnen wird, denn durch die Fürsorge des genannten Vereins wie durch Schenkungen des Reichenhaller Jagdherrn und anderer Kavaliere wird alljährlich eine Zahl von Berufsjägern mit dem besten und bildungsfähigsten Hundematerial versorgt, und daneben wird nun auch im eigenen Kreise der Jäger die Züchtung mit regerem Eifer betrieben, so daß die Zeit nicht allzu ferne ist, in welcher man an der Seite des Hochlandjägers ausschließlich den reinen Rassehund finden wird.

Der schöne Erfolg dieser Bestrebungen bedeutet einen doppelten Gewinn, denn es ist ja selbstverständlich, daß der Jäger mit weit größerer Freude und regerem Fleiße die Erziehung und Schulung eines Hundes betreiben wird, dessen natürliche Fähigkeiten allen Ansprüchen entgegenkommen, als die Abrichtung eines Thieres, dessen unvortheilhafte Eigenart sich schon den nothwendigsten Forderungen gegenüber spröde verhält. Und es ist ein weiter Weg, den der Jäger seinen Hund zu führen hat, vom Korbe bis zur jagdgerechten Vollendung. Das kostet manchen Tropfen Schweiß, viel Aerger und rastlose Mühe; aber all diese Arbeit wird durch ein gutes Stück Humor gewürzt. Wieviel des rührend Ergötzlichen wäre schon von den ersten Wochen zu erzählen, in denen das Junge noch unter der Hut der wachsamen Mutter steht! Dann kommt der erste Schmerz über den just getauften „Söllmann“ – aber trotz der kleinen Leiden, die ihm die böse Reinlichkeit verursacht, ist auch des Hundes schönste Zeit die Jugend. Während seiner Flegelmonate wird er zumeist in Pension gegeben, in „Milchkost“ auf einen einsamen Bauernhof, wo er das zarte Gebiß an unbewachten Lederhosen, Filzhüten und Pantoffeln kräftigt und das erwachende Müthchen in unterschiedlichen Parforcejagden auf das „Katzerl“ zu kühlen sucht. Der fünfjährige Seppel spielt mit dem Söllmann „Jaager und Hundei“, und wenn sich die beiden „am Berg“, d. h. auf einem mit Fichtenreisern bestellten Sandhügel müde gejagt haben, strecken sie sich zur Ruhe auf den weichen, grünen Rasen und lassen sich unter einträchtigem Schnarchen von Gottes lieber Sonne „die Decke“ wärmen. Alle paar Wochen einmal kommt der Jäger, um sich von seines „Mandei“ gesunder und kräftiger Entwicklung zu überzeugen. Durch diese Besuche schon lernt Söllmann seinen Herrn kennen, der ja niemals kommt, ohne dem zuthunlichen Schmeichler einen „nobligen“ Bissen mitzubringen.

Ein Jahr ist vergangen, Söllmann ist zu einem prächtigen Burschen herangewachsen, und glücklich hat er auch die „Sucht“ überstanden, diese böse Hundekrankheit, die schon manch ein vielversprechendes Thier dahingerafft hat. Ein richtiger Festtag ist es für den Jäger, an dem er seinen jungen Gesellen zum erstenmal an der Leine mit zu Berge führt, und mit Ergötzen beobachtet er das neugierige Schauen und Staunen, das rastlose Schnuppern

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_603.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)