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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Rettung Ertrinkender und Wiederbelebung Scheintodter.

Von C. Falkenhorst.

Ein sonderbarer Anblick bot sich mir, als ich an einem kalten und stürmischen Januartage in die große Wohnstube meines Freundes, eines pensionirten Hauptmanns, trat. Ich sah seine beiden Buben mit dem Bauch auf zwei Küchenbänken liegen und Arme und Beine bewegen.

Fig. 1.

„Was für eine Hausgymnastik treibt Ihr denn?“ fragte ich lachend.

„Wir lernen schwimmen!“ rief der eine der Jungen und setzte die Bewegungen fort.

„Hausgymnastik!“ erwiderte auch der Vater. „Es würde nur nützlich sein, wenn man in die Lehrbücher der Hausgymnastik neben vielen anderen Uebungen auch die Schwimmbewegungen aufnehmen wollte.“

Ich lachte nicht mehr. Die Sache war ja ganz ernst. In der That ist es möglich und sogar leicht, mit dem Bauch auf einer Bank liegend, die wenigen Bewegungen einzuüben, welche nothwendig sind, um sich im Wasser oben zu halten und vorwärts zu bringen. In vielen Schulen sind diese Uebungen in den Turnplan aufgenommen, und es wäre nur zu wünschen, daß sie alljährlich in jeder Schule mit jedem Kinde vorgenommen würden.

Am Abend desselben Tages saß ich an unserm Stammtisch. Männer aus verschiedenen Berufsständen saßen mit mir zusammen, und ich erzählte ihnen, wie die Knaben meines Freundes in der Luft schwimmen. Wir sprachen natürlich vom Ertrinken und von der Rettung Ertrinkender sowie der Wiederbelebung aus dem Wasser herausgezogener scheintodter Personen. Da die meisten Stammgäste über den wunderlichen Hauptmann gelacht hatten, so wollte ich jetzt sehen, wie diese Herren sich verhalten würden, wenn sie selbst einen Menschen zu retten hätten. Die Griffe, mit denen man den Ertrinkenden beim Haupthaar fassen sollte, wurden sehr deutlich, namentlich von den Schwimmern vorgemacht; mit der Wiederbelebung war es schwieriger; von der künstlichen Athmung hatte zwar jeder etwas gehört, aber von den Griffen, die dabei ausgeführt werden müssen, hatte keiner eine klare Vorstellung, und die Mehrzahl meinte, solche Eingriffe müßte man dem Arzte überlassen und sich damit begnügen, den Verunglückten auf den Kopf zu stellen, damit das Wasser aus ihm herausfließe. – Ich hatte genug und ich wußte genau, daß, wenn dieses Dutzend Herren eine Gondelpartie unternehmen würde und einer von ihnen verunglückt und scheintodt aus dem Wasser gezogen wäre, ihn kein einziger von seinen Freunden würde retten können.

Was mich aber bei dieser Wahrnehmung am meisten befremdete, war der Umstand, daß die Herren eine bequeme Gelegenheit, sich die nöthigen Kenntnisse über die erste Hilfe bei Unglücksfällen zu erwerben, ungenützt ließen; denn es bestand ein Samariterverein in unserer Stadt, der sich die Verbreitung solcher Kenntnisse zur besonderen Aufgabe gemacht hatte. Es ist in der That bedauernswerth, daß unsere vortrefflichen Samariterschulen nicht stärker besucht werden, und ich glaube, daran ist der Umstand schuld, daß viele meinen, in diesen werde man zu einer Art männlicher barmherziger Schwester, zu einem Krankenpfleger erzogen.

Fig. 2.

Trotz des großen Ansehens, welches der Samariterverein erlangt hat, begegnet man oft genug derartigen Ansichten. Der Verein selbst ist eifrig bestrebt, das Publikum mehr und mehr an sich heranzuiehen. Die „Deutsche Allgemeine Ausstellung für Unfallverhütung“ ist von ihm gleichfalls beschickt worden, und unter anderen für die erste Hilfe bei Verletzungen und Unglücksfällen bestimmten Gegenständen sehen wir auch die großen auf Blech gedruckten Tafeln, welche die erste Hilfe bei anscheinend Ertrunkenen veranschaulichen. Auf Anregung des Vereins sind solche Tafeln in zahllosen Badeanstalten und Hafenstädten ausgestellt worden, wie auch der Verein an den deutschen Seeküsten entsprechende Vorträge halten läßt. Auf dieser Ausstellung begegnen wir auch anderweitigen verwandten Bestrebungen, unter denen die mit Rettungsgeräthen versehenen Standtafeln des „Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger“ erwähnt zu werden verdienen, die in den Seebädern eingeführt sind. Mit Freude kann man hier wahrnehmen, daß nach dieser Richtung hin bereits sehr viel geschehen ist, aber man würde irren, wenn man meinte, dieses viel sei bereits genug. Nicht jeder ist in der Lage, auf Ausstellungen Belehrung zu schöpfen, und die zahlreichen Unglücksfälle, die tagtäglich gemeldet werden, beweisen, daß diese Belehrung dringend nöthig ist. – Es erscheint darum noch immer angemessen, in der Presse darauf hinzuweisen, was in den Samariterschulen gelehrt wird, und ich will im Nachfolgenden versuchen, in großen Umrissen das wiederzugeben, was der Samariter über die erste Hilfe beim Ertrinken lernt, indem ich meiner Mittheilung den bezüglichen Vortrag aus dem Leitfaden für Samariterschulen „Die erste Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen“ zu Grunde lege. –

*     *     *

Was thut ein Mensch, der nicht schwimmen kann, wenn er ins Wasser fällt? Er wird in der Regel verwirrt, verliert den Kopf, streckt die Hände empor und macht die unzweckmäßigsten Bewegungen. Dadurch wird es oft außerordentlich schwierig, gefährlich oder ganz unmöglich, solche Leute vor dem Ertrinken zu retten; meist klammern sie sich krampfhaft an Schwimmer, die ihnen zu Hilfe kommen wollen, und verhindern dieselben dadurch, sie über Wasser zu halten und in Sicherheit zu bringen. Das Bewußtsein, schwimmen zu können, verleiht Ruhe und Kaltblütigkeit denen, die ins Wasser fallen, während Leute, die nicht schwimmen können, von dem Bewußtsein durchdrungen sind, daß sie sich selbst nicht retten können und darum verloren sind, wenn nicht sofort Hilfe naht. Dieses Gefühl ist die Ursache der Verzweiflung und Verwirrung.

Fig. 3.

Es sollten darum alle, die nicht schwimmen können, wissen, daß sie bei richtigem Benehmen sich über dem Wasser erhalten und sich retten können. In ihrem eigenen Interesse sollten sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 621. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_621.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)