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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

9) Diese Anweisungen sind unter allen Umständen gültig, sowohl in schlichtem Wasser als in der unruhigsten See.

Oft werden nun die Ertrinkenden ohnmächtig oder, wie man gewöhnlich sagt, todt aus dem Wasser gezogen. Hierzu ist zunächst folgendes zu bemerken:

Der Tod im Wasser kann auf zweierlei Weise erfolgen.

Der Ertrinkende erstickt. Er athmet Wasser statt Luft in die Lungen ein und verschluckt dabei auch eine große Menge Wasser. Der Tod durch Erstickung erfolgt nicht sofort, sondern erst nach einem verhältnißmäßig langen Ringen mit den Wellen. Der Ertrunkene zeigt alsdann das Aussehen eines Erstickten: ein blaurothes aufgedunsenes Gesicht, blaurothe Lippen, blutunterlaufene Augen; öffnet man seinen Mund, so findet man darin schaumigwässerige Flüssigkeit; auch der Magen, die Luftröhre und die Lungen enthalten viel Wasser. –

Manchmal bieten jedoch Ertrunkene ein ganz anderes Aussehen. Das Gesicht ist blaß, schlaff, im Munde findet sich wenig oder gar keine schaumige Flüssigkeit. Dies sind Anzeichen, daß der Tod nicht durch Erstickung, sondern infolge einer Ohnmacht, eines Herzschlags eingetreten ist. In diesem Falle haben die Athembewegungen sofort aufgehört, die Stimmritze, d. h. der Eingang in die Luftröhre, hat sich krampfhaft geschlossen, sodaß wenig oder gar kein Wasser in die Lunge gelangt ist.

Dieses Aussehen ist günstig; denn in diesem Falle ist die Aussicht, das Leben zu retten, größer als in dem ersten.

Man hört nun oft die Frage: wann tritt der Tod im Wasser ein, wie lange muß der Mensch unter Wasser bleiben, damit er ertrinkt? Zehn Minuten, eine Viertelstunde etc.? Darauf ist zu antworten: die Zeit läßt sich nicht bestimmen. Es ist festgestellt, daß selbst nach stundenlangem Aufenthalt unter Wasser das Leben nicht vollständig zu erlöschen braucht, und daß es bisweilen in diesen Fällen gelingt, durch stundenlang fortgesetzte Bemühungen das Leben zurückzurufen. Daraus aber ergiebt sich die Regel:

„Jeder Ertrunkene muß als scheintodt betrachtet werden.“

Wie hat man nun diesen Scheintodten wieder zu beleben?

Der Arzt versteht das am besten und darum ist es die vornehmste Pflicht des Retters, zunächst nach dem Arzt zu senden. Bei dieser Gelegenheit sind gleich Decken und trockene Kleidung zu bestellen.

Inzwischen aber darf man nicht die Hände in den Schoß legen, sondern muß sofort mit den Wiederbelebungsversuchen beginnen, wobei die erste und dringendste Aufgabe darin besteht, die Athmung wieder herzustellen. Die Regeln, die dabei zu befolgen sind, lauten:

1) Man stelle den Ertrunkenen nicht auf den Kopf, hebe ihn nicht bei den Beinen in die Höhe, sondern lege ihn zunächst auf einer Unterlage von Decken oder Kleidungsstücken oder über seine Kniee auf den Bauch, den einen Arm unter den Kopf, den Kopf und die Brust etwas tiefer als den übrigen Körper und übe einen Druck auf den Rücken, um die in Lunge und Magen eingedrungene Flüssigkeit ausströmen zu lassen.

2) Um der Luft freien Zutritt zur Luftröhre zu verschaffen, öffne man den Mund, reinige ihn und die Nase von Schlamm etc. mit dem Taschentuch, ziehe die Zunge hervor und halte sie nach vorne (am besten durch ein über Zungenspitze und Kinn gelegtes elastisches Band, Tuch, Tau etc.) oder schiebe den Kiefer vor.

3) Man entferne die nassen Kleider, vor allem zuerst die engen Kleidungsstücke von Hals und Brust, wie Halstuch, Hemdknöpfe, Tragbänder.

4) Um freiwillige Athembewegungen hervorzurufen, kann man sogleich die Nasenlöcher reizen durch Schnupftabak oder Riechsalz, oder den Schlund mit einer Feder kitzeln, Brust und Gesicht tüchtig reiben und abwechselnd mit kaltem oder heißem Wasser bespritzen, die Brust kräftig mit einem nassen Tuch schlagen.

Fig. 6.

5) Aber man halte sich dabei nicht lange auf; erfolgen darauf nicht alsbald Athembewegungen, so gehe man sofort über zur

künstlichen Athmung.

Wie bei der natürlichen Athmung durch die Wirkung der Muskeln der Brustkasten abwechselnd ausgedehnt und zusammengepreßt wird, so daß die Luft in die Lungen eindringt oder aus denselben hinausgepreßt wird, so soll bei der künstlichen Athmung dasselbe durch äußere Einwirkung erreicht werden. Dies läßt sich auf verschiedene Weise ausführen. Prof. v. Esmarch empfiehlt in erster Linie das Verfahren von Silvester, da es im Nothfalle von einem einzelnen Menschen ausgeübt werden kann und sehr oft die besten Dienste geleistet hat. Unsere beifolgenden Abbildungen veranschaulichen es in trefflicher Weise.

Man legt zu diesem Zwecke den Scheintodten flach auf den Rücken, Kopf und Schultern etwas erhöht durch ein zusammengefaltetes Kleidungsstück.

Man stellt sich hinter denselben, ergreift beide Arme oberhalb der Ellbogen, erhebt sie sanft und gleichmäßig bis über den Kopf und hält sie hier 2 Sekunden fest. Dadurch wird der Brustkorb ausgedehnt und die Luft in die Lungen gezogen. (Vergl. Fig. 4.)

Dann führt man die Arme auf demselben Wege zurück und drückt sie sanft aber fest 2 Sekunden lang gegen die Seiten des Brustkastens. Dadurch wird die Luft wieder aus den Lungen ausgepreßt. (Vergl. Fig. 5.)

Sind zwei Helfer zur Hand, so stellt sich einer auf jede Seite des Ertrunkenen; jeder ergreift einen Arm und auf Kommando 1, 2, 3, 4 machen nun beide diese Bewegungen. (Vergl. Fig. 6.)

Diese Bewegungen werden ungefähr 15 Mal in der Minute, so lange vorsichtig und beharrlich wiederholt, bis man bemerkt, daß selbstthätige Athembewegungen beginnen. Gewöhnlich kündigt sich der erste Athemzug durch eine plötzliche Farbenveränderung des Gesichtes an, das blasse röthet sich und umgekehrt.

Diese künstliche Athmung muß nun bis zur Ankunft des Arztes, oder wenn dieser nicht erscheint, stundenlang fortgesetzt werden. Erst wenn viele Stunden lang Athmung und Herzschlag aufgehört haben, darf man mit ruhigem Gewissen das Rettungswerk einstellen. – Ist die Bemühung des Retters von Erfolg gekrönt, haben sich selbstthätige Athembewegungen eingestellt, so hört man mit der künstlichen Athmung sofort auf. Man hüllt den Körper in trockene Decken oder Kleidungsstücke ein und reibt die Glieder kräftig von unten nach oben, dann bringt man den Wiederbelebten in ein warmes Bett, bedeckt ihn mit warmen Flanelltüchern, legt Wärmflaschen oder Wärmsteine auf die Magengrube, in die Achselhöhle, zwischen die Schenkel und an die Fußsohlen; denn jetzt gilt es, die Körperwärme wieder herzustellen und die Herzthätigkeit anzuregen.

Zu trinken giebt man dem Verunglückten erst dann, wenn das Leben soweit zurückgekehrt ist, daß er schlucken kann; dann flößt man ihm theelöffelweise warmes Wasser, Kaffee, Thee, Grog oder Wein in kleinen Mengen ein.

Bis dahin wird die ärztliche Hilfe zur Stelle sein und der Retter kann mit dem frohen und beseligenden Bewußtsein scheiden, daß er dem Tode ein Opfer entrissen, seine Nächstenpflicht erfüllt habe.

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Was wir hier in großen Umrissen angedeutet haben, das ist der Inhalt eines Vortrages in der Samariterschule. Das gedruckte Wort kann jedoch den Besuch derselben nicht ganz ersetzen; denn in dieser Schule wird nicht nur vorgetragen, sondern in ihr werden auch praktische Uebungen vorgenommen, und man vergißt nicht so leicht, was man einmal gründlich eingeübt hat.

In diesem einen Vortrage haben wir nur die erste Hilfe beim Ertrinken kennen gelernt, aber das Leben bringt noch viele andere Gefahren. Ein Schneegestöber erhebt sich und wie vor Jahresfrist verschüttet es Hunderte von Menschen in einer einzigen Nacht auf einsamen Wegen oder in entlegenen Weilern. Man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_623.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)