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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 38.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Sicilische Rache.

Ein Kulturbild aus den vierziger Jahren von A. Schneegans.
(Fortsetzung.)


8.

Vier Tage waren seit jener Fahrt nach San Placido verstrichen, als der Abbate Scaglione sich in später Abendstunde bei der Gräfin von Cellamare anmelden ließ. Außer ihrem Arzte war er der einzige, dem sie ihr Haus nicht verschlossen hatte. Für alle anderen, Freunde und Freundinnen, Verwandte und Anbeter, ja sogar für den Gouverneur war sie seit jener Spazierfahrt und dem darauf folgenden Empfangsabend unsichtbar, unnahbar geworden. „Die Frau Gräfin hat sich in den feuchten Olivengärten das Fieber geholt,“ so hieß es im Hause, wenn die Besucher kamen. Ein gar schlimmes Fieber fürwahr! und keinen leichten Stand hatte wahrlich der brave Hausdoktor bei der im selben Athemzuge von Frost und von Hitze geschüttelten Patientin. Der Ursache dieser in ihren Aeußerungen ihn befremdenden Krankheit konnte er nicht auf die Spur kommen; die Gräfin antwortete auf alle seine Fragen: „Erkältung, Erhitzung, Nachtluft!“ Der Graf, der sich überhaupt und grundsätzlich nicht um seine Frau kümmerte, wußte von nichts, wollte von nichts wissen und behauptete achselzuckend, sie habe ja von jeher Fieber gehabt, jahraus, jahrein, vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Die Bedienten nahmen hochweise, selbstbewußte Mienen an und lachten dem Doktor ins Gesicht. Der einzige, der ein halbwegs verständiges Wort gesprochen hatte, war der Abbate gewesen; – aber konnte man je wissen, wo bei diesem der Ernst anfing, wo der Scherz aufhörte? – Wie dieser Abbate den Doktor einmal beim Rezeptschreiben überraschte, hatte er ihm mit einer tiefen Verbeugung das Papier aus den Fingern gespielt, hatte das Orakel in kleine Fetzen zerrissen und hatte dem Orakelspendenden dann lachend ins Ohr geraunt: „Doktorchen! Ihr seid auf dem Holzwege; Frauenfieber kommt nur von Liebe her und wird nur durch Liebe geheilt!“ – Wollte dieser feine Abbate am Ende gar selber den Heilkünstler spielen und das Kurieren auf eigene Hand versuchen? Den Anschein hatte es schon, als ob sich zwischen ihm und der Gräfin etwas Absonderliches abspielte, denn zwei- bis dreimal täglich besuchte er sie, und hatte er sich entfernt, so stellte sich regelmäßig bei ihr das Fieber mit erneuerter Heftigkeit ein. Sie verschloß dann ihre Thüren, ließ die damastenen Vorhänge herunter, verbot dem Tageslicht wie ihren Freunden den Eintritt in ihre Gemächer und blieb so bis in die Nacht hinein, bald in eine Ecke des Divans zurückgelehnt und stumm vor sich hinbrütend, bald jäh aufspringend, das Zimmer mit raschen Schritten durchmessend und mit erregter Hand ihre Nippsachen ohne Zweck noch Grund


Des Herbstes Erstlinge. Nach einem Gemälde von Robert Beyschlag.
Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_629.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)