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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Romeo,“ sagte er endlich, „seitdem Du meinen Sohn vom Tode errettet hast, habe ich kein Recht mehr, Dir zu widersprechen. Es geschehe denn, wie Ihr es wollt! Aber wenn das Blut unserer Kinder fließt, so falle die Verantwortlichkeit nicht auf mich!“

Salvatores Augen hafteten fest an der Erde, während er also sprach; die Worte waren nicht das Spiegelbild seiner Gedanken!

Der Palermitaner erhob sich.

„Ich begrüße mit Freuden diesen Tag! Wo die Einigkeit herrscht, ist der Sieg gewiß! Bestimmen wir die Stunde der Volkserhebung! Palermo …“

„Wie wollt Ihr die Stunde bestimmen?“ rief ihm aber Salvatore zurück. „Das Pulver liegt bereit; der Funke wird hineinfliegen, ehe wir’s uns versehen! Und erfährt Palermo, daß Messina die Fahne der Freiheit erhoben hat, so wird Palermo keinen Augenblick zaudern! … Laß mich sprechen, Romeo! Ich habe in allem nachgegeben; keinen Schritt weiter! – Die Gelegenheit liegt uns näher, als Du glaubst! Und wenn morgen, wenn heute ein Neapolitaner – oder ein Schweizer – sich an einer unserer Töchter vergehen sollte, – wie willst Du das sicilische Volk verhindern, morgen – oder heute – loszuschlagen? Und wenn Du auch hundertmal die Stunde auf den andern Morgen festgesetzt hättest, – heute schon, Romeo, heute schon flammte die rächende Feuersbrunst gen Himmel!“

„Ich weiß nicht, was Du damit sagen willst, Salvatore!“

„Du weißt es nicht? – Du wirst es aber erfahren! Und dann wirst Du mir recht geben und der erste wirst Du sein, der dem Volke zurufen wird: ‚Zu den Waffen! Schützt Euer Land! Rächt unsere Ehre!‘“

Salvatore sprach’s in höchster Erregung. Die andern sahen sich verlegen an.

„Ich gehe!“ rief der alte Tribun; „hier habe ich nichts mehr zu suchen. Im Kampfe treffen wir uns wieder!“

Und er verließ den Saal.

„So unrecht hat er ja nicht!“ platzte plötzlich der Marchese heraus; „was? Stunde festsetzen? Drauf und dran! Ergreift die erste Gelegenheit und schlagt die Hunde todt! Was meinst Du, Romeo?“

Romeo saß in düsterm Sinnen.

„Ich fürchte nur,“ sagte er, „daß Salvatore die Gelegenheit nicht erwarte, sondern daß er sie schaffe, – und die Freunde, deren er sich dazu bedienen wird, sind nicht unsere Freunde!“

Sie trennten sich, ohne einen Beschluß gefaßt zu haben. Lautlos ging Romeo neben dem Marchese hin. Es schien ihm, als ob etwas Befangenes, Beklommenes auf der Versammlung gelegen hätte. Er war gewissen Blicken begegnet, die er sich nicht zurechtlegen konnte; es waren gewisse Worte gefallen, die er nicht verstand. Wie er bei dem Palaste des Grafen von Cellamare vorbeikam, trat ein Diener auf ihn zu und bat ihn im Namen der Frau Gräfin, sich einen Augenblick zu derselben begeben zu wollen; sie bereite ein Fest vor und Romeo solle wie früher die Ausschmückung der Säle besorgen.

„Addio, Marchese!“ sagte Romeo und folgte dem Diener.

Die Aufforderung der Gräfin hatte nichts Auffallendes für ihn; zu wiederholten Malen schon hatte der mit feinem Kunstsinn begabte Tischlermeister die Festeinrichtungen der Patrizierfamilien geleitet; geschmackvoller als Romeo verstand es keiner, durch Aufbauen von lauschigen Blumengrotten und durch faltenreiche Drapirung von bunten Teppichen und Vorhängen die kahle Leere der hohen Säle in das reizendste Festparadies umzuwandeln. Ruhigen Schritts trat er in das Gemach, wo die schöne Frau ihn mit dem Abbate erwartete.

„Seid mir gegrüßt, Romeo!“ rief sie ihm von ihrer Chaiselongue aus zu. „Wie schön von Euch, daß Ihr es nicht verschmähet, den Fuß über die Schwelle einer Feindin zu setzen.“

„Einer Feindin, Frau Gräfin?“ erwiderte Romeo in lächelnder Abwehr. „Mit den Frauen stehen wir nicht im Krieg.“

„Und doch sind wir Feinde! Denn hier halten wir es mit den Neapolitanern – und auch mit den schweizer Offizieren! – und diese beiden – die letzteren besonders – haßt Ihr doch aus vollem Herzen – oder sollte ich mich irren? – Nun, das ist ja Eure Sache, wie es die meinige ist, dafür zu sorgen, daß meine Freunde – so lange Ihr es noch erlauben werdet – bei mir einen fröhlichen Karneval feiern! Dazu müßt Ihr mir nun verhelfen. Für den letzten Karnevalsabend will ich dies Haus umwandeln in den glänzendsten Palast der Freude und des Faschingscherzes; Tanz, Musik, Masken etc. – Karneval überall, – auf den Lippen und im Herzen – in den Herzen besonders! – Meine Börse steht Euch offen; greift hinein, so tief Ihr wollt! Ich überlasse Euch mein Haus, macht einen Feenpalast daraus!“

Eine frohe Schaffenslust überkam bei diesen Worten den wackeren Meister. Die düsteren Gedanken, die ihn während jener Versammlung und auf dem Rückweg überfallen hatten, konnte er sich aus dem Kopfe schlagen. Es war wohl nur eine Folge der Ermüdung von seiner Reise her gewesen, daß er sich so schwarzen Gedanken hingegeben hatte; die Arbeit, zu welcher die Gräfin ihn aufforderte, würde wie ein frischer Luftzug diese Nachtphantasien verscheuchen.

Er kannte alle Räume der gräflichen Wohnung, den monumentalen, auf Säulen und Bogen ruhenden, durch eine Kuppel erleuchteten Treppenbau, die hohen Säle mit ihren auf das Meer sich öffnenden Fenstern und den marmorgefaßten Balkonen; die weite Flucht von Prachtgemächern mit ihren breiten Doppelthüren; die in die Ecken sich einschmiegenden traulichen Boudoirs mit ihrem stillverstohlenen, aus Alabasterlampen herunterfallenden Lichte, und all die heimlichen, von Boudoir zu Boudoir zwischen den Mauern sich hinwindenden Gänge und Gängchen, – und während die Gräfin zu ihm sprach, baute er schon in seinem Geiste das Bild auf, das seine künstlerische Hand verwirklichen sollte. Schneller als Teresinas Worte flogen des Meisters Gedanken, und sie hatte noch nicht ausgesprochen, so stand Romeos Plan schon fertig vor seinem Geiste.

„Es soll geschehen, wie Ihr es wünscht, gnädige Frau! In einen Feenpalast wandeln wir dies Haus um. Dies Gemach,“ fügte er, sich in dem kleinen, zum heimlichem Liebeszauber wie geschaffenen Boudoir umschauend, hinzu, „dies Gemach wird ein königliches Blumenzelt, wo die Königin des Festes und des Hauses thront und ihren Hof hält; in duftenden Ranken schlingen sich die Blumen um die goldbequasteten Stäbe bis zur Decke hinauf; von dem blauen Gewölbe strahlt zwischen den buntfarbigen Gewinden eine schimmernde Lichterkrone herunter; – in halbdunkle, von Lampen hinter Blumengebüschen nur spärlich erhellte Lauben werden aber die Gänge verwandelt, welche zu dem Heiligthum führen, wo Armida ihre Anbeter empfängt.“

Armida? … die Gräfin fuhr bei diesem Worte zusammen. Armida? Die Verlassene? – Armida? Wie kam Romeo dazu, ihr diesen Namen ins Gesicht zu schleudern? Was wollten seine so seltsam überschwänglichen Festesphantasien bedeuten? War das Spott? Wie sollte sie es deuten?

„Romantische Mythologie treibt man auch in Eurem Hause?“ warf sie dem Tischlermeister über die Schulter hin. „Das kommt doch nicht von Euch, Romeo? Das habt Ihr wohl von Eurer Tochter, – die mag schon den Tasso und … einen schönen Rinaldo kennen! – Eure Tochter soll ja recht hübsch sein, Romeo, – sagt man’s nicht, Abbate? – Schickt sie doch her zu unserm Feste; – es wird sich wohl eine Maske finden, die ihr paßt.“

„Tausend Dank, Frau Gräfin! Meine Tochter ist ein schlichtes Bürgermädchen und zu Eurem Feste paßt unsereins nicht.“

„So spielt doch nicht den Blöden, Romeo!“ rief aus seiner Sofaecke der Abbate mit seltsam befremdendem Tone heraus; „Eure Tochter wird schon Bekannte hier finden.“

Was sollten diese Worte? Was wollte schon die Gräfin mit ihren ihm unverständlichen Anspielungen auf Tasso und Rinaldo? Wie kam es, daß ihm seit heute morgen überall, wo er sich zeigte, so räthselhafte Bemerknugen ans Ohr schlugen? Lag es an ihm oder an den andern, daß ihn diese Worte wie verletzende Schläge trafen? Die Gräfin ließ ihm nicht Zeit, lange nachzugrübeln.

„Ich hab’s gefunden, Romeo,“ sagte sie, sich mit halbgeschlossenen Augen spöttisch zu ihm wendend – „Seht, als Schweizerin könntet Ihr ja Eure Tochter maskiren, mit rundem Strohhut, Alpenrosen drauf, einen Strauß von Genzianen am Busen, – aber lose, leicht, – daß die Kleine ihren Anbetern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_654.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)