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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Blumen daraus hinwerfen könnte, – und eine Rose in der Mitte für ihren auserlesenen Geliebten.“

Wie Pfeile, scharf und spitz, flogen die Worte von ihren Lippen. Den Tischlermeister überfiel ein dumpfes Gefühl, daß man ihn hier zur Zielscheibe eines ihm unverständlichen Spottes zu machen beabsichtige.

„Lassen wir das, Frau Gräfin!“ sagte er ernst und ruhig. „Ich verstehe nicht, was damit gemeint ist; Euer Haus wird zur bestimmten Frist eingerichtet sein, wie Ihr es wünscht!“

Und die Schnur, mit welcher er sein Notizbuch zu schließen pflegte, um das zusammengedrückte, unsaubere Bändchen schlingend, schickte er sich an, sich zu entfernen.

Die Gräfin wechselte einen raschen Blick mit Scaglione.

„Statt die Einladung für Eure Tochter so rundweg abzuschlagen,“ hub dieser an, „würdet Ihr doch besser thun, des Mädchens Meinung einzuholen. Ihr dürft aber nicht vergessen, ihr zu sagen, daß die schweizer Offiziere anwesend sein werden und daß sie den Baron von Hattwyl hier treffen werde.“

Romeo stand schon unter der Thür. Er wandte sich rasch gegen den Abbate um. Was sollte dies? Das Blut schoß ihm in die Augen. – Er mußte plötzlich an die unverständlichen Worte Salvatores von heute morgen zurückdenken; – in seiner gebückten Haltung, mit vorgebeugtem Kopfe trat er einen Schritt auf Scaglione zu.

„Scaglione!“ rief er nach einer kurzen Pause, „ein Glück ist’s für Dich, daß ich nicht vergesse, in wessen Hause ich mich befinde, sonst hätte der Schimpf, den Du Dich erfrechst …“

„Ein Schimpf?“ rief aber der andere, indem er wie gedankenlos spielend einen schweren Stuhl zwischen sich und den Tischlermeister schob; – „wie kann die Bestätigung der Wahrheit jemals ein Schimpf genannt werden? Mir wirst Du doch nicht weismachen wollen, daß Deine Tochter die schweizer Offiziere nicht liebt, wo die ganze Stadt das Geheimniß kennt!“

Hatte Romeo wirklich diese Worte gehört? Waren sie wirklich ausgesprochen worden? War dies ein Traum? Ueberfiel ihn ein Fieber? ein Wahnsinn? … Wie schlaftrunken, wie ein Nachtwandler hörte er jetzt, wie die Gräfin zum Abbate sagte:

„Wie soll er’s denn wissen, Scaglione? Er war ja seit acht Tagen abwesend.“

„Richtig!“ bestätigte der Abbate, „Du warst ja nicht in Messina, Romeo, und in San Placido konntest Du nichts merken, da Du mit Deinen Freunden im oberen Stockwerke saßest, während Deine Tochter im Klosterhofe … Ja, ja, Romeo! Die Väter thun doch zuweilen unrecht, acht Tage lang von Hause wegzubleiben.“

„Ein Schurke bist Du, Scaglione!“ rief aber jetzt wildaufbrausend Romeo, und den Stuhl wegstoßend, stürzte er mit geballter Faust auf den Sprecher los. Da faßte die Gräfin ihn am Arme.

„Romeo! Was Ihr vorhin nicht vergaßet, vergeßt Ihr jetzt! Ihr seid in meinem Hause, und ich werde nicht dulden …“

„So duldet auch nicht, Frau Gräfin, daß in Eurem Hause ein Ehrenmann beschimpft werde!“

„Beschimpft?“ rief der Abbate. „Ich sage Euch die reine Wahrheit! Was ich mit meinen Augen gesehen, mit meinen Ohren gehört, mit meinen Händen gegriffen …“

„Was hast Du gesehen? Was hast Du gehört? Rede, oder …“

Wiederum hielt ihn die Gräfin zurück. Eine tiefe Blässe hatte ihr Antlitz überzogen.

„Haltet ein, Euren Zorn begreife ich! Aber nicht gegen Scaglione darf er sich richten; – wäre ich an Eurer Stelle, Romeo, – ein anderer lebte morgen nicht mehr!“

Die Aufregung der Gräfin war seltsam; sie schien Romeo unbegreiflich. Was mochte dies bedeuten? Sein Blick haftete durchdringend auf der räthselhaften Frau. Er stand hier vor einem Geheimniß, das er nicht zu deuten vermochte. Es durchrieselte ihn eisig kalt. Was wollten dies Weib und dieser Abbate von ihm?

„Was schweigt Ihr? … was starrt Ihr mich an, Romeo?“

Langsam, jedes Wort betonend, erwiderte er:

„Was bringt Euch dazu, Frau Gräfin, Euch meine Angelegenheiten so zu Herzen gehen zu lassen? In welchem Zusammenhange mit Euch stehen die Dinge, von welchen dieser da zu erzählen sich erdreistete? Hier wird ein gefährlich Spiel getrieben, Frau Gräfin!“

Da kam Scaglione der Gräfin zu Hilfe.

„Du glaubst mir nicht?“ rief er aus; „so gehe zu Deiner Tochter und frage sie selbst! Frage sie, wen sie in San Placido damals getroffen hat, frage sie, wer sie seit acht Tagen tagtäglich in der Badiazza besucht, frage sie, wen sie gestern in der Kirche antraf, frage sie, wer sie beim Ausbruch des Orkans in Dein Haus trug, und frage sie, ob es wahr sei oder nicht, daß der schweizer Offizier, der dies alles that, die Nacht in Deinem Hause zubrachte und erst heute früh dasselbe und Deine Tochter verließ, und frage sie, ob es wahr sei oder nicht, daß dieser Offizier Eckart von Hattwyl heißt!“

Gewaltsam unterdrückte Romeo seine auftobenden Gefühle; gewaltsam unterdrückte er die Wuth, die sich gegen diesen elenden Verleumder zu entfesseln drohte. Mit Scaglione würde er schon Abrechnung halten!

Nach einer andern Richtung hin mußte er sich aber zunächst Klarheit verschaffen. Wie an einem Stahlpanzer schienen Scagliones Worte an ihm abzugleiten. Forschend fiel sein Blick auf die Gräfin.

„Diesen schweizer Offizier kennt Ihr wohl, Frau Gräfin?“

Sie deutete Romeos Frage anders, als sie es sollte. Ihre Leidenschaft war mächtiger als ihre berechnende Vernunft.

„Ob ich ihn kenne?“ rief sie, sich selber und ihre Rolle vergessend. „Mein Feind ist er wie der Deinige, dieser freche Mädchenräuber! Einen gemeinsamen Feind haben wir, Romeo; gemeinsam sei auch unsere Rache!“

Die Worte blitzten wie ein rascher Lichtstrahl durch Romeos Seele. Der Argwohn, der ihn befallen hatte, war gerechtfertigt! Das Spiel, das mit ihm getrieben wurde, hatte er durchschaut.

„Und um mir dies zu sagen,“ sprach er mit eisiger Ruhe und sein Auge scharf auf das ihre geheftet, – „nicht aber, um mir Eure Festbefehle zu geben, ließt Ihr mich hierherrufen! Ihr habt viele Verehrer, Frau Gräfin, und viel erzählt man sich von Eurer Liebe. Heute habt Ihr Rache zu nehmen an jenem, und dazu soll ich Euch behilflich sein!“

Als hätte man ihr einen Schlag versetzt, war die Gräfin aufgesprungen. Zornglühend wollte sie sprechen; aber mit donnernder Stimme, ein lodernd Feuer im Auge und hoch aufgerichtet vor ihr mit gewaltig herrschender Gebärde, gebot Romeo ihr Schweigen.

„Ihr werdet schweigen, Frau Gräfin, bis ich gesprochen habe! Zu Euren Zwecken wolltet Ihr mich mißbrauchen und habt Euch nicht entblödet, die Ehre meines Hauses, die Ehre meines Kindes zu beschmutzen, um aus dem beleidigten Vater ein williges Werkzeug – gemeinsamer Rache, wie Ihr sagtet, zu machen. Ihr hieltet Romeo für einen Knaben, Frau Gräfin, mit dem ein Weib Fangball spielen kann, – und habt Euch in ihm geirrt! – Ich gehe! Ein anderer mag Euer Haus einrichten! Von der Gräfin von Cellamare nimmt Romeo keine Befehle mehr an.“

Langsam kehrte er ihr den Rücken und ging zur Thür; dort blieb er stehen, und, den Kopf halb nach der Seite gewendet, wo der Abbate saß, warf er mit einem Ausdruck von unsagbarer Verachtung die Worte vor sich hin:

„Du aber, Abbate, höre, was ich Dir sage: Heute noch werde ich aus dem Munde meiner Tochter erfahren, daß Du ein Lügner bist; dann folge meinem Rath und sorge, daß Messina Dich morgen nicht mehr in seinen Mauern sehe! Denn wie einer Schlange würde ich Dir den Kopf unter meinen Fersen zertreten!“

Romeo war nicht mehr der unscheinbare, gebückte Arbeiter; sein Haupt hatte sich gehoben, sein Auge funkelte, in seiner Gebärde lag die beherrschende Gewalt des Volkstribunen.

Festen Schritts verließ er das Gemach; mit fester Hand drückte er auf die Klinke, mit festem Rucke schloß er die Thür hinter sich.

Vor dem Palaste hielt ein Wagen; langsam stieg er ein; – aber gewaltig pochte des starken Mannes Herz, als er dem Kutscher zurief:

„Zur Badiazza! nach meinem Hause! Fahre schnell!“

(Fortsetzung folgt.)




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