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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

bedenkt, was es heißt, etwa der Vorliebe für gewässerte Seide, die heute besteht, zu genügen, für Tausende, Millionen Frauen diesen Stoff zu beschaffen, die Seidenkokons rechtzeitig einzukaufen, die Farben zu wählen und zu bereiten, die Muster zu zeichnen und für den Webstuhl zurecht zu machen, die Webstühle selbst einzurichten etc., so muß man sich sagen, daß vor einigen Jahren schon jene Modepropheten sich drangemacht haben müssen, das kommende Bedürfniß nutzbringend für sich zu verwerthen.

Ja, die Vermuthung liegt nahe, daß diese im großen schaffenden und spekulirenden Männer nicht bloß die ihnen willkommene Mode in Zittern und Bangen erhoffen, sondern daß sie alles dransetzen, ihr zum Siege zu helfen, damit sie nicht mit ihren Vorräthen sitzen bleiben. Denn was würde aus all den gewässerten Seidenstoffen, kaufte sie die Mode den Fabrikanten nicht ab?

Ich klagte einst bei einem großen deutschen Modewarenhändler darüber, daß er und sein Geschäftszweig von Paris so abhängig seien. Da kam ich aber schön an!

Er sagte mir ganz kurz und bündig: „Ohne Paris sind wir verloren. Wir wüßten dann selbst nicht mehr, was Mode wird, und unsere Damen wären erst recht rathlos. Was glauben Sie denn, was meine feinen Kunden sagen würden, wenn ich sie bäte, sich nach eignem Geschmack zu kleiden? Sie würden mich ganz verwundert anschauen und zu meinem Nachbar gehen, der ihnen zehn Proben als das Neueste anpreist und ihnen die Wahl erleichtert.“

Und darum habe ich mich denn bei diesem Händler einmal aufs Horchen verlegt, um die Kundschaft zu studieren.

Zuerst kam die Baronin F.

„Herr Müller, ich möchte mir ein Kleid in brauner brochirter Seide machen lassen.“

„Gewiß, gnädige Frau, hier habe ich einen Rest vom vorigen Jahre.“

„Einen Rest? Haben Sie nichts Neues?“

„Brochirte Seide ist in Neu nicht erschienen, wir haben hier ein Moiré antique …“

„So, ist’s möglich, brochirte Sachen werden nicht mehr getragen? Ach, bitte, zeigen Sie das Neue, giebt es dies nicht in Braun?“

„Ja, hier ist ein etwas grünliches Braun, fast Grün, eigentlich Meergrün, – garantirt modern, erst gestern eingetroffen!“

„So, vortrefflich! Und zeigen Sie mir etwas Spitzen zur Garnirung!“

„Das Neueste in Besatz sind applizirte Borden. Darf ich Ihnen etwas zu jenem grünen Moiré antique Passendes vorlegen – hier in Saftgrün?“

„Ich hatte eigentlich etwas Gelbliches, etwa crême gewünscht!“

„Natürlich, es steht besser zum Teint von gnädiger Frau! Wie wäre es mit dieser Borde?“

„Die ist aber roth!“

„Nun ja, gelblich roth, paßt aber reizend zum Kleide. Die Farbennuance ist ebenso apart wie modern!“

„Ich will das einmal bei Lampenlicht besehen!“

„Ich bitte hier einzutreten!“

Sie verschwand. Der Kaufmann rieb sich vergnügt die Hände.

„Das ist eine unserer elegantesten Damen bei Hofe,“ sagte er. „Ihr machen viele nach, was sie gewählt hat. Sie hat das, was man einen ‚originellen Geschmack‘ nennt. Sie haben es ja gesehen: braun brochirte Seide mit Cremespitzen wollte sie und grün Moiré antique mit rother applizierter Borde wird sie wählen. Sie kommt wieder – passen Sie auf!“

„Ich meine, die Borde könnte noch einen Stich röther sein!“

„Zu Befehl, gnädige Frau! Hier – gnädige Frau haben wieder außerordentlich geschmackvoll gewählt. Die Kombination wird Aufsehen machen, sehr originell!“

Sie nickte huldvoll.

Und als sie sich mit ihrer Zofe in den Wagen setzte, hörte ich sie sagen:

„Wenn man diesem Müller nicht ab und zu einen guten Gedanken gäbe, so käme er nie vorwärts!“

Die Geschichte machte mich stutzig.

„Einmal mag Ihnen dies gelingen, aber nicht immer!“

„Glauben Sie? Die ganze Kunst des Modehändlers besteht ja darin, die Kundschaft kaufen zu lassen, was Nutzen bringt. Kommen Sie! Ich werde Sie den Verlauf dieser Modenfragen noch weiter beobachten lassen.“

Nach einigen Tagen lauschte ich wieder.

Die Frau Kommerzienräthin J. saß fest auf dem Stuhl vor dem Ladentisch.

„Herr Müller, ich bin sehr böse auf Sie!“

„Weshalb, bitte? Ich bedaure sehr! Ich weiß nicht –“

„Warum haben Sie denn den grünen Moiré antique mir nicht gezeigt, den die Baronin F. auf dem Feste trug? Ich bin eine treue Kundin von Ihnen, aber ich bitte auch . . .“

„Sie werden nicht lange zürnen, gnädige Frau. Wollen Sie sich vielleicht in mein Privatcomptoir bemühen?“

Dort angekommen, entrollt er aus einem noch verpackten Ballen einen grünen blumigen Seidenstoff mit der Miene des sicheren Sieges.

„Nun?“ frug die Kommerzienräthin.

„Soeben eingetroffen! Auch nach Paris ist der Stoff erst in dieser Woche von der Fabrik versendet worden!“

„Und niemand kauft ihn!?“

„Ich versichere Sie – der berühmte Worth selbst . . . “

„Wenn’s nur wahr ist!“

„Ich gebe Ihnen mein Wort!“

„Und wer hat ihn hier schon gesehen?“

„Niemand als Sie, Frau Kommerzienräthin. Ueberzeugen Sie sich, hier habe ich zehn Stück, den Meter zu dreißig Mark. Sie sehen, ich will ein Geschäft damit machen. Wenn Frau Kommerzienrath den Stoff kreiren, ist der Erfolg zweifellos. Bei der Figur, den Farben!“

„Sie sind ein Schmeichler! Es ist aber wieder Grün, ganz wie bei der Baronin!“

Der Kaufmann klingelte einen Bediensteten herbei.

Bringen Sie einmal den neuen Moiré antique!“

Und als er gekommen war, sagte er:

„Sehen Sie, die Farbe ist ja nicht ganz neu, Frau Kommerzienrath hatten ja selbst ein ähnliches Kleid in Crêpe für das Seebad. Das Neue ist hier das Muster, große Ramage, Grün in Grün, das hebt den Stoff außerordentlich. Frau Kommerzienrath werden strahlend aussehen – vielleicht etwas schwarzer Besatz, Silberschmuck, Brillanten, stark gepudert –“

„Wieviel soll ich zahlen? Glauben Sie, ich laufe als Ihre Probiermamsell in der Gesellschaft herum und bezahle das noch mit dreißig Mark für den Meter? Sie wissen, ich kenne das Geschäft! Mein Mann lacht mich aus, wenn ich ihm die Rechnung zeige!“

„Wir wollen erst den Besatz aussuchen. Herr Kommerzienrath wird schon seine Freude haben . . . das andere findet sich . . . “

Ein zierliches junges Mädchen erschien an der Seite einer stattlichen Mama. Sie gingen sicheren Schrittes durch den Laden, jenem Tische zu, auf welchem sie das Gewünschte zu finden hofften. Der Inhaber des Geschäfts begleitete sie und schob ihnen Stühle unter.

„Sie hatten“ begann die Mama „vor einiger Zeit ein Heliotrop, einen leichten Atlas.“

„Der ist mir leider ausgegangen, er wird nicht mehr getragen.“

„Ach bitte, besorgen Sie mir ihn doch! Ich möchte ihn zu einem ganz bestimmten Zwecke haben.“

„Ich fürchte,“ antwortete der Händler, „daß er nicht mehr zu bekommen sein wird, auch bei der größten Mühe. Ich kann auch nicht dazu rathen, denn . . .“

„Aber ich brauche eine ganze Menge davon,“ warf das Fräulein ein. „Wir haben ein Kostümfest, sechs junge Damen . . .“

„Im Augenblick, da fällt mir ein – ich habe in rosa Merveilleux etwas ganz Modernes, wäre das vielleicht . . .?“

„Nein, nein,“ betonte die Mama mit Entschiedenheit, „wir haben das Heliotrop gewählt. Hier ist noch eine Probe davon. Könnten Sie nicht ein Stück fertigen lassen? Wir brauchen sechzig Meter.“

„Bedaure sehr, das ist ganz unmöglich! Die Fabriken sind überbürdet mit Aufträgen. Aber hier ein Satin in Lichtblau dürfte gnädigem Fräulein besser stehen, Heliotrop macht so bleich!“

„Aber Herr Müller,“ sagte diese mit ängstlichem Blick, „Sie sind doch sonst so gefällig. Das eine Stück werden Sie doch machen lassen können. Wir brauchen es so nothwendig!“

„Ganz unmöglich, meine Gnädigste!“

„Ich werde zu Herrn Schulze gehen!“ sagte sie drohend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_676.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)