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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Er hatte einer Flasche bereits mit seinem Säbel den Kopf abgeschlagen und trank in vollen Zügen von dem hervorschäumenden Naß.

„O, o, o! wie schade! Die Hälfte läuft ja über!“ bedauerte Dornbusch und griff nun auch seinerseits begierig nach der angebrochenen Flasche. „Auf Dein Wohl, Jesaias – – Herr Unteroffizier!“

Jesaias Schellbaum richtete sich kerzengerade auf und drehte sein blondes Schnurrbärtchen, herablassend lächelnd, durch die Fingerspitzen.

„Sie haben recht, Gefreiter Dornbusch; in Feindes Land sind mer allzeit im Dienst. Ich trinke den Rest auf Ihre Gesundheit.“ Und er hob die Scherbe an den Mund und leerte sie, ohne abzusetzen.

Der Gefreite holte nun sein Taschenmesser hervor und langte nach einer zweiten Flasche.

„Auf einem Fuße können wir nicht stehen; diese hier trinken wir noch auf Seine Majestät den König und auf den Sieg unserer gerechten Sache …“

„Und auf gesunden Heimmarsch, Fritze!“ ergänzte der Unteroffizier, der schon wieder die Dienstmiene aufgegeben hatte und gemüthlich wurde.

„Mir auch einen Schluck!“ rief ein dritter Soldat, der eben in der Stallthür erschienen war und verwundert den Vorgang bemerkte.

„Sollst ihn haben, mein Junge,“ versetzte der Unteroffizier, „aber erst von der nächsten; diese hier pfeife ich mit dem Gefreiten Dornbusch ganz allein aus … hi, hi, hi!“

„Lassen Sie ihn doch mittrinken, Herr Unteroffizier!“ sagte Dornbusch, der nicht ohne Besorgniß die steigende Munterkeit seines Vorgesetzten bemerkte, „wir haben ja Stoff genug.“

„Sie haben zu schweigen, Gefreiter, und Ordre zu pariren!“ schnarrte Jesaias in komischem Ernst. Er nahm die eben geöffnete Flasche dem andern aus der Hand und sagte mit erhobener Stimme: „Auf alle blonden Mädchen an beiden Ufern des Rheines!“

„Ja, darauf trinke ich mit!“ rief Dornbusch begeistert.

„Ha, ha!“ lachte Jesaias, „wie dem Fritze die Augen funkeln! Hast Du … haben Sie denn auch so ’was Blondes zu Hause, Gefreiter Dornbusch? he?“

„Freilich habe ich das! Das schönste Mädchen in X! Und auf die wollen wir diese Buttel leeren!“

„Halt, halt! immer hübsch sachte!“ lallte der Unteroffizier, der mehr und mehr berauscht wurde, „das schönste Mädchen in X? Die müßte ich doch auch kennen! Wie heißt sie denn? Dort giebt’s keine schöne Dirne, die mir nicht schon ihr Schnäbelchen geboten hätte.“

„Ho, ho!“ fuhr Dornbusch auf, „die Marie Segner aber nicht! Die ist meine Braut und kein anderer als ich hat sie je küssen dürfen.“

„Die Marie Segner?“ prahlte der trunkene Unteroffizier, den dieser Einspruch des Gefreiten reizte, „ach, du lieber Gott! die kenne ich ganz genau … ist ein schmuckes Mädel, das muß wahr sein! Dem ersten besten fällt sie nicht um den Hals … aber dem Tischler Jesaias Schellbaum – dem hat sie doch nicht widerstehen können!“

„Das lügst Du, Schellbaum!“ rief wüthend der Gefreite und packte ihn am Arme, „gleich nimmst Du vor diesem hier,“ er deutete mit einer Kopfbewegung nach dem hinzugekommenen Kameraden, „Deine Lügen zurück oder … Du sollst mich kennen lernen!“

Unwillig machte sich der Unteroffizier frei, indem er einen Schritt zurücktrat.

„Gefreiter Dornbusch, wollen Sie sich an Ihrem Vorgesetzten vergreifen?“

„Der Teufel ist mein Vorgesetzter! Wenn Du nicht widerrufst, was Du gegen mein Mädchen gesagt hast, so schlage ich Dir den Schädel ein!“

„Sei vernünftig, Dornbusch!“ suchte der dritte Soldat den Zornbebenden zu beruhigen, „mache Dich nicht unglücklich!“

„Er ist ein Narr!“ stammelte der Unteroffizier, „wegen der blonden Segner! Wegen der! Hi, hi! Die …“

Weiter kam er nicht. Der feste Kistendeckel, den Dornbusch ergriffen hatte, sauste durch die Luft und auf den Schädel des Trunkenen. Ein harter Schlag, ein kurzes Aufstöhnen, und Jesaias Schellbaum brach wie vom Blitze gefällt zusammen.

„Barmherziger Gott! Er hat ihn erschlagen!“ schrie der entsetzte Unbetheiligte und stürzte aus dem Stalle.

Fünf Minuten später stand der Gefreite Dornbusch, durch den Schreck völlig ernüchtert, vor seinem Hauptmann.

„Zum Teufel!“ sagte der Hauptmann, „wie konnte sich ein Gefreiter so weit vergessen? Wenn Sie auch, wie es scheint, gereizt worden sind, so mußten Sie doch so viel Disciplin im Leibe haben, um sich nicht so unverantwortlich hinreißen zu lassen! Wo in aller Welt hatten Sie denn Ihre fünf Sinne? Einem Unteroffizier der eigenen Kompagnie den Schädel einzuschlagen! Man hat ihn für todt weggetragen! Das Kriegsgericht wird Ihnen den Prozeß machen, und hoffen Sie nicht, daß Sie billig davonkommen; Ihr Leben ist verwirkt!“

Als der Gefreite entwaffnet und verhaftet wurde, brummte der Hauptmann, der mißgestimmt zusah: „Jammerschade um den Kerl! Der schneidigste Gefreite meiner Kompagnie! Hätte sich das Eiserne Kreuz holen können und muß nun so elend zu Grunde gehen!“ –

Die Kompagnie trat den Weitermarsch an. Da es in Feindesland keinen Untersuchungsarrest giebt, so wurde Dornbusch, dem Flinte und Seitengewehr abgenommen worden waren, am Ende der Kompagnie durch eine besondere Wache mitgeführt. Im Bivouac wurde er der Lagerwache übergeben. Wortlos ließ er alles mit sich geschehen. Die Kameraden betrachteten ihn scheu und nicht ohne geheimen Schauder; sie begriffen die Schwere seines Vergehens und ahnten, daß man zur Aufrechterhaltung der Disciplin an ihm ein abschreckendes Beispiel aufstellen würde.

Als die Sterne auf die ums schwelende Wachtfeuer hockende Lagerwache niederfunkelten, gedachte der arme Verhaftete seines fernen Liebchens. O, wenn er ihr noch einen einzigen Abschiedskuß auf die frischen Lippen drücken, noch ein einziges Mal seine Wange an die ihre legen dürfte! Er hatte nicht an ihr gezweifelt; er wußte, daß sie rein und treu war; zur Vertheidigung ihrer jungfräulichen Ehre hatte er die rächende Hand erhoben; wenn er in der Züchtigung eines trunkenen Schwätzers und Aufschneiders, gegen seinen Willen, zu weit gegangen war, sie würde ihn nicht als Todtschläger verurtheilen, sie würde ihm verzeihen und ihre herzliche Theilnahme nicht versagen. Aber sie erfuhr wohl gar nicht, weshalb man ihn – – – Wie lange war es ihm noch vergönnt, das Licht der Sonne und das Gefunkel der Sterne zu erblicken? Bald, das weiß er, naht die Stunde, wo man ihn vor das Kriegsgericht fordern wird; oft genug hat er von dem abgekürzten Verfahren solcher Gerichte erzählen gehört: Anklage, Vernehmung der Zeugen und Urtheil folgen einander auf dem Fuße, und ist das Todesurtheil gesprochen, dann wird nicht lange gefackelt – eine Grube im Sande ist bald gegraben; er muß vor ihr niederknien oder kann auch, wenn er die Kraft dazu hat, vor ihr stehen bleiben – eine krachende Salve – und vom heißen Blei durchbohrt, sinkt er ins offene Grab. Ein Schleier webt sich vor seinen Augen; er wischt mit dem Handrücken über die Wimpern und ein paar funkelnde Tropfen bleiben an seiner Hand haften. Pfui Teufel, Dornbusch! Du wirft doch nicht greinen wie ein Frauenzimmer! Einen Tod sind wir alle schuldig, der eine früher, der andere später; wer weiß, ob der Sergeant dort, der die Wache befehligt und mich, den Todgeweihten, bewacht, nicht noch eher ins Gras beißt als ich!

„Herr Sergeant!“ hob er mit leiser Stimme an, „Herr Sergeant!“

„Was giebts?“ fragt dieser freundlich zurück; er hat soeben ähnliche Betrachtungen angestellt – ihm sitzt ein Weib nebst einem Kindlein daheim und er hat sich im stillen gefragt, ob er sie wohl noch einmal wiedersehen werde – „was wollen Sie, Dornbusch?“

„Herr Sergeant, ich hätte eine große Bitte; könnten Sie mir wohl einen Zettel Papier schenken? Einen Bleistift habe ich selber; ich möchte nur noch einen letzten Gruß an meine Braut schreiben.“

„Nun,“ brummt der Sergeant, der ein eigenartiges Zucken des Herzmuskels verspürt, „wenn ich auch nicht akkurat weiß, ob das statthaft ist, ich denke, ich werde es verantworten können. Hier ist ein Briefbogen und ein Umschlag“ – er hatte beides aus seinem Tornister hervorgekramt – „rücken Sie nur näher ans

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_679.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)