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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Feuer und schreiben Sie getrost an Ihre Liebste; Sie können sie auch von mir grüßen, wenn ich sie auch nicht kenne. Horch! da vorn knallt es schon wieder! Morgen früh wird es wohl etwas geben; wer weiß, wer morgen abend von uns noch übrig ist!“

Friedrich Dornbusch meldete seiner blonden Marie, was ihm begegnet war, und nahm von ihr Abschied für dieses Leben. Als er den Brief gefaltet und adressirt hatte, übergab er ihn dem Sergeanten mit der Bitte, ihn doch unter die andern Kompagniebriefe zu stecken und so in die Hände der Feldpostordonnanz gelangen zu lassen. Der Brief wurde auch richtig schon am andern Morgen befördert und kam ziemlich schnell nach X, wo er dem Herzen eines flachshaarigen Mägdleins eine gar bittere Pein bereitete.

Der Sergeant hatte übrigens recht prophezeit. Es kam am nächsten Tage zu einem ungestümen Kampfe bei Courcelles, zu jener Schlacht, die gewöhnlich nach den Orten Colombey-Nouilly benannt wird. Jedes Gewehr war von Wichtigkeit. Der Hauptmann sprengte an das Ende seiner noch im Anmarsch begriffenen Kompagnie und befahl, den Gefreiten Dornbusch für die Dauer des Gefechts zu bewaffnen und in Reih und Glied zu stellen.

Der so überraschend, wenn auch voraussichtlich nur für kurze Zeit Erlöste kam sich wie ausgetauscht vor. Welch unschätzbar hohes Gut ist doch die Freiheit, selbst die Freiheit, zu kämpfen und vielleicht den Tod zu finden! Er hätte aufjubeln und seinen beiden Nebenleuten abwechselnd um den Hals fallen mögen! Er durfte wieder seine Zündnadel führen; er durfte sie laden und ihr zischendes Blei gegen die Feinde seines Vaterlandes versenden! O du grause, herzschwellende Lust des männermordenden Kampfes!

„Der Schützenzug schwärmen!“ erscholl das Befehlswort. „Dorthin! gegen das Gehöft!“

Und auseinander stob der Zug und wimmelte und knallte vorwärts über Hecken und Gräben, immer näher gegen eine Meierei, deren steinerne Umfassungsmauer von den rührigen Rothhosen in aller Eile mit Schießscharten versehen worden war. Mörderisch schlug der Chassepothagel in die braven blauen Jungen und knickte manch hoffnungsvolles Leben, das hoch und stolz aufgeschossen war zur Freude liebender Eltern oder einer schwärmenden Braut. Die heftig vorstürmende Bewegung wurde aber mählich langsamer; hier und da duckte sich ein Schütze und blieb hinter einer Erdfalte liegen – man wußte nicht, war er getroffen oder wollte er Deckung suchen.

„Vorwärts! vorwärts!“ schrie Dornbusch in glühendem Kampfeseifer, „vorwärts, Kameraden! Stopfen wir der grrrande nation das grrrooße Maul!“

Einige lachten; alle aber fühlten sich hingerissen durch das Beispiel des löwenkühnen Rheinländers, der in immer gleicher Geschwindigkeit voranstürmte und dem sie begeistert nachfolgten.

„Hurrah! Hurra – a – ah!“ Sie hatten die Mauer des Gehöftes erreicht. Man steckte die Zündnadeln von außen durch die Schießlöcher und knallte den abziehenden Franzosen nach; Dornbusch aber schwang sich über die Mauer, räumte die Hindernisse fort, die das Hofthor versperrten, riß einen Thorflügel auf und rief:

„Kommen Sie ’rein in die gute Stube! So! die hätten wir gesäubert! Und nun dem Feinde nach! Hurrah, wer folgt mir?!“

Der Sergeant, der zur Nacht die Lagerwache gehabt hatte, brummte kopfschüttelnd: „Dummes Zeug! Wir bleiben hier und schicken der Gesellschaft unsere blauem Bohnen nach. Dorthin, an die jenseitige Mauer! Was die Rothhosen können, können wir auch; wir schlagen dort ebenfalls Schießscharten …“

Er beendete den Satz nicht; er warf beide Arme in die Luft und fiel vornüber zur Erde; eine Kugel hatte ihm das Herz durchbohrt.

Dornbusch beugte sich über ihn und sah, daß er todt war. „Nun ist er mir doch zuvorgekommen!“ murmelte er halblaut zwischen den Zähnen. Dann richtete er sich auf und bat die Kameraden, den Körper des Gefallenen an der Mauer zu bergen. Vorsichtig legten sie ihn dort nieder, als gälte es, dem Empfindungslosen jede harte Berührung zu ersparen.

„Gott schenke ihm den ewigen Frieden!“ sprach Dornbusch feierlich und lüftete seinen Helm.

„Amen!“ erklang es im Chor. Auch die Kameraden hatten einen Augenblick ihre Häupter entblößt.

„Und nun weiter!“ hob Dornbusch wieder an, „wir geben den Rothhosen das Geleit! Die Arbeit, die wir heut thun, bleibt uns morgen erspart! Vorwärts!“

Das Häuflein stürmte durch das Gehöft und auf der anderen Seite hinaus, dem abziehenden Feinde nach.

Der den Zug befehligende Lieutenant, der mit dem größten Theil seiner Leute den Westrand der genommenen Meierei besetzt hatte, sah, wie eine Sektion unter Führung des Gefreiten Dornbusch vorbrach.

„Hier geblieben!“ rief er den Kampfberauschten nach, „wir müssen uns erst sammeln.“

Sie hörten nicht. Da verließ der Offizier seine Deckung und lief hinter den Durchgängern her.

„Seid ihr denn taub und blind? Himmeldonnerwetter, zurück!“

Die Sektion stutzte. Dornbusch kehrte sich um und bemerkte den athemlos herankommenden Zugführer.

„Sammeln!“ rief dieser.

„Kehrt! sammeln!“ wiederholte Dornbusch, und die Sektion wandte sich und zog sich wieder nach dem genommenen Gehöfte zurück. Aber ein heulender Kugelhagel wurde ihr nachgesandt.

„Unser Lieutenant!“ rief plötzlich ein Soldat und deutete rückwärts.

Der Offizier war zusammengebrochen und lag verlassen und hilflos auf der ungedeckten Ebene, preisgegeben den Geschossen des in kurzer Entfernung sich wieder einfindenden Feindes.

„Ich hole ihn!“ sagte Dornbusch, „Ihr andern, marsch, marsch ins Gehöft!“

Die Sektion war verschwunden. Ueber die Wiese vor den Häusern schritt stolz und aufrecht der Gefreite bis zu dem ungefähr zweihundert Schritt entfernt liegenden Gefallenen. Aus dem Wäldchen jenseits der Wiese zischte eine Chassepotkugel um die andere nach dem todesmuthigen Manne. Er lächelte der Gefahr und schritt so ruhig vorwärts, als ob ihn nur Mücken umschwärmten. Was war ihm der Tod auf dem Felde der Ehre? Ein herzlich willkommener Freund, der ihn erretten würde vor der Schmach eines Kriegsgerichtes und vor dem schimpflichen Ende eines Verbrechers!

Aber dieser Freund war treulos; er hatte wohl den armen Sergeanten und manch anderen tapferen Kameraden vom Schützenzuge gefällt; er hatte dort nach dem jugendfrischen beherzten Lieutenant die knöcherne Hand ausgestreckt; den Gefreiten Dornbusch aber wollte er nicht bemerken, er schonte ihn, obgleich dieser ihn mit allen Fibern seines Herzens herbeisehnte.

„Sind Sie verwundet, Herr Lientenant?“ fragte Dornbusch und knieete neben dem Stöhnenden nieder.

„Sie? Dornbusch?“ hauchte dieser und sah den Retter mit matt aufglänzendem Auge an. „Das lohne Ihnen Gott, daß Sie mich hier nicht liegen lassen wollen! Ich bin in die Brust geschossen … schlimm genug! Aber wenn ich in die Hände des Feindes fiele, das wäre noch schlimmer! Helfen Sie mir!“

„Ich trage Sie durch Feuer und Wasser, Herr Lieutenant, durch Himmel und Hölle, wenn’s sein muß!“ Er umfaßte den Verwundeten und hob ihn mit seinen herkulischen Armen ohne besondere Anstrengung auf.

„Dann lieber in den Himmel,“ lächelte der Offizier, den der Eifer seines Getreuen rührte, „oder noch besser, nach dem Verbandplatze! Ich bin ja erst zweiundzwanzig Jahre und denke, ein so junges Fell wird wieder geflickt werden können.“

Der Hauptmann, der zu seinem Zuge vorgeeilt war, stand hinter der Gehöftmauer und sah, wie der Gefreite Dornbusch den verwundeten Lieutenant durch den Kugelregen so besorgt zurücktrug, wie etwa eine Mutter ihr Kind getragen haben würde.

„Jammerschade um den braven Jungen!“ brummte er in den Bart, während ihm die kampferhitzten Augen feucht schimmerten, „ich schlage ihn, hol’ mich der Teufel! zum Kreuze vor, und wenn er es auch nur eine Woche lang tragen sollte!“ –

Das französische Heer hatte vor der Ueberlegenheit der deutschen Waffen das freie Feld nicht mehr behaupten können; es hatte sich in die Feste Metz zurückgezogen und hauste dort wie ein fabelhaftes Ungethüm in seiner Höhle. Ab und zu öffnete es ein Loch in seinem Schlupfwinkel und streckte seine riesigen Fangarme in Gestalt hervorbrechender Kolonnen aus oder es suchte uns sein ätzendes Gift, in Form von zischenden Granaten, in die Augen zu spritzen; wir aber standen fest und lockerten den Kreis nicht, in dem wir es eingeschlossen hielten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_680.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)