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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Blätter und Blüthen.

Die Jahnshöhle bei Giebichenstein. (Zu dem Bilde S. 705.) Da, wo die vielbesungene Saale unterhalb Halle durch die sogenanntn Trothaer Felsen zu einer scharfen Umbiegung gezwungen wird und dann wenige hundert Schritte stromabwärts über das Kröllwitzer Wehr stürzt, befindet sich in einem von dem Flusse unmittelbar bespülten Felsen eine Höhle von nur geringer Ausdehnung; ein kleiner Vorplatz ist durch eine Aufmauerung aus Quadersteinen hergestellt, ein kunstvoll gearbeitetes eisernes Geländer umgiebt diesen, und über dem Eingang der Höhle ist eine eiserne Gedenktafel mit einem Medaillonbildniß an den Felsen geheftet.

Wie man aus den das Brustbild umgebenden Sinnbildern, dem Eichenkranz und dem vierfachen F, ersieht, ist es die deutsche Turnerschaft, welche dieses historische Stückchen Erde für sich in Anspruch nimmt. Denn hier verbrachte am Ausgange des vorigen Jahrhunderts der „Turnvater Jahn“ als akademischer Bürger der Halleschen Universität einen vollen Sommer. Welche äußere Gründe ihn auch bewogen haben, in diese freiwillige Verbannung zu gehen, für uns hat dieser eigenartige Abschnitt eines vielbewegten Menschenlebens ein ganz besonderes Interesse deshalb, weil er die germanische Urwüchsigkeit des „alten Jahn“ bereits in dem Jünglinge ankündigt. Jahn war ein ausgesprochener Gegner des studentischen Duells und lebte deshalb mit den Landsmannschaften in steter Fehde, bei welcher seine gute Faust und ein tüchtiger „Ziegenhainer“ sein Wehr und Waffen waren. Er wurde endlich von den Verbindungen in Verruf erklärt und wenn er diese akademische Vogelfreiheit auch nicht fürchtete, so sehnte er sich doch, den unausgesetzten Raufereien aus dem Wege zu gehen, und zog sich deshalb in das unwirthsame Felsennest zurück, ohne jedoch auch hier den Belästigungen völlig zu entgehen. Sein Versteck war einer der Landsmannschaften bekannt geworden, mehrere Mitglieder derselben beschlossen, den Geächteten in seiner Höhle aufzusuchen, um ihm „die Reitpeitsche zu geben“, d. h. ihn mit diesem Geräthe zu züchtigen. Jahn hatte sich jedoch in unbestimmter Vorahnung auf Ueberraschungen eingerichtet und auf dem Felsen über seiner Höhle an einzelnen Punkten Steine zusammengehäuft. Sein wachsames Auge entdeckte auch rechtzeitig die heranschleichenden Feinde; er schwang sich unbemerkt um den Felsenvorsprung herum und als jene nun in die Höhle eindrangen, fanden sie dieselbe leer; hoch über dem Eingange aber stand der „wilde Jahn“, der ein wohlgezieltes Feuer auf sie eröffnete und sie derartig in die Enge trieb, daß sie schließlich um freien Abzug förmlich kapituliren mußten.

Nach dieser energischen Abwehr blieb der junge Einsiedler unbelästigt. Er soll dann den ganzen Sommer hindurch so ausschließlich hier gehaust haben, daß er nur zur Beschaffung des Nothwendigsten von Zeit zu Zeit nach Kröllwitz hinüberschwamm, wo er, wie man erzählt, ein kleines Ackergrundstück gepachtet hatte, das ihm seinen Bedarf an Kartoffeln lieferte. Wieviel hiervon auch der Legende angehören mag, jedenfalls steht soviel fest, daß Jahn längere Zeit hindurch in dieser Höhle gewohnt und hier den ersten grundlegenden Gedanken zu seinem werthvollsten Werke, dem „Deutschen Volksthum“, gefaßt hat.

Selbstverständlich wird die „Jahnshöhle“ von den zahlreichen Turnerfahrten, welche die Stadt Halle berühren, mit ähnlicher Pietät wie das Haus und das Grab des Turnvaters in Freiburg a. d. U. aufgesucht. Vor wenigen Wochen erst hielten an Bord einer kleinen Flotille 700 Turner des Nordostthüringischen Turngaues vor der Höhle und veranstalteten an der denkwürdigen Stätte eine eindrucksvolle Gedächtnißfeier. Seit der freundlichen Ausstattung dieses so romantisch gelegenen Punktes ist auch seine Anziehungskraft und das Interesse an ihm mehr und mehr im Wachsen begriffen, so daß man sich schon jetzt mit dem Gedanken trägt, diese Schöpfung der ehrenden Erinnerung mit einem Standbilde des „Vater Jahn“ zu krönen.

Bibliotheken für Arbeiter. Unter den Wohlfahrtseinrichtungen für die Arbeiter nehmen die in vielen Fabriken errichteten Bibliotheken eine beachtenswerthe Stellung ein. Ueber die Grundsätze, nach welchen die Bücher für dieselben gewählt werden sollen, ist viel geschrieben worden. Wir wissen so ziemlich genau, was für solche Bibliotheken geeignet ist, und besitzen eine Reihe von Musterkatalogen. Erst in neuerer Zeit trat man aber der Frage näher, was von den Arbeitern begehrt wird. Man vermerkte, wie viele Male ein Buch im Laufe des Jahres gelesen wurde, und fand so die Geschmacksrichtung der Arbeiter einer bestimmten Gegend. Dr. Julius Post veröffentlichte neuerdings einige solche Zusammenstellungen, unter denen die des Fabrikanten Heye in Gerresheim die beachtenswerthesten sein dürften. Besonders beliebt sind unter den Gerresheimer Arbeitern: Gerstäcker (der Band wurde 18 mal gelesen), Cooper (30 mal), Bonnet, Hauff, Höcker, Hoffmann, Horn, Nieritz, Otto, Fritz Reuter, Schmidt, Smidt und Ottilie Wildermuth. Auch die Märchen erfreuten sich eines starken Zuspruchs. So wurden Schwab 39 mal, Rübezahl 20 mal, Andersens Märchen 20 mal gelesen. Endlich fand Herr Heye bei seinen Arbeitern eine besondere Vorliebe für Reisebeschreibungen, denn Kane wurde 20 mal, Cook von Müller 27 mal, Cook von Redenbacher 13 mal gelesen. Bei der Erweiterung der Bibliothek wurde darum dieses Bedürfniß berücksichtigt und eine Anzahl Werke über Afrika angeschafft. Man traf damit das Richtige; denn in zwei Monaten wurden der „Tigerfürst von Abessinien“ 12 mal, „In Kamerun“ 9 mal, „Sklavenjagd im Sudan“ 9 mal gelesen.

Die Wahl des Titels ist für das Buch nicht gleichgültig; auch hier zeigte sich der Einfluß des Titels recht deutlich. Werke mit wenig besagenden Titeln oder solchen, hinter denen moralisirende Absichten vermuthet werden konnten, wurden wenig oder gar nicht verlangt, wie dies z. B. dem „Pfarrer Plebanus“ von Ottokar Schupp erging, der trotz seines kriegerischen Inhalts keinmal verlangt wurde, während der „Hexenmüller in der Wisper“ von demselben Verfasser 10 mal gelesen wurde. – Das Fortsetzen solcher „Erhebungen“ ist sehr zu wünschen. Aus dieser Statistik kann man viel lernen und Buchhändler und Schriftsteller werden gewiß mit der Zeit die Winke benutzen, die sich für sie daraus ergeben. *

Das Zeitalter der Revolution. Unter den vielen Werken, welche die französische Revolution und ihre Zeit behandeln, wüßten wir kaum eines, das bei wissenschaftlicher Gründlichkeit so das Bedürfniß des gebildeten Laien im Auge behält, als „Das Zeitalter der Revolution, des Kaiserreiches und des Befreiungskrieges“ von W. Oncken (Berlin, G. Grotesche Verlagsbuchhandlung). Es umfaßt in weitem Rahmen die politischen und gesellschaftlichen Ursachen der großen Bewegung, aber auch, und hierin erblicken wir ein Hauptverdienst des schönen Werkes, den ganzen geistigen Hintergrund der Zeit in Frankreich wie in Deutschland. Diderot und die Encyklopädisten, Montesquieu, Voltaire und Rousseau treten ebenso in lebensvoller Schilderung vor uns hin, wie der junge Goethe und Schiller sammt Lessing, Klopstock und den übrigen geistigen Führern der Zeit. In großen übersichtlichen Zügen giebt Oncken die Ereignisse in Paris, den Emporstieg der französischen Armee, ihre Feldzüge, den gleichzeitigen Zustand der übrigen europäischen Länder, Bonapartes Siegesflug und endlich das erschütternde, heilig ernste Aufraffen und Zusammenstehen Deutschlands zum Sturz des Welteroberers. Kerngestalten wie Fichte, Gneisenau, Arndt stehen hier in begeisterter Schilderung vor uns. Oncken faßt den großen Stoff zu einem Gesammtbild so energisch und wirkungsvoll zusammen, daß jeder um ein gutes Stück weitergekommen ist, der dieses Buch aufmerksam gelesen hat. Eine Fülle von lehrreichen Bildern, möglichst immer in zeitgenössischer Darstellung, Facsimiles und Plänen beleben den Text und geben die nothwendige Anschauung.

In Deutschland, wo es doch sonst nicht an geistigem Leben fehlt, ist bis heute das Lesen geschichtlicher Bücher bei der Jugend, bei Männern nicht gelehrten Berufs und bei Frauen auffallend vernachlässigt. Dies mag wohl in der strengen Fassung vieler berühmten Geschichtswerke seinen Grund haben. Aber gerade für dieses große gebildete Publikum ist das Onckensche Werk höchst empfehlenswerth. Br.

Hermann Langer †. Einer der hervorragendsten Förderer des deutschen Männergesanges, ein Meister des gemüthvollen Humors, eine der volksthümlichsten Gestalten der deutschen Sängerfeste ist am 8. September in Hermann Langer aus dem Leben geschieden. Als der jugendliche Alte Anfang Juli d. J. seinen 70. Geburtstag feierte, durfte man annehmen, daß ihm noch eine Reihe von Jahren beschieden sein würde – es ist anders gekommen: sein Liedermund verstummte, der durch den Zauber seiner Persönlichkeit fesselnde, allgemein beliebte Sängerführer ruht im Schoße der Erde und den zahlreichen Blumenkränzen und Palmenzweigen, die sein Grab schmücken, möge sich der Immortellenkranz anreihen, der von dieser Stelle aus im Geiste auf seine Ruhestätte niedergelegt wird.

Hermann Langer wurde am 6. Juli 1819 in Höckendorf bei Tharandt geboren. Da er schon frühzeitig Neigung für die Musik an den Tag legte, empfing er von seinem Vater, dem Organisten und Schullehrer des Dorfes, Anleitung im Klavier- und Orgelspiel. Wegen des Violinunterrichts mußte er allwöchentlich nach dem 2 Stunden entfernten Dippoldiswalde wandern, und zwar wird erzählt, daß der Knabe unterwegs barfuß ging, um seine Stiefel zu schonen, und daß er als Wegzehrung nur eine trockene Semmel und einen Sechser erhielt. Auch einige Jahre später, als der zehnjährige Hermann an Stelle seines Vaters schon den Gemeindegesang leitete und in den benachbarten Dörfern als Organist oder bei kleinen Musikaufführungen als Solist mitwirkte, wanderte der junge Sänger noch manchmal als Barfüßler von einem Orte nach dem andern. Vom 12. Jahre bis zur Konfirmation befand sich der Knabe bei dem Kantor Löbner in Oschatz, der ihn im Violinspiel weiter ausbildete. Als die Konfirmationszeit vorüber war, sehnte sich der Strebsame nach der Fürstenschule in Grimma. Damit war aber sein Vater nicht einverstanden; dieser meinte, sein Sohn wolle zu hoch hinaus und es genüge, wenn er später ebenfalls ein einfacher Volksschullehrer werde. Der 15jährige Hermann beugte sich vor dem Machtspruche, verzichtete auf Grimma und ging an das Fiedrichstädter Seminar nach Dresden, wo er u. a. drei Jahre lang Musikunterricht durch Kantor Munde empfing.

Als Seminarist mit zur Verstärkung des Hoftheaterchors verwendet, fand der jugendliche Sänger Geschmack an dem Bühnenleben und sein Sinnen und Trachten ging dahin, sich gänzlich der theatralischen Laufbahn zu widmen; der mit einer schönen weichen Tenorstimme begabte Jüngling wurde in diesem Entschluß durch die Kammersänger Risse und Babnigg bestärkt, die ihn im Verein mit dem Kapellmeister Rastelli ausbildeten, aber der Vater wollte nichts davon wissen und versagte mit Entschiedenheit seine Zustimmung. Als gehorsamer Sohn verzichtete Hermann auf die weitere Verfolgung der Theaterpläne und wandte sich mit um so größerem Ernste seinen Studien zu. Nachdem er einige Zeit lang als Hauslehrer gewaltet hatte, bezog er 1840 die Universität zu Leipzig, wo ihm insbesondere auch der Unterricht und die Gunst Mendelssohns zu gute kam. Unterm 8. Juli 1840 meldete er sich zur Mitgliedschaft bei dem akademischen Sängerverein „Paulus“. Drei Jahre später, am 14. Juli 1843, wurde ihm die Leitung dieses Vereins übertragen, außerdem fand er Anstellung als Organist an der Universitätskirche und als Gesanglehrer an mehreren Schulen. Im Jahre 1859 wurde er zum Ehrendoktor der philosophischen Fakultät, bald nachher zum Dozenten an der Universität mit dem Titel Lector publicus und ihm Jahre 1882 zum Professor ernannt; als aber im Jahre 1887 seine Ernennung zum Oberrevisor der Kirchenorgeln im Königreich Sachsen erfolgte, verließ er Leipzig und siedelte nach Dresden über. Seine musikalisch-litterarische Thätigkeit bestand in der Herausgabe verschiedener Hefte des „Repertoriums für Männergesang“, der „Musikalischen Gartenlaube“ (8 Bände), eines „Unterrichts im Gesange“ und in mehreren selbst komponirten und harmonisirten Chorliedern, von welch letzteren besonders „Das Lieben bringt groß Freud’“ in den Liedertafeln sehr oft gesungen wird. Außer bei dem Pauliner Sängerverein, den er 44 Jahre leitete und zu vorzüglichen Leistungen und hohem Ansehen führte, war er über 25 Jahre lang

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