Seite:Die Gartenlaube (1889) 716.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Grieche überhaupt stets bereit ist, patriotischen Zwecken im größten Maßstabe Opfer zu bringen.

Selbstverständlich war Griechenland nicht imstande, die große Zahl Gebildeter und Studierter, welche aus diesen Anstalten im Laufe der Jahre hervorgegangen sind, entsprechend zu verwenden, und es entstand daher ein Bildungsproletariat, welches für den kleinen Staat schon wiederholt zur ernsten Gefahr zu werden drohte. Da nämlich unter normalen Verhältnissen für die Stellenlosen keine Aussicht vorhanden war, in Ausübung ihres erlernten Berufes oder im Staatsdienste ihr Fortkommen zu finden, so wandten sie sich der politischen Wühlarbeit zu in der Hoffnung, dabei zu Ansehen und Verdienst zu kommen. Nun ist aber das politische Leben in Griechenland schon an sich ungewönlich rege. Die griechische Verfassung läßt dem politisch noch nicht hinlänglich gereiften Volke sehr große Freiheiten und unterstützt dadurch seine Neigung zu politischen Unruhen. Jeder einzelne will stets klüger sein als die leitenden Minister, und selbst auf die Regierungsmehrheit in der griechischen Kammer ist nie völliger Verlaß, weil die Gegensätze der Parteien nicht auf sachlichen und grundsätzlichen Verschiedenheiten in den Anschauungen der Führer, sondern vollständig in persönlichen Beziehungen ruhen und man ganz gut heute für den Minister, morgen für den Führer der Opposition stimmen kann, ohne dabei eigentlich seine politische Ansicht zu ändern. Diese Sachlage führte nun dazu, daß eine ununterbrochene politische Hetzerei entstand, an der neben den „Kumpari“ – Leuten, die mit einflußreichen und hervorragenden Persönlichkeiten in einem Verwandtschafts- oder doch in einem Gevatterschaftsverhältnisse stehen und ihnen Gefolgschaft leisten, wofür diese sie ihrerseits nach Möglichkeit unterstützen – das gebildete, aber dennoch hungernde Proletariat sich in hervorragender, oft ausschlaggebender Weise betheiligte, in der Hoffnung, durch die mit einem Ministerwechsel üblicherweise verbundene Neubesetzung vieler Beamtenstellen obenauf zu kommen. Der gegenwärtige Ministerpräsident Trikupis, ein kluger und energischer Politiker, hat dem zwar in letzter Zeit durch verschiedene Maßregeln wesentlich Einhalt gethan; aber es ist fraglich, ob die Wirkung seines Eingreifens andauernd sein wird. Da man sich begreiflicherweise nicht dazu entschließen konnte, die Lernfreiheit einzuschränken, so ist nicht ausgeschlossen, daß das alte Spiel in einiger Zeit von neuem beginnen und die Regierung abermals in die Lage kommen wird, bei Entscheidungen wichtigster Natur dem unberechenbaren Drucke der Menge folgen zu müssen.

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit der Finanzlage und den Erwerbsverhältnissen Griechenlands zu, so finden wir, daß sie vergleichsweise günstig sind. Es ist ja richtig, daß auch Griechenland eine ganz erhebliche Schuldenlast trägt – an 550 Millionen Drachmen[1] – aber die Zustände sind geordnet und gefestigt und überall tritt ernstes Streben zu Tage. Während 1824 und 1825 die provisorische Regierung in London Anlehen im Betrage von 800 000 und 2 000 000 Pfund Sterling Nennwerth aufnehmen mußte, für die sie in Wahrheit nur 348 000 und 572 000 Pfund Sterling erhielt, wurde in jüngster Zeit eine Anleihe von 125 Millionen, vierprozentiger Goldrente zu einem Ausgabekurs von 771/8 Prozent und den Stückzinsen fast ausschließlich in Deutschland gezeichnet, nicht etwa bloß von Bankhäusern, sondern unter sehr lebhafter Mitwirkung des Privatkapitals.

Die Regierung trägt sich ferner mit dem Gedanken, das System der ewigen Rente an Stelle der tilgbaren einzuführen und auf diese Weise die Mittel zu finden, den Geldwerth zu heben, das Bahnnetz zu vergrößern und durch die Ersparniß an der Tilgung das Gleichgewicht im Staatshaushalte endgültig zu erreichen. Damit wäre auch für den griechischen Handel viel gewonnen. Derselbe ist ja heute schon bedeutend – die Ausfuhr an Korinthen z. B. hat einen Werth von rund 54 Millionen Drachmen, an andern Früchten von 7,2 Millionen, an Wein von 5,1 Millionen, an Tabak von 2,5 Millionen, an Mineralien von 20 Millionen, an Harzen, Oelen etc. von 4 Millionen; die Einfuhr, um nur die zwei größten Posten herauszugreifen, an Getreide einen Werth von 54 Millionen, an Garnen und Geweben von 27 Millionen; im besonderen beträgt der Werth der Ausfuhr nach Deutschland rund 4,3 Millionen, der der Einfuhr von dort 3,3 Millionen. Trotzdem hat der Handel noch lange nicht diejenige Ausdehnung erlangt, die der Erzeugungsfähigkeit des Landes entspricht. Wenn auch die griechische Handelsflotte, die rund 4500 Fahrzeuge mit 270 000 Tonnen und 22 000 Seeleuten umfaßt, ausgezeichnete Dienste leistet, so genügt dies doch nicht, denn es fehlt im Inneren, obwohl in den letzten Jahren in dieser Beziehung sehr viel geschehen ist, noch an Straßen und Eisenbahnen, und die Erzeugnisse an Holz, Marmor, Metallen, Tabak, Wein, Oliven können nur zum geringen Theil ausgeführt werden, weil es an der Möglichkeit der Beförderung fehlt.

Ist diese Möglichkeit einmal geboten, ist ferner der Kanal von Korinth vollendet, der (vergl. die Ausführungen der „Gartenlaube“ in Nr. 30 dieses Jahrgangs) die Verbindung Griechenlands mit dem europäischen Westen wesentlich verbessern wird, so wird nicht nur der griechische Handel zweifellos in einer überraschenden Weise emporschnellen, es werden auch Industrie und Landwirthschaft, die schon sehr erfreuliche Anfänge zeigen, weiteren Aufschwung nehmen. Solche Fortschritte werden aber auch bedeutend dazu beitragen, den politischen Verhältnissen mehr Ruhe und Gleichmäßigkeit zu geben, indem sie einen guten Theil der Unbeschäftigten einem gewinnbringenden Erwerb zuzuführen imstande sind.

Die Lage des Landes, dem Prinzessin Sophie in Kürze für immer angehören wird, ist also unzweifelhaft eine erfreuliche und ganz danach angethan, Gewähr für eine gesunde Weiterentwicklung zu bieten. Wir dürfen die deutsche Prinzessin mit der Ueberzeugung aus der alten Heimath scheiden sehen, daß glückliche Tage in der neuen sie erwarten.

Aber diese Ueberzeugung geben auch die Verhältnisse, welche die Prinzessin unmittelbar und persönlich berühren, denn das Leben am Hof zu Athen kann als das Muster eines glücklichen, herzlichen und liebenswürdigen Familienlebens gelten, ein Umstand, der nicht wenig dazu beigetragen hat, dem Herrscherhause die Liebe des Volkes zu sichern. König Georg, der, seitdem er am 31. Oktober 1863 die Regierung antrat, mit den Griechen gar manche schwere Zeit zu überwinden hatte, ist den Gewohnheiten eifriger Thätigkeit und schlichten, fast bürgerlichen Auftretens, die er vom väterlichen Hofe in Kopenhagen mitgebracht hatte, treu geblieben und hat dadurch von Anbeginn an die Neigung der Söhne Hellas’ erworben, eine Neigung, die er sich durch sein mannhaftes und glückliches persönliches Eintreten für die Interessen seines Volkes und durch seine streng verfassungsmäßige Regierung vollauf bewahrt hat. Königin Olga, eine Tochter des Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch von Rußland und der Prinzessin Alexandra von Sachsen-Altenburg, theilt die Neigung ihres Gatten zu einer einfachen Lebensführung und ist stets darauf bedacht gewesen, den Monarchen in seiner durchaus nicht immer leichten Aufgabe zu unterstützen; sie vermeidet es aber sorgfältig, sich mit politischen Angelegenheiten zu beschäftigen. Die Erziehung ihrer Kinder, der Verkehr mit den Frauen aus dem Volke und den Damen der Gesellschaft, die sie alle gerne um sich versammelt, die Förderung der zahlreichen Vereine und Anstalten für Frauenbildung, die Beschäftigung mit Musik und Malerei füllen ihre Zeit aus. Prinzessin Sophie wird an ihr eine gütige und liebevolle Beratherin in der für sie neuen Lebenslage finden.

Kronprinz Konstantin, der 21jährige Bräutigam, ist ein hübscher, kluger und außerordentlich sympathischer junger Mann, der unter der Leitung eines bewährten deutschen Gelehrten, Dr. Lüders, in Athen seine Studien begann und dieselben dann in Leipzig, Heidelberg und Berlin vollendete. Als er zu seiner militärischen Ausbildung in der deutschen Reichshauptstadt weilte, knüpften sich zwischen der Prinzessin Sophie und ihm die ersten Fäden zu dem Bande, welches sie nun bald fürs Leben vereinigen wird.

Der Herzog von Sparta, wie der amtliche Titel des griechischen Thronfolgers lautet, hat den schlichten Sinn seiner Eltern geerbt; nichts desto weniger wird gerade bei den Festlichkeiten anläßlich seiner Vermählung in den letzten Tagen des Monats Oktober der griechische Hof die Gelegenheit ergreifen, in prunkvoller Weise dem Auslande und den eigenen Unterthanen gegenüber, Gastfreundschaft zu üben und zu zeigen, daß ihm neben dem Geschmacke für Einfachheit die Gabe nicht mangelt, fürstliche Hoheit würdig zu vertreten.





  1. Eine Drachme gilt etwa 80 Pfennig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_716.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)