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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Mensch in der ganzen Umgegend, ein reicher, dicknäsiger Protz und ungehobelter Geselle, der neuerdings auch auf Wulfshagen verkehrt und da den liebenswürdigen Nachbar spielt, Erhards seine Feldbahn umsonst leiht und für die Benutzung seiner Dampfdreschmaschine nichts haben will als den Leutelohn, und der dabei Gertrud den Hof macht. Dem gönne ich’s! Wird ja wohl auch gut versichert haben.

Ich hole tief Athem und halte das Pferd an. „Konnte doch einmal nach Wulfshagen hinreiten und sehen, wie’s steht –“ und schon ist der Schimmel wieder in Trab gefallen. Wie am Tage hell ist es auf dem Wege. Jetzt bin ich schon da, bin verbotenerweise über den vorspringenden Acker geritten und reite von seitwärts auf den Hof. Alles still; alle Mannschaften sind zu Hilfe geeilt mit Spritze und Wassertonne und Leitern und Pferden. Die Hufe des Schimmels klingen plötzlich hell auf dem Pflaster vor der Hausthür – da fliegt sie auf und – Gertrud tritt heraus.

„Sie, Herr Frenzel?“ ruft sie erstaunt und steht da so schlank und lieblich im Schein der glühenden Lohe, als wär’s ein großer Heiligenschein, der sie umgiebt.

„Ich bin ganz allein,“ fuhr sie fort, „und mir ist’s ganz grausig bei dem furchtbaren Brande; es brennt ja wohl alles zugleich – sehen Sie die himmelhohen Flammen!“ Sie zitterte. „Aber wollen Sie nicht absteigen?“ Sie müssen freilich das Pferd selbst in den Stall führen.“

Ich trat zu ihr ins Wohnzimmer. „Wo ist Frau Erhard?“ fragte ich.

„In der Speisekammer; da bereiten sie ganze Waschkörbe voll Butterbröten; ich habe mir aber die Hand dabei zerschnitten.“

Sie hob die kleine, verbundene Hand hoch – es war die Linke. Der Mediziner in mir erwachte. „Lassen Sie sehen!“

Gehorsam reichte sie die Hand her. Es war ein tüchtiger Schnitt und schlecht verbunden. Ich machte es nach den Regeln der Kunst besser. Sie sah hochathmend vor sich nieder und schwieg.

„So!“

„Ich danke, Herr Frenzel!“ Wir sahen uns an, einen kleinen Augenblick. Die kranke Hand lag noch in meiner.

Sie wandte befangen, mit glühenden Wangen das Gesicht nach dem Fenster.

„Hier können wir nichts sehen!“ sagte sie leise; „besser im Saal –“

Wir standen im dunklen Saal am Fenster. Vor uns war lichter, brennender Tag.

„Sehen Sie, wie auf die Entfernung die dunklen Umrisse der Leute gegen das Feuer sich abheben?“

„Mögen Sie den Sternhagen, Fräulein?“

„Den? Abscheulich finde ich ihn, den aufgeblasenen, hohlen Gesellen!“

„Gertrud!“

Sie blickte ohne ein Wort der Erwiderung ins Feuer.

Ich sah ihr dicht in die Augen, in denen die Gluth von drüben sich spiegelte.

Sie lächelte ein klein wenig; ich hielt ihre gesunde Hand – ganz, ganz sanft; nun faßte ich sie fester; nun hob ich sie und legte zugleich meinen Arm um sie – sie neigte das Haupt – ich hob es empor – lichtbestrahlt, verklärt hatte ich ihr Gesicht vor mir und ihren rothen, weichen Mund. Was war das lodernde Feuer da draußen gegen die lohende Flamme, die in meinem Herzen brannte? Das war gemeiner irdischer Schein gegen himmlisches Licht – für mich! Und für sie!

Ich hielt sie mit beiden Armen umfangen. Ich hatte ihre Lippen, ihre Wangen, ihre Augen geküßt – wie in Andacht. Ihre Hände lagen um meinen Hals; wir sprachen kein Wort; im Hause war’s still, auf dem Hofe war’s still, und wir sahen uns still in die Augen.

„Fräulein Zorn! Wo sind Sie?“ klang da Frau Hedwigs helle Stimme im Flurgange. – Gertrnd schrak auf – ihre Lippen lagen weich und warm auf meinen, und wie vom bösen Gewissen getrieben, eilte sie davon, das schlanke, süße Geschöpf – und „mein! Bis ans Ende meiner Tage!“ – so dachte ich.

Ich riß das Fenster auf und sprang hinaus, schlich mich zu meinem Pferde und ritt sachte vom menschenleeren Hofe; und wie ein Traum war’s mir, als ich dahinritt durch die Nacht, durch die es mit gespenstischem, allmählich erblassendem Gluthschein zuckte, aufflammend und wieder verlöschend: – wie das Glück aufloht und in Nacht versinkt!

So war ich denn mit Gertrud verlobt. Nicht daß es ein feierliches, gehauchtes „Ja“ auf eben so feierlich gedrechselte Phrasen gegeben hätte – das hatten wir nicht nöthig. Es mußte so kommen, daß ich sie im Arm hielt, und es war so gekommen, ganz von selbst, ganz natürlich. Und nun mußte sie zu gegebener Zeit meine Frau werden, das war wieder ganz einfach, unumgänglich, selbstverständlich. Aber niemand durfte etwas davon ahnen, Frau Hedwig am wenigsten. Sie wollte ja keine verlobte Erzieherin, und Gertrud war auf ihre Stellung angewiesen! Da galt es Vorsicht!

Ganz heimlich steckte ich ihr am nächsten Leseabend unter den Bohnen ein Zettelchen in die Hand – manch verstohlener Händedruck ward so scheu, eilig, innig getauscht! – auf dem bat ich sie, ihren Nachmittagsspaziergang nach dem Tannenbusch bei den Steinen zu richten.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Künstler und Kritiker. Einen wesentlichen Theil des Inhalts unserer heutigen Tagespresse bilden die kritischen Referate, die keine Zeitung von nur einiger Bedeutung mehr entbehren kann. Alle Gebiete der Kunst, vielfach auch litterarische Erzeugnisse der Wissenschaften, zieht die Kritik in den Bereich ihrer Besprechungen und je größer der Leserkreis eines Blattes, je umfassender seine Verbreitung ist, desto mehr Einfluß auf den Geschmack und das Urtheil des großen Publikums werden die kritischen Besprechungen ausüben. Wenn die letzteren von kundiger Hand herrühren und mit Unparteilichkeit und gediegener Sachkenntniß abgefaßt sind, so dürfen sie als ein nicht zu unterschätzendes Bildungsmittel angesehen werden; nur der kleinere Theil der Leser ist in der Lage, Konzerte, Theater und Kunstausstellungen regelmäßig besuchen zu können, die überwiegende Mehrzahl derselben aber wird trotzdem mit regem Interesse die Fortschritte auf diesen Gebieten und die persönlichen Leistungen der Künstler verfolgen. Leider macht sich in den Zeitungsmittheilungen dieser Art nur allzu oft Unfähigkeit und Anmaßung breit; in den Mantel der Publicistik gehüllt, taucht die Dame „Kritik“ nicht selten ihre Feder in das Gift persönlicher Gehässigkeit oder würdigt sich zur feilen Dienerin bezahlter Reklame herab.

Es wird schwerlich einen Künstler von Bedeutung geben, welchem trübe Erfahrungen dieser Art gänzlich erspart geblieben wären, und selbst der herrliche Karl Maria von Weber, der Begründer und Schöpfer unserer deutschnationalen Oper, dessen reizvolle Melodien in den prunkenden Musiksälen der Königspaläste so gut erklingen wie in der Tagelöhnerhütte des einsamsten Gebirgsdorfes, mußte es sich gefallen lassen, von übelwollenden Recensenten mit dem Geifer der Geringschätzung bespritzt zu werden, oder – was noch verletzender war – mit der Miene hochnäsiger Gönnerschaft ertheilte Rathschläge für sein künftiges Wirken zu vernehmen.

Als Weber im Jahre 1816 die Leitung der deutschen Oper in Dresden übernahm, stand er unter den Komponisten seiner Zeit bereits auf einer hohen Stufe des Ruhmes, was aber einen Theil der Kritik nicht hinderte, über seine Werke absprechend zu urtheilen. Weber war schon damals sehr reizbar und fühlte sich durch die erbärmlichsten Bemerkungen jedes Winkelblättchens oft tief verletzt; bei den mit vornehmer Ueberlegenheit vorgebrachten kritischen Ergüssen größerer Zeitungen aber konnte er in höchsten Zorn gerathen, anstatt sie im Gefühle seines Werthes mit Verachtung zu strafen.

Zu den litterarischen Kläffern, welche die Bedeutung des Komponisten bei jeder Gelegenheit herabzusetzen sich bemühten, gehörte auch ein Recensent der „Leipziger Zeitung“ Namens Müller, ein Mann, der umfassende musikalische Kenntnisse befaß und eine höchst gewandte, aber scharf gespitzte Feder führte. Seine Urtheile galten bei Künstlern und Kunstkennern für maßgebend und waren bei dem Einflusse, welchen die „Leipziger Zeitung“ in den kunstliebenden Kreisen besaß, sehr gefürchtet. Um so bitterer empfand Weber die Gegnerschaft dieses Kritikers, der seine Opfer nicht selten ganz ungerechterweise mit der ätzenden Lauge einer beißenden Satire überschüttete.

Für den gekränkten Meister gab es kein Mittel, seinem Quälgeiste beizukommen; die Unbestechlichkeit des letzteren war bekannt und um ihn um mildere Beurtheilung seines Schaffens und Strebens zu bitten, besaß der Komponist viel zu viel Mannesstolz. Ein Wagniß aber wäre es gewesen, seinem Gegner in der Presse entgegentreten zu wollen; auf diesem Felde war Müller dem Schöpfer des „Freischütz“ entschieden überlegen und die rücksichtslose Art, mit welcher der Kritiker seine Widersacher zerpflückte, verhalf ihm regelmäßig zum Sieg.

Da verfiel Weber auf einen seltsamen Einfall, drastisch und eigenartig, aber erfolgreich. Während eines Aufenthaltes in Oberbayern ließ er an alle größeren deutschen Zeitungen die Mittheilung gelangen, er sei gestorben, und zwar habe ihn der Tod rasch und ungeahnt ereilt. Die beigefügten Notizen über die näheren Umstände seines Hinscheidens ließen einen Zweifel an der Wahrheit desselben nicht aufkommen und alle Blätter verbanden mit der Todesnachricht eingehende Berichte über die großen Verdienste, welche sich der Verstorbene um die musikalische Kunst erworben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_723.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)