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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

einbürgern können. Wird der von der Abschußstelle aus zu lenkende Torpedo ein besseres Schicksal haben, den Edison im Verein mit Sims erfunden hat? Darüber fehlt es an zuverlässigen Nachrichten. Bisher sind solche lenkbare Torpedos nur in England zur Einführung gelangt.

Edison hat sich auch mit dem größten Problem der Jetztzeit, der unmittelbaren Erzeugung der Elektricität aus der Verbrennungswärme der Kohle, eingehend beschäftigt. Er trat vor einigen Jahren mit einem Ofen auf, welcher dieses Problem allerdings zum Theil löst; jedoch fehlt noch viel daran, daß der Apparat ökonomisch arbeitet und damit gewerblich verwerthbar wird. Seitdem ruht die Sache anscheinend ganz. Vielleicht nimmt Edison sie, nachdem der Phonograph zustande gekommen ist, wieder auf und liefert etwas Brauchbares. Er ist noch jung und bereitet uns sicherlich noch manche Ueberraschungen, falls ihn das angestrengte Arbeiten nicht vorzeitig aufreibt.

Thomas Alwa Edison wurde 1847 im Staate Ohio geboren und erhielt von seiner Mutter nur den nothdürftigsten Unterricht. Frühzeitig mußte er sich seinen Lebensunterhalt selbst erwerben. Seine riesige Arbeitskraft und erstaunliche Bedürfnißlosigkeit sind eine Errungenschaft dieser harten Lebenstage. Er trat als Zeitungsjunge bei einer Eisenbahn seiner engeren Heimath ein und gründete, erst zwölf Jahre alt, eine Zeitung, den „Grand Trunk Herald“, die er mit solchen Nachrichten füllte, welche die Reisenden der Bahn interessiren konnten. Die Zeitung druckte er selbst in einem Winkel des Packwagens mit einer alten Presse und alten Schriften, die er billig gekauft hatte. Nebenbei studierte er in dem Winkel eifrig Chemie und Physik. Als er aber beim Experimentieren einmal den Wagen in Brand gesteckt hatte, wurde er entlassen. Edison trat alsdann als Telegraphist bei dem Telegraphenamt in Port-Huron ein, vervollständigte dort seine Kenntnisse und konnte endlich 1868 in Boston die erste elektrische Werkstätte eröffnen. Nachdem er sodann in den Dienst der „Western Union Telegraph Company“ getreten war, errichtete er in Newark eine Telegraphenbauanstalt, die sich besonders mit dem Bau von Börsentelegraphen befaßte.

Bald hatte er es hier so weit gebracht, daß er seine Stellung aufgeben und das berühmter gewordene Laboratorium in Menlopark eröffnen konnte, von welchem seine epochemachenden Erfindungen ausgegangen sind. Kürzlich hat er jedoch diesen Wohnsitz verlassen und in Orange eine umfangreiche Fabrik errichtet, wo er sich angeblich vor allem der Herstellung von Phonographen widmen will. G. van Muyden.



Unter dem Glockenstuhl.

Novelle von Gerhard Walter.
(Fortsetzung.)


Am andern Tage saß ich, Gertruds harrend, auf moosbewachsenem Stein, unter den im Winde rauschenden dunklen Tannen. Eilige Wolken zogen, vom Winde getrieben, oben am Himmel hin, dem mißfarbigen, trüben; hier, wo ich auf sie wartete, war’s sicher und still. Das alte Heidengrab mußte uns Schutz geben. Wie’s finster unter den finsteren, starren Stämmen und Kronen sich rundete! Ich trat vor an den Waldrand und blickte den aufgeweichten Landweg hinab, der mit spärlichen jungen Obstbäumen bepflanzt war. Hoch schlug mein Herz auf: da kam sie her, windumweht, hochgeschürzt; jetzt war sie nah; ich sah, wie ihre Wangen glühten, wie die klaren, blitzenden Mädchenaugen spähend das Dunkel unter den Tannen zu durchdringen suchten; nun war sie selbst in ihrem Schatten vor dem Blick der Welt verborgen. Da trat ich vor.

„Konrad, da bin ich!“ rief sie und flog in meine Arme. Zum erstenmal waren wir allein, ganz allein, sicher, ungestört; sie als Braut an meinem Herzen; sie zwanzig, ich sechsundzwanzig Jahre alt; hier war die Welt; das Draußen gehörte zunächst nicht mehr dazu.

Sie saß neben mir auf dem Stein. Ihr blondes Haupt lehnte an meiner Schulter. Sie erzählte mir von zu Hause. Sie war eines Gymnasiallehrers Tochter, die älteste von sechsen, und die Sorge war oft der neunte Gast am Tisch daheim gewesen, und war’s wohl noch, und würde es wohl noch lange sein.

„Darf ich’s ihnen denn nicht schreiben?“ bat sie mit reizendem Aufblick.

„Laß es!“ bat ich, „wir wollen auch etwas für uns haben. Und zu Weihnachten mache ich meinen ‚Doktor‘, und im Frühherbst mein Examen – dann komme ich stolz und frei und werbe um Deines Vaters älteste Tochter! Es sieht besser aus. Und wenn ich erst hier fort bin – ich wäre sonst länger geblieben! – und sehe, wie ich uns das Nest baue, dann wird Frau Hedwig wohl auch nichts mehr dagegen haben, daß eine junge Braut ihre Kinder lehrt.“

„Ich thu’, was Du willst!“ sagte sie.

So saßen wir und bauten an unserm Nest – allerdings nur in Gedanken! Und wir wollten beide nicht viel vom Leben, nur uns selbst, eines das andere, und dazu ein bescheidenes Dach über uns, einerlei wo. Gelbpolirte Tannenmöbel fanden wir beide viel schöner in Farbe und wenigstens ebenso schön in der Maserung als Mahagoni, und wenn ich mit sechshundert Thalern nach dem Probejahr an einer Schule angestellt werden könnte und die Miethe durch Privatstunden dazu verdiente, was konnte uns dann fehlen?

Es waren unpraktische, aber köstliche Luftschlösser, die wir uns miteinander erbauten. Was wußten wir vom Leben und seiner harten Nothwendigkeit!

Und unser Geheimniß wahrten wir. Die Tannen waren stumm und die Steine verriethen nichts; und unsere Blicke hielten wir in Zucht, und wenn ich unterm Tisch meinen Fuß auf ihren setzte, dann lachte Gertrud so harmlos fröhlich, als wäre gar nichts geschehen – und es hieß doch: „Ich habe dich so rasend lieb!“

Das war unser Brautstand.

Und so ward es Frühling. Mit Macht zog er plötzlich ins Land, daß der Landmann bedenklich ob der warmen Sonne im April die Stirn in Falten legte. Aber die Lerchen waren glückselig darob in ihrer blauen Höhe, und wie der Mai noch nicht über die Schwelle getreten war, da sang schon die Nachtigall mit süßem Schall.

Aus den Tannen waren wir geflohen. Mit Mühe nur hatte ich eines Tages Gertrud hinter dem jungen Anwuchs eilig geborgen vor dem Jäger, der durchs Holz streifte und sich zum Glück durch lautes, vergnügtes Pfeifen verrieth. Ich stöberte anscheinend eifrig hinter und zwischen den Steinen umher.

„Was suchen Sie denn da, Herr Doktor?“ fragte er herantretend.

„Na, Sie wissen ja, immer nach Rhus toxicodendron!“ log ich frech.

„Ach, lassen Sie das doch laufen!“ sagte er breit und behaglich und setzte sich zu meinem Entsetzen auf den Stein, um seine Pfeife zu stopfen, und blieb da eine gute Viertelstunde hocken, um eine seiner Räubergeschichten zu erzählen.

„Wie spät ist’s denn?“ fragte er endlich. Ich gab drei viertel Stunden zu. Da sprang er auf und ging. Von Stund an mieden wir das Grab des Heidenhelden und trafen uns unterm Glockenstuhl auf dem kleinen Hügelkirchhof. Da meinten wir, sicher zu sein, denn von da konnten wir das umliegende Land beobachten.

Eng an einander geschmiegt, saßen wir da im jungen Frühlingslicht auf einem der Balken; über uns hing ernsthaft die große Glocke und um uns blühte und leuchtete und duftete es. – Solchen Frühling erlebt man nur einmal. Und auch dieser sollte verblühen, und der Sturm sollte die welken Blüthen zerstreuen und übers Feld jagen. Wir sahen keine Wolken am Himmel. Aber tief unterm Horizont ballten sie sich zusammen.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_734.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)