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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

ohne daß ich’s wollte und wußte, ein einst gehörtes, lang schon in meinem Herzen verschollenes Dichterwort:

„Und so segne dich Gott, ob du mein vergißt;
Doch viel tausend Mal mehr, so du treu mir bist!“

„Ich Dein vergessen?“ fragte sie, und rein und stolz hob sie den Blick. Dann ging sie. Kein Jammern und Klagen; sie machte mich stark und freudig mitten im brennenden Leid. Ich sah ihr nach, als sie durchs gelb wogende Korn dahinschritt, bis sie am Waldsaum noch einmal sich wandte und mit ihrem Tuch mir winkte.

Als ich am nächsten Morgen in der Frühe von Mittelstein wegfuhr, gar herzlich verabschiedet, daß mir das Herz groß ward, da erklang, als ich kaum auf der Landstraße war, mit weichem hallenden Klang die Frühglocke! Und ich faltete die Hände, für sie – für mich!


Ich bestand ein ausgezeichnetes Examen, das beste, das seit Jahren gemacht worden war. Jubelnd schrieb ich an Gertrud; jauchzend tauchte ich wieder die Feder ein, um an ihren Vater zu schreiben, er solle mir seine holde Blume zu eigen geben, daß ich sie in meinen Garten pflanze, sie hege und pflege wie ein guter Gärtner, damit sie im Frühlingslicht bei mir Wurzel schlage.

Da klopfte es an meine Thür. In großer Aufregung trat der Geheimrath bei mir ein, der berühmte Direktor des botanischen Gartens. Ohne alle Einleitung rief er:

„Liebster Doktor, machen Sie sich reisefertig, Sie müssen heute über fünf Tage in Plymouth sein!“

Ich starrte ihn begriffs- und fassungslos an.

„Die Sache ist die,“ sprudelte er hervor, nach seiner Gewohnheit eilig im Zimmer auf- und abpendelnd und bei jeder Wendung mit der Hand durch das krause weiße Haar fahrend – ich sehe das ja alles noch so deutlich vor mir, als wäre es gestern geschehen – „die Sache ist die: Sie wissen, daß Doktor Sartori die Expedition des ‚Loki‘ als Botaniker begleiten sollte. Eben bekomme ich ein Telegramm von ihm, daß er seit gestern schwerkrank im Hospital zu Bremen am Typhus liegt und daß der ‚Loki‘ ohne ihn hinausgegangen ist. Ersatz für ihn hat über Calais-Dover sofort nachzureisen und sich am fünfundzwanzigsten in Plymouth an Bord zu melden. Sie müssen hinaus, Doktor, hören Sie? Ich bitte und beschwöre Sie! Sie leisten unschätzbare Dienste; Sie bereichern Ihre eigene Gelehrsamkeit in nie wieder möglicher Weise und sichern Ihre ganze Zukunft; ich verbürge mich persönlich dafür, daß Ihnen nach Verlauf der zwei Jahre eine besoldete außerordentliche Professur eröffnet wird!“

Ich hatte das Gesicht in die Hände gelegt. Da hatte ich eine Art von Traumbild oder Wahnvorstellung: ein lichtdurchstrahltes Gemach, viele Menschen; die Thür ging auf und es traten noch zwei ein: eine wunderschöne blonde Frau, die Gertruds Züge trug, an meinem Arme, demüthig stolz um sich schauend, und ich hörte ein Zischeln und Flüstern: „Sehen Sie, das ist also die jüngste Frau Professorin – ein entzückendes Weib; für die lohnt es sich schon, eine Fahrt um die Welt zu machen –“

Ich sprang auf und streckte dem greisen Freunde beide Hände hin. „Hier, Herr Geheimrath, nehmen Sie mich mit Haut und Haaren; ich reise!“

Er wäre mir beinahe um den Hals gefallen.

Und nun schrieb ich mit fliegender Hand eine Nachschrift hinter den Brief an Gertrud, und dann den an ihren Vater, siegesgewiß, des Gelingens sicher. Zwei Tage nachher, kurz ehe ich nach dem Bahnhof fuhr, bekam ich des Vaters Antwort: er fühle sich sehr geehrt, indessen kenne er mich nicht genügend, um die Zukunft seines Kindes schon jetzt in meine Hände zu legen und Gertruds Geschick an das eines noch nicht seßhaften Mannes unwiderruflich zu binden. Wenn meine Hoffnungen, die ich an die Reise knüpfte, in Erfüllung gingen, alsdann würde er seine Einwilligung nicht zurückhalten etc. „Mit großer Hochachtung Dr. Zorn.“

Ich warf den Brief in den Ofen und zündete das Papier an. – Das war anders, als ich’s mir gedacht hatte. Zerknirscht meldete ich in ein paar fliegenden Zeilen den Bescheid des Vaters an Gertrud; in Plymouth fand ich Antwort von ihr.

„Konrad, das ist ja ganz gleich, was in meines Vaters Brief gestanden hat. Deine Frau konnte ich doch noch nicht werden und Deine Braut bleibe ich mit ihm und ohne ihn. Dies Hochhinauswollen in allen Dingen ist meines armen, krankhaft reizbaren Vaters traurige Erdenmitgift von je gewesen und hat uns viel, viel Kummer gemacht im Leben und ist an manchem Unglück schuld. Wenn wir alle Grafen heiratheten, würde er es schwer empfinden, daß sich kein Fürst gemeldet habe.“

Und was sie sonst noch schrieb – ja – ich hatte den Brief auf meinem klopfenden Herzen und ging hinunter in die Offiziersmesse und lud mir den Stabsarzt zu einer Flasche Sekt ein.

„Donnerwetter, Ihnen scheint’s ja merkwürdig gut zu gehen!“ lachte er; „lassen Sie ’mal Ihren Puls fühlen; Ihre Augen leuchten ja ganz verdächtig! Na, prosit! Ich denke mir, es gilt dem bildsauberen klassischen Profil, das man in Ihrer Kammer beobachten kann.“ –

Der „Eddystone“ hatte uns Europens letzten Lichtgruß durch die sinkende Nacht zugeleuchtet; über uns Sternenglanz, um uns der Ocean. Ich lehnte über das Geländer des Hinterdecks; rauschende, spülende, überkämmende Seen rollten unter mir weg und im Heimweh zogen meine Gedanken hinüber nach Deutschland in jenes stille Haus im stillen Lande. – –

Und die Zeit ging dahin. In der Heimath waren Stadt und Dorf und Feld und Friedhof und Glockenstuhl weiß eingeschneit gewesen; und der Schnee war geschmolzen, und die ersten Frühlingsblumen waren zum Leben erwacht; aber meine Blume daheim stand in Leid und Trauer und schaute aus nach Sonnenschein. Immer trüber lauteten ihre Briefe; bei ihr zu Hause stand es schlimmer von Woche zu Woche – „Du weißt ja, Konrad, ich bin kein weinerliches Geschöpf; aber ich habe doch manche bittere Thräne in einsamer Stunde vergossen ob all dem Jammer – – ach, wärest Du hier!“

Es klang wie ein zurückgedrängter Aufschrei eines gequälten Herzens. Ich trank keinen Sekt mehr!

Wir lagen vor der westindischen Insel Dominika. Vor dem Fenster meiner Kammer zog sich in langem, schöngeschwungenem Bogen ein prachtvoller Palmenstrand hin, von weißer Brandung in gleichmäßigem Rauschen bespült, drüber erhoben sich tiefeingeklüftete, hohe, mit dunklem Wald bestandene Berge; wenn ich gerade hinausschaute, fiel mein Blick zwischen den Palmen auf ein malerisches, unter tropischem Grün fast verborgenes Negerdorf, über dem ein Kirchthurm hoch aufragte. Drüben setzte unser Kutter vom Land ab; er mußte uns die Post bringen. Mein Herz klopfte. Ich gab mir Mühe, ruhig zu sein. Ich präparirte gerade ein Exemplar des wunderlichen Bryophyllum Calycinum[WS 1], das aus jedem in der Luft aufgehängten Blatt eine ganze Anzahl neuer Pflänzchen treibt, für mein Herbarium. Nun klopfte es an und die Ordonnanz trat ein und legte meine Postsachen auf den Tisch. Eilig suchte meine Hand nach einem Brief von Gertrud – es überlief mich: keiner da! Aber ein offener Brief von unbekannter Hand adressirt war dabei und ein Brief aus Wulfshagen von Frau Hedwigs Hand. Das offene, zusammengefaltete Blatt zog mich an; das sah ja beinahe wie eine Todesanzeige aus; meine Hand griff danach, mir war’s, als ob meine Haare sich ein wenig sträubten – – nein, eine Todesanzeige war’s nicht, sondern eine Verlobungsanzeige; aber was war das für ein wunderliches Ding – was stand da? – Unsinn – sie ist ja mit mir verlobt – das ist ihre Schwester – aber heißt die denn auch „Gertrud“ –? Ich hielt das Blatt dicht ans offene Fenster und las und las – ja, da stand: „Die Verlobung unserer ältesten“ – also ausdrücklich ältesten! – „Tochter Gertrud mit dem Herrn Rittergutsbesitzer Sternhagen auf Finkenfelde und Kleinwulkow beehren sich ergebenst anzuzeigen Gymnasiallehrer Dr. Zorn und Frau.“

Sonderbar! – Und da, auf der andern Seite, stand:

Gertrud Zorn,
Oskar Sternhagen,
 Verlobte.

Ich legte das Blatt auf den Tisch und sah es in einem fort an. Allmählich bekamen die Buchstaben Leben und fingen an sich zu bewegen, zu tanzen; der Tisch auch, schließlich die ganze Kammer; sie feierten alle Verlobung, nun drehte ich mich auch mit, ich fing an zu taumeln; ich hatte zu viel Sekt auf das Wohl der schönen Braut getrunken – ich war gänzlich betrunken, mein Kopf brannte und es donnerte mir wie brausende Brandung vor den Ohren – ich griff mit den Händen um mich und schlug zu Boden, ohne Bewußtsein. –

(Fortsetzung folgt.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Calyunum
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_738.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)