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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Blätter und Blüthen.

Karl I. von England im Atelier van Dycks. (Zu dem Bilde S. 728 und 729.) Betrachtend sitzt der König im Armstuhle, den feingeschnittenen Kopf nach der Staffelei gewendet, nach der Leinwand, auf welche des niederländischen Meisters Hand die drei kleinen königlichen Kinder hingezaubert hat. Schier weiblich zart muthet das Antlitz dieses Regenten uns an, und ebenso – wie eine Lady – hält er mit der vornehm geformten Linken den Spazierstock. Wie beredt ist diese Linke, die nur für einen Damenhandschuh gemacht zu sein scheint! Der König hält sie hin, und wir lesen in ihren Umrissen die Geschichte eines Geistes, der zu schwach war, um edel zu sein, die Geschichte eines in den brausenden Ocean geworfenen Schiffleins, das im besten Falle nur die Kraft hatte, auf spiegelglatter See dahinzugleiten. Auf elegante Verkörperung des Königthums ist dieses Mannes Sinn gerichtet, auf eine Pracht, welche den Stempel der Vornehmheit trägt – und zwischen seiner Eignung und seiner Bestimmung lag eine so tiefe Kluft! Diese schmale Hand mit den aristokratischen, langgezogenen Fingern mochte liebenswürdig ritterlich zu winken wissen, und sie sollte ein Steuerruder lenken inmitten eines Sturmes, der mit übermächtiger Gewalt dahinfuhr!

Nichts an diesem Gentleman verräth, daß er sich auf einem Vulkan weiß, daß er bange der nächsten Zukunft entgegenlebt. Das Verhängniß hat deine Stirn geküßt, schon damals, als es dich in die Wiege eines Königs legte. Du hättest ein großer englischer Magnat werden sollen; die Krone ist deinem Haupte zu schwer . . . die meisten, die mit dir zu Rathe gesessen, sind dem Untergänge geweiht: Laud, Hamilton, Strafford . . . alle mit dir selbst . . . Und wie wir dich hier behaglich in des Meisters Werkstatt sitzen sehen, ist es uns, als tauchte hinter dir der Schatten Oliver Cromwells, als strebte das Blutgerüste empor, das deinen letzten Athemzug empfangen soll.

Hier aber, im Atelier des großen Malers, ist Karl I. an seinem richtigen Platze. Dem Künstler, der, die Werkzeuge seiner Kunst in den Händen, an des Königs Seite steht, soll dieser ein Urtheil sagen. Und der König versteht sich auf die Kunst; er schwärmt für ihre Hervorbringungen. Zur Zeit, da man ihm vorzuwerfen beginnt, er neige nach Rom hin, führt man als Beweis für diese Anklage an, der päpstliche Hof erweise ihm Aufmerksamkeit, Kardinal Barberino habe ihn bei seiner schwächsten Seite gefaßt: ihm Gemälde geschenkt, und damit sei der König gewonnen. Als ein Mäcen erweist er sich dem Maler gegenüber, der in England eine zweite Heimath gefunden hat. Wie glänzend hat er ihn einquartiert! Dieser säulengeschmückte Raum, prunkvoll ausgestattet, ist dem Meister von dem Könige eingeräumt worden. Da mag Anton van Dyck nun schalten und walten, da mag er sich wohl fühlen, da mag er seine innerste Verwandtschaft erkennen mit der Umgebung, in welche ihn das Schicksal versetzt hat. Er ist fast gleichalterig mit dem Könige. Von 1599 bis 1641 währte des Künstlers Leben, von 1600 bis 1649 jenes des Königs. Aber nicht nur die Jahre haben sie gemeinsam, auch die Neigungen. Van Dycks Eigenart ist eine aristokratische, und besonders in seiner englischen Periode, nachdem er erst unter dem Einfluß von Rubens gestanden und dann die Venetianer hatte auf sich wirken lassen, schlägt er einen salonfähigen, den Athem der erlesensten Gesellschaft verrathenden Ton an, er malt nicht nur an einem Hofe, sondern auch für einen Hof. Was elegant ist, was zu den obersten Zehntausend gehört in England, will von ihm gemalt sein. Diesmal sind es wie gesagt die drei ältesten Kinder des Königs, „die letzten Stuart“, die er festgehalten hat, links Karl, der spätere Karl II., in der Mitte Maria, nachher Gemahlin Wilhelms II. von Nassau-Oranien, Statthalters der Niederlande, rechts der spätere Jakob II., im langen Kinderkleid; das Bild ist heute eine Zierde der Turiner Gemäldesammlung.

Im Jahre 1621 hielt van Dyck sich zum erstenmal in England auf. In den Registern des englischen Finanzministeriums vom genannten Jahre steht wohl verzeichnet: „Dem Anthony van Dicke die Summe von 100 Pfd. Sterl. zur Entschädigung für Specialdienst, Sr. Majestät (Jakob I.) geleistet“, aber man weiß weder worin dieser „Specialdienst“ bestand, noch sonst Genaues über diese Episode. Im Frühling 1632 ging er zum zweiten Male nach England. Der neue König Karl I. setzte ihm ein Jahresgehalt von 200 Pfd. Sterl. aus, und um ihm einen höheren Rang zu geben als dem Hofmaler Cornelius Janssen und dem Hofzeichner Daniel Martensz Mytens, wurde er zum „Principal paintre ordinaire de Leurs Majestés à St. James“ ernannt. Dann erfolgte die Ernennung zum Ritter, die Verleihung einer goldenen Kette mit des Königs diamantenbesetztem Medaillonbilde (van Dyck trägt sie auf unserem Bilde), Gunst um Gunst wurde auf den Künstler gehäuft, aber die Verwicklung der englischen Verhältnisse trieb ihn fort – er that, was König Karl vielleicht am liebsten auch gethan hätte: er versuchte außerhalb Englands sein Glück. Indessen litt es ihn nicht in dem mit keinem Hofleben ausgestatteten Antwerpen. In Paris bewirbt er sich vergebens darum, daß die Ausschmückung der großen Louvregalerie ihm übertragen werde. So kehrt er im Januar 1641, kurz vor seinem Tode, nach England zurück.

Karl I. überlebt ihn. Es ist ein trauriges Ueberleben . . . Längst schläft der Meister in der St. Paulskirche, da irrt sein König wie ein gehetztes Wild umher, indessen ein Bürgerkrieg, der zugleich ein Religionskrieg ist, England durchtobt. Ein Diener, der den Unglücklichen vier Jahre lang auf diesen Irrfahrten begleitet hat, schrieb in sein Tagebuch: „Bald schliefen wir in dem Palast eines Bischofes, bald in der Hütte eines Dorfbewohners . . . Heute kein Mittagessen gehabt . . . Sonntag kein Mittagessen. Abends in Worcester. Ein gräßlicher Tag . . . Wir marschirten, ohne etwas zu genießen, von sechs Uhr morgens bis Mitternacht . . . Wir marschirten lange in den Bergen, der König aß zwei Aepfel . . . Es war uns unmöglich, vor morgens vier Uhr etwas an Lebensmitteln aufzutreiben, und wir nächteten im Freien vor dem Schlosse Donnington . . . Der König schlief in seinem Wagen auf der Heide von Bockonnock und hatte nichts zu essen. Den anderen Morgen frühstückte der König bei einer armen Witwe mitten im Walde . . .“ All das klingt uns doppelt befremdlich, wenn wir unser Bild nun wieder überblicken – den König mit Gefolgschaft und den Meister, der ihn mit dem Blicke zu fragen scheint: „Hab’ ich es Euch recht gemacht?“ F. G.

Das Recht des Stärkeren. (Zu dem Bilde S. 737.) Im hohen Riedgras einer einsamen herbstlichen Au, am Rande eines Gehölzes, von dessen Bäumen der Oktoberwind längst das Laub zu Boden gefegt hat, liegt ein stattlicher Rehbock verendet, den erst vor wenigen Minuten des Jägers Blei erreichte. Neben ihm stehen die Hunde; hier der kleine schwache, aber „schneidige“ Dachshund, dort der große starke und gelehrige Hühnerhund. Jener hat das Wild im Lager „hoch gemacht“ und laut auf der Fährte jagend seinem Herrn vors Rohr gebracht, diesen hat der Weidmann, von dessen Fuß er sich früher nicht entfernen durfte, erst nach dem Schuß dem flüchtigen „kranken“ Stück zur Verfolgung nachgeschickt. So finden sich beide beim Verendeten zusammen.

Welch ein Hochgenuß wäre es für den kurzläufigen kleinen Burschen, jetzt an seinem todten Opfer zu zerren, den warmen, aus der Schußwunde triefenden „Schweiß“ (Blut) zu lecken oder das Wildbret „anzuschneiden“, um so auf eigene Faust sich den Antheil an der Beute zu nehmen, die der im Hintergrunde auftauchende Jäger am Ende doch nur ihm zu verdanken hat! Und wie hübsch ließe sich das nun ausführen, wenn er allein wäre!

Aber leider hat sein Unstern eben den stärkeren Kameraden, den Hühnerhund, hergeführt, der gleichfalls auf den Bock Anspruch erhebt. Dieser steht nun, dem Dachshund die Zähne weisend, drohend hinter dem erlegten Wilde und läßt den kleinen lüsternen Gesellen keinen Schritt näher herankommen.

Armer Dächsel! Was bleibt dir unter solchen Umstanden übrig? – Nichts, als ärgerlich über die Vereitelung deiner schönsten Hoffnungen und Wünsche mit eingezogener „Ruthe“ davonzutrollen und knurrend das Recht des Stärkeren anzuerkennen. J. C. Maurer.




Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

J. M., Buchen. Nach unseren Erkundigungen sind Klima und Verdienstgelegenheit für deutsche Handwerker der von Ihnen bezeichneten Art auf der Insel Java nicht günstig.

F. in Magdeburg. Wenden Sie sich an den Verfasser selbst.

Friedrich in Berlin. Nicht verwendbar. Wir bitten um gefl. Angabe Ihrer Adresse behufs Rücksendung des Manuskriptes.

A. Str. in Shovel, Texas. Besten Dank für Ihre Anregung. Wir werden aus ihr Veranlassung nehmen, demnächst in einem weiteren Zusammenhange auf die fraglichen Wunderbäume zurückzukommen.


Inhalt: Sicilische Rache. Ein Kulturbild aus den vierziger Jahren von A. Schneegans (Schluß). S. 725. – Ein Armer bittet! Illustration. S. 725. – Die deutschen Meistersinger. Von Rudolf Rost. S. 730. – Edison und sein Phonograph. Von G. van Muyden. S. 732. Mit Abbildungen S. 733. – Unter dem Glockenstuhl. Novelle von Gerhard Walter (Fortsetzung). S. 734. – Das Deutsche Volkstheater in Wien. Von Ferdinand Groß. S. 739. – Blätter und Blüthen: Karl I. von England im Atelier van Dycks. S. 740. Mit Illustration S. 728 u. 729. – Das Recht des Stärkeren. Von J. C. Maurer. S. 740. Mit Illustration S. 737. – Kleiner Briefkasten. S. 740.


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Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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