Seite:Die Gartenlaube (1889) 748.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Bei Mageren fassen die Lungen dreimal mehr Luft und Blut als bei Fetten. Bei jeder starken Arbeit sollen die Lungen reichlich Luft und Blut bekommen. Wenn alle Organe von Fett umgeben sind und der Blutumlauf dadurch erschwert wird, so geht auch das Athmen schwer und überall entstehen Stauungen: Hämorrhoiden, Krampfadern an den Füßen etc.

Alle mechanischen Heilmittel streben nun fast nach den gleichen Zielen: Kräftigung des Herzmuskels, Bethätigung des Stoffumsatzes und Entfettung. Wer für ein Mittel recht eingenommen ist, sieht aber nur immer die Vortheile desselben, obwohl es wünschenswerth wäre, auch unter diesen mechanischen Heilmitteln recht genau zu unterscheiden, denn man kann sich denken, daß Mittel, welche so große Wirkungen haben, am unrechten Platze angewendet auch schaden können, und daß es ein großer Unterschied ist, ob ein Herzkranker langsam eine Anhöhe hinaufgeht, oder ob er turnt oder radfährt.

Wo die eigene Kraft zur Muskelbewegung nicht mehr ausreicht, ist die Massage aller Muskeln angezeigt.

Heute will ich mich nun ganz allein auf die Frage beschränken, ob das Radfahren gesund ist und was damit erreicht werden kann.

Obenan möchte ich die Behauptung aussprechen, daß das Radfahren ganz zweifellos ein ausgezeichnetes Heilmittel ist, auf ganz richtigen Grundsätzen beruht und daß es durch Bewegung des Körpers und Geistes zustande bringt, was keine andere Kur leistet.

Es ist eine ganz falsche Ansicht, wenn man glaubt, das Radfahren habe nur die Aufgabe, das Körpergewicht zu verringern. Diese Aufgabe hat es gar nicht.

Wir werden eine Summe von Heilwirkungen kennen lernen, welche das Radfahren sehr harmonisch verrichtet. Doch ist dasselbe unpassend für akute Kranke, für Schwerkranke, für solche, die an Klappenfehlern des Herzens leiden, und kann in diesen Fällen sogar recht schädlich wirken. Wer wirklich brustleidend ist, sehr leicht Hustenreiz bekommt, paßt nicht auf das Fahrrad. Es ist zwar möglich, daß er bei sehr langsamem und vorsichtig überwachtem Gebrauch sogar einen Gewinn davon hätte, aber wenn er mit seinen Altersgenossen Schritt halten will, so muß er nicht allein durch die Nase, sondern auch durch den Mund athmen, und das ist, wie ich noch erklären werde, von schlechtester Wirkung, weil er eine kalte und staubige Luft in die Lunge bekommt.

Das Radfahren hat seinen glänzendsten Wirkungskreis als Stärkungsmittel für Schwächlinge. Es paßt namentlich für Menschen, die gesund geboren sind, aber versäumt haben, ihren Körper auszubilden und zu kräftigen.

Für die kleine Mühe beim Radfahren wird oft Gesundheit und Kraft in ungeahntem Grade als Lohn geerntet.

Eine schwache Brust, ein träger Unterleib, schlechtes Athmen, Neigung zur Fettbildung und Blutarmuth, das sind die Krankheitszustände, welche ganz vortrefflich auf das Fahrrad passen. Gehirn, Brust- und Unterleibsorgane können beim Radfahren sehr viel gewinnen und die geistigen Kräfte bleiben auch nicht unbedacht. Einen großen Vorzug des Radfahrens vor andern mechanischen Heilmitteln erkenne ich darin, daß es nicht in engen Zimmern oder staubigen Turnsälen genossen wird, sondern draußen im Freien, auf luftigen Anhöhen, in balsamisch riechenden Wäldern unter Gottes herrlichem Firmament.

Der Radfahrer sitzt ruhig in gewohnter Körperstellung auf seinem stählernen Rosse, ist nicht vorgebeugt wie ein Läufer. Mit den Unterschenkeln, welche er wie die Triebstangen einer Lokomotive bewegt, arbeitet er am meisten. Allein die Ruhe seines übrigen Körpers ist nur eine scheinbare; kleine Bewegungen zu Steuerung sind unerläßlich und der Muskeln des Rumpfes bedarf er, um das Gleichgewicht zu halten, und wenn er auf unebenen Wegen fährt, ist der ganze Rumpf in Thätigkeit, selbst die Nackenmuskeln und der Kopf bleiben nicht frei von Mitarbeit.

Beim Zweiradfahrer, der die Hände an der Leitstange festhält, sind auch die Arme in fortwährender Thätigkeit. Dabei ist aber keine Einschränkung des Schultergürtels zu befürchten, wie dies beim Arbeiten an engen Schreibtischen vorkommt, denn die Hände sind zu weit von einander entfernt.

Die anstrengende Arbeit des Radfahrens erfordert tiefes Athmen, wodurch die Stauungsluft der Lungen entfernt und der Brustkorb energisch ausgeweitet wird, ohne an seiner Elasticität etwas zu verlieren, so daß der mit dem Centimetermaß meßbare Unterschied zwischen Ein- und Ausathmung von Monat zu Monat wächst. Leute, bei denen dieser Unterschied vor 6 Monaten kaum 2 bis 3 Centimeter betrug, zeigen jetzt 8 bis 9 Centimeter.

Es ist ein ganz guter Rath, wenn man sagt, kränkliche Stubensitzer und Comptoiristen sollen sich auf das Fahrrad setzen und gut athmen lernen.

Wie unendlich werthvoll eine solche Ausdehnung des Brustkorbes und der Lunge ist, lehrt die Erfahrung, daß sie der beste Schutz ist gegen die verderblichste Krankheit Europas, gegen Tuberkulose.

Ferner massirt der Radfahrer mit dem hohen Heben der Schenkel gleichsam seinen Unterleib, macht dadurch den Darm thätig, drängt das Zwerchfell nach oben und zwingt sich so zu tiefem Athmen.

Die Anstrengung bringt mit Ausnahme von ganz kurzen und langsamen Fahrten beinahe immer einigen Schweiß, wobei Stoffe ausgeschieden werden, deren Zurückbleiben im Blute den Körper schädigen würde.

In starken Schweiß kommt der Radfahrer sehr selten. Selbst bei anstrengenden langen Touren und beim Rennfahren, was vom ärztlichen Standpunkte aus nicht zu empfehlen ist, kommt keine starke Erhitzung vor, kein übermäßig strömender Schweiß, kein beschleunigter Puls. Nie findet man bei Radfahrern pulsirende Halsvenen, welche bei wenig anderen Körperanstrengungen fehlen.

Durch Haut und Lunge geben wir fortwährend Wärme ab. Ein gelinder Schweißausbruch bringt deshalb oft ein recht wohlthätiges Gefühl. Eine Ueberhitzung, wobei diese Wärmeabgabe von Haut und Lunge nicht mehr ausreicht und Hitzschlag eintritt, wird bei Radfahrern wohl nicht beobachtet.

Die Kräftigung aller Körpermuskeln, welche, wie wir jetzt wissen, der Hauptherd für den Stoffumsatz sind, und die zweckmäßige Ernährung des ganzen Körpers ist die erste Wirkung des Radfahrens.

Die gesteigerte Muskelthäthigkeit verbrennt das überschüssige Fett und der leichte Schweiß hilft mit.

Die Entfettung des Herzens und der großen Adern hat unberechenbaren Werth, denn der Umlauf des Blutes wird dadurch erleichtert.

Aber auch am ganzen übrigen Körper wird das Fett verbrannt und auch dort ist die Entfettung werthvoll, weil das Fett, wie wir bereits besprachen, den Weg für die Adern einengt und dadurch eine unregelmäßige Vertheilung des Bluts bewirkt; zwar in der Ruhe bemerkt man dies wenig, aber schon geringe Anstrengungen machen fetten Leuten ein rothes, Blutandrang verrathendes Gesicht. Schläfrigkeit, Kopfweh, selbst die Neigung zu Schlaganfällen, Hämorrhoiden sind an der Tagesordnung. Ob die Wegsamkeit der Blutbahnen des Kreislaufes namhaft beeinträchtigt ist, erkennen wir, wenn wir starke Bewegungen machen und dabei alsbald Erhitzung eintritt. Je schneller Pulsbeschleunigung kommt, je bälder die Bewegung wegen Uebermüdung und Erhitzung ausgesetzt werden muß, desto enger ist die Bahn für die Blutgefäße. Man kann diese aber durch Uebung erweitern und zuletzt normal machen, wozu das Radfahren recht passend ist.

Dasselbe ist allen anzurathen, welche nicht in ihrem Berufe schon genügende Bewegung haben.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht versäumen, meine Erfahrung hier niederzulegen, daß das Schulturnen, so werthvoll es auch ist, zum Ausgleich für die kopferwärmende Lebensweise unserer geplagten Schulkinder nicht genügt. Es fehlt dabei die frische Luft.

Das Kind sitzt in der Schule täglich bis 5 bis 6 Stunden, sitzt zu Hause bei den Hausaufgaben wieder ein paar Stunden. Das arme kleine Hirn wird beim Lernen mit 80 bis 90 Prozent mehr Blut überschwemmt als in der Ruhe, ferner ist zu Hause wie in der Schule die Luftschicht, welche den Kopf des Kindes umgiebt, viel wärmer als die Luft um die Füße herum.

Höchst segensreich würde daher ein kräftiges mechanisches Heilmittel wirken, welches Blut vom Gehirn auf die Glieder ableiten würde. Ein ungefährliches Dreirad wäre für die ganze Familie genügend.

Wie wir bereits zeigten, wird durch das Radfahren der ganze Organismus zur regeren Thätigkeit gebracht, weshalb man sich nicht wundern darf, wenn die Leistungsfähigkeit größer, Schlaf und Appetit ausgezeichnet werden. In der That sieht man, daß

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_748.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)