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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Ein Hasenfuß.
Nach einem Gemälde von H. Havenith.

Radfahrer Mahlzeiten einnehmen, welche kein Gesunder sonst vertragen würde.

Bei diesem Wechsel der Anregung, bei diesem Entlasten der inneren Organe und Belasten der Außenseite des Körpers kommt es auch zu Einwirkungen aus die Nerven, wie sie ein anderes Heilmittel selten zustande bringt.

Jene modernen Ueberreizungen, denen kein Stand und kein Alter jetzt entgeht, die Neurasthenie (Nervenschwäche) in allen ihren Formen vertragen sich nicht mit dem Radfahren. Schon nach wenigen Wochen verschwindet eine quälende Krankheitserscheinung nach der andern. Ich kenne Leute, welche in keine Gesellschaft, in der mehr als 10 Menschen beisammen waren mehr gehen konnten. Es befiel sie unerträglicher Schwindel. Andere brachte das grelle Licht eines Kronleuchters zum Weinen, wieder andere konnten nicht mehr Seiten eines Buches ohne Unterbrechung lesen. Ich kenne Maler, die keinen Pinsel mehr in die Hand nehmen konnten; Männer, welche beim Hören von Glockengeläut ganz traurig und still wurden. Diesen allen und vielen anderen war die Ueberreizung nicht allein höchst quälend, sondern oft hing für sie auch die Gefahr daran, das tägliche Brot zu verlieren. Heutzutage versinkt die Mittelmäßigkeit. Nur ausgezeichnete Leute erreichen das ersehnte Ziel und hierzu sind meist Anstrengungen nöthig, welche eine übergroße Anspannung der Nerven erheischen und dann nicht ohne schädliche Folgen bleiben, denn des Schöpfers Wille ist ein solch überreiztes Leben nicht, sonst hätte das Gehirn einen Bau, welcher solche Ueberreizung ohne Schaden ertrüge, gerade so gut wie der Schöpfer das Herz des Pferdes, welches offenbar von ihm selbst zu schnellem Lauf bestimmt ist, durch einen festen Faden vor dem Zerspringen geschützt hat. Die jetzige geistige Hetze wird weder vom Gehirn des Kindes noch von dem des Erwachsenen schadlos ertragen. Solchen Unglücklichen wird nun das Radfahren oft zum Erlöser von ihren Leiden, wenn sie nebenbei der Hetze Einhalt thun.

Das Freiwerden des schweren Kopfes, die Schwitzthätigkeit der Haut, das Strotzen der Muskeln von Blut, der gesteigerte Stoffumsatz, die bessere Blutmischung, die geregelte freiere Blutbewegung, der tiefe Athem mit der vermehrten Sauerstoffaufnahme, das Fortschaffen des hinderlichen überflüssigen Fettes und Wassers, die bessere Ernährung machen den Körper gesund und mit der Gesundheit des Körpers kommt auch die Gesundheit des Geistes. Die Thatkraft kehrt zurück, die Lust zum Leben, die Lust zur Arbeit, der Schaffensdrang und damit der frohe Sinn und die Zufriedenheit. In wenigen Wochen verschwinden die quälenden Reizerscheinungen des Nervensystems.

Wir sehen, das Radfahren ist ein ganz hervorragendes Heilmittel, wenn es sorgfältig und richtig benutzt wird.

Bei Fehlern an den Herzklappen oder wenn der Blutumlauf noch so behindert ist, daß schon bei geringen Anstrengungen der Kopf Blutandrang und Eingenommenheit zeigt, ist langsam und vorsichtig zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_749.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2019)