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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

still und einsam im Schnee liegt! Aber kommen Sie!“ – sie sprang auf – „ich bin so schrecklich durstig!“

Ich gab ihr den Arm. Wir mußten an der Gruppe neben der Thür vorbei, wo Gertrud angelehnt stand mit müdem Gesicht. Sie sah mich nicht an. Aber sie athmete heftig. Das sah ich.

Da gellte ein schriller Trompetenstoß durch den Keller: „Damenwahl!“ – Und plötzlich, wie ich an ihr vorbeiging, drehte die junge Frau sich um und wandte sich gegen mich.

„Herr Professor,“ sagte sie gepreßt, mit sichtlicher Anstrengung, „darf ich Sie bitten – –“ Ihr Auge blickte geisterhaft kalt, aber ihr Mund versuchte zu lächeln.

Und wenn neben mir der Blitz eingeschlagen hätte – es hätte mich nicht so erschüttert wie dies Wort, aber auch nicht so geblendet, und es hätte nicht so gezündet: aus der Asche mächtig lohend brannte die Flamme auf! Mein Arm lag um ihre Hüfte. Was sollte das? Was sollte das werden? Hin wirbelten wir wie einst, hinein in den drängenden Haufen. – „Frau Gertrud!“ sagte ich leise. Sie sah mit gebrochenem Blick zu mir auf – sie war noch blässer geworden. Droben schmetterte das Horn gräulich falsche Töne und die Violine weinte kreischend im rasenden Tempo – „Juch! – Juch!“ schallte es um uns, Stiefel trampelten, Schuhe scharrten – immer ging’s im tollen Wirbel rundum; – „lassen Sie mich, – ich kann nicht mehr!“ flüsterte sie – sie wankte; ich drängte hinaus aus der quirlenden Menge und zog sie nieder auf die Holzbank, dann ließ ich sie los. Sie sagte kein Wort und lehnte das schöne, bleiche Gesicht zurück, den Kopf an die Wand stützend. Sie holte schwer Athem. Ihre Hand lag auf der Bank; ich legte meine Hand auf die ihre; aber sie entzog sie mir langsam.

„Mein Mann wird Sie einladen,“ sagte sie leise und abgebrochen – „werden Sie kommen?“

„Laden auch Sie mich?“

„Ja – Sie sollten kommen!“

„Wußten Sie, daß ich hier war?“

Sie nickte. „Ich habe Sie mit den Mädchen reiten sehen, als wir ankamen. Wir wären auch ohne Einladung gekommen; ich!

„Gertrud!“ kam es flüsternd in wahnsinnigem Herzensjubel über meine Lippen. Um uns toste der Tanz, eine lebendige Mauer vor uns aufbauend in dem engen Raum.

Da hob sie das Haupt und sah mich an wie im zornigen Schmerz und schüttelte ernst den Kopf.

Dann kommen Sie nicht,“ sagte sie und stand auf. Ich stand neben ihr. Heiß ging mein Athem.

„Darf ich?“ fragte ich. Sie sah zu Boden.

„Ja! Sie sollen meine lieben, prächtigen beiden Kinder kennen lernen – und – ich – ich will, ich muß eine Stunde mit Ihnen sprechen!“ Aus großen tiefernsten Augen sah sie mich an. Da hatte ich mich wiedergefunden. Die Musik brach ab; ich reichte Gertrud den Arm, sie legte ihren hinein. So führte ich sie ihrem Manne zu.

„Kommen Sie!“ rief er, „wir wollen einen Schoppen zusammen trinken!“ Er faßte mich unter und zog mich den Gang entlang. Hinter uns her hörte ich ein leises, wie warnendes „Oskar!“

Ich stieß mit ihm an und sah ihm ins Gesicht. Er war nicht schöner geworden; sein Gesicht war etwas aufgedunsen und geröthet. „Er trinkt zuweilen etwas über den Durst!“ hatte Frau Hedwig gesagt. Aber wie ging es nur zu? Ich spürte nichts von Haß in mir; mein Herz schlug plötzlich ruhig, die wirren, stürmenden Gedanken meiner Seele hatten sich geglättet. Gertrud hatte mit zarter, fester Hand die alte, kaum vernarbte und jetzt frisch aufgebrochene Wunde verbunden. Ich fühlte etwas von stolzer Kraft in mir aufleben in dem Gedanken, daß sie sich selbst in meinen Schutz gestellt hatte. Ich wußte es, daß sie ferner wie ein heller Stern über meinem Leben stehen würde – aber: „die Sterne, die begehrt man nicht!“

Ich hob meinen Humpen. „Auf das Glück Ihres Hauses!“ rief ich Sternhagen zu und trank den Krug in tiefen Zügen leer; und es war ein ehrlicher Trunk; damals, vor Tisch.

Gertrud und Frau Hedwig kamen herein und setzten sich zu uns. Frau Erhard sah sehr vergnügt aus. „So, nun geben Sie uns auch ein Glas Bier!“ rief sie. Ich griff hinter mich nach den Gläsern.

„Darf ich das Amt der Schänkin einmal wieder übernehmen?“ fragte Gertrud, „ich habe es früher hier gethan an den Erntefesten. Bitte, Herr Professor, tauschen wir den Platz!“

Das Zimmer füllte sich mit jüngeren und älteren Herren und Damen aus der Nachbarschaft; das Gespräch wurde immer lauter und belebter, und Gertrud, deren Wangen jetzt glühten, hatte genug zu thun. Sie wies lachend alle Hilfe ab. „Ich will’s aber!“ sagte sie – „oder schmeckt’s Ihnen nicht, wenn ich Ihnen den Krug fülle? Wenn Sie mich durchaus belohnen wollen, Herr Inspektor, dann ersetzen Sie mir die Rose, die ich im Wagen verloren habe auf Ihren schlechten Wegen; blüht Ihr dunkelrother Hochstamm noch immer so schön, der hier früher neben der Veranda stand?“

Statt aller Antwort stürzte der junge Mann fort, das Verlangen der schönen Frau eiligst zu erfüllen. Tiefe ahnungsvolle Freude durchzitterte mein Herz. Gertrud nahm die Rose mit flüchtigem Dank in Empfang und steckte sie lose an die Brust.

„Herr Professor, ist das Ihr Krug?“ Ich reichte ihn ihr und wagte nicht, ihr in die Augen zu sehen.

Es lag ein gedämpfter Strahl des alten süßen Lichtes in ihren Augen, als sie mir den Krug reichte. Wir hatten beide nicht vergessen! –

Frau Hedwig saß bei aller Heiterkeit still beobachtend da. Als mein Blick dem ihren begegnete, hob sie scherzend ihr Glas. „Wie hieß doch damals Ihre Giftpflanze? Ob sie wohl ganz ausgerottet ist? Ich hoffe es; man muß nichts Ungesundes im Leben dulden!“ Sie nickte mir über den Rand des Glases mit den Augen zu.

„Aber nun tanzen die Herrschaften gefälligst!“ rief sie schnell aufstehend.

Ich bot Gertrud den Arm. Sie schüttelte mit sanftem Blick den Kopf. „Ich tanze heut’ nicht mehr; es bekommt mir nicht; ich muß mich frisch halten für übermorgen; dann wieder, wenn Sie wollen.“

Köstliche Verheißung! –

Wir gingen zum Abendessen. Ich mußte Gertrud führen. Frau Hedwig war ein kühner und energischer Arzt. „Führen Sie nur Ihren alten Schatz!“ lachte sie, als ich ihr kurz vorher auf dem Gang begegnete, „es geht ja ganz gut mit Ihnen beiden; ich nehme Ihren dicken Feind, meinen Liebling. Nicht wahr, ich habe recht,“ fügte sie, sich nochmals zu mir wendend, hinzu; „dem Feind und dem Geschick die Zähne weisen ist besser, als sich hinter Büchergestellen und Pflanzensammlungen vor ihm verschanzen und mit ihm Versteck spielen im Dunkeln?“

Aber wie ich dann am Tisch neben ihr saß, da kam mir das Wagestück doch mit einem Male furchtbar gefährlich vor. In vornehmer, liebenswürdiger Ruhe fand sich Gertrud in ihre Rolle, mir aber fuhr der Gedanke durchs Herz: „Was wird nachher aus dir, wenn du wieder von ihr ziehst?“

Sternhagen hob sein Glas mit blitzendem, goldigem Wein gegen mich. „Sie machen uns die Freude, unser Gast zu sein übermorgen; und dann bleiben Sie ein paar Tage bei uns, nicht wahr? Frau Erhard erlaubt es!“

Es ging nicht – es ging nicht! Es war Wahnsinn und Frevel. Besser heute scheiden, als alles aufs Spiel setzen. All’ die gräßlichen Entweder und Oder; das sündige Locken meines Herzens; das Blut, das brausend hinter der Schleuse des Willens tobte; das Gewissen, das mahnend warnte mit leiser Stimme – das alles drängte sich zusammen in diesen einen Augenblick, in dem ich mein Glas faßte.

„Ich kann wirklich nicht!“ wollte ich antworten; da fiel mein Blick auf Gertrud, die scheinbar theilnahmlos dabei saß. Sie hielt ihr Messer wie im unbeabsichtigten Spiel aufrecht – „Ich komme!“ rief ich, und mein Glas flog gegen seines, daß es in seiner Hand zersplitterte und der goldige Wein auf den Tisch floß.

„Gut gemeint!“ rief er; „Frau, stoß mit an für mich!“

Leise klirrten die grünen Kelche zusammen. „Sie sind uns herzlich willkommen!“ sagte sie freundlich.

Frau Hedwig, Frau Hedwig, heißt das löschen, wenn man Hobelspäne ins Feuer wirft? Ich fühlte es, es war doch nur eine falsche Ruhe, die über mich gekommen war. Ja, wäre ich vor einer Stunde in die Nacht hinausgegangen – ja, wer weiß! Aber mit jedem Tropfen Wein, den ich trank, goß ich mir neues Feuer ins Blut, wurde mein Auge geschärft für Gertruds berückenden Liebreiz, tauchte neues und immer begehrlicheres Erinnern aus der Reihe der alten Tage in mir auf. Alle Saiten meines Herzens waren gespannt, alle Gedanken, alle Sinne geweckt – hätte sie mir damals zugeflüstert: „Fliehen wir!“ – ich würde sie in die Arme genommen und die ganze Welt dafür herausgefordert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_754.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)