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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Weißt Du auch, daß das eigentlich eine sehr lustige Zumuthung ist, mein Lieber?“

„Ich sehe nichts besonders Lustiges darin, Rita, und ich würde Dir dankbar sein, wenn Du Deiner Spottlust endlich Zügel anlegtest. Diese Dinge sind mir heilig, und es verletzt mich tief, sie wie eine scherzhafte Angelegenheit behandelt zu sehen.“

„Nun wohl, ich verspreche Dir, ernsthaft zu sein, und wenn Du mir Deinen Schützling zuführen willst, so werde ich mich seiner schwesterlich annehmen. Aber ich verlange dafür die Anerkennung, daß ich sehr großmüthig bin!“

„Und das Konzert? Du wirst natürlich singen?“

„Nur unter einer Bedingung!“

„Also doch noch eine Laune! – So laß hören!“

„Du wirst dies junge Mädchen mit dem barbarischen Vornamen nicht mehr besuchen, ohne daß ich Dich begleite, und Du wirst sie sonst an keinem anderen Orte sehen, als hier bei mir. Wenn Du es wirklich gut mit ihr meinst, kann es Dir nicht schwer werden, darauf einzugehen, denn dies ist der einzige Weg, ihren guten Ruf unversehrt zu erhalten.“

Gerhard zögerte mit der Antwort. Es verwundete seinen Stolz, sich ein Versprechen abringen zu lassen, das ihn in der Freiheit seines Handelns beschränkte; aber der Grund, den Rita zuletzt angab, war nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben, und zudem blitzten ihn die schwarzen Augen mit so bestrickendem Zauber an, daß es schließlich nicht einmal der Erinnerung an das heutige Konzert und an die Unentbehrlichkeit der gefeierten Primadonna bedurfte, um ihn zur Nachgiebigkeit zu bestimmen.

„Mag es darum sein, Rita! Ich hoffe, Du wirst Astrid aufrichtig liebgewinnen, sobald Du sie kennengelernt hast. Glaube mir auf mein Wort: sie ist unendlich viel mehr werth als irgend eine andere Deiner sogenannten Freundinnen – diejenigen aus der besten Gesellschaft mit eingerechnet!“

Um die schön geschwungenen Lippen der Sängerin zuckte es eigenthümlich; aber sie schien nicht geneigt, noch länger bei diesem Gegenstand zu verweilen. Langsam erhob sie sich von dem Ruhebett, und indem sie das prächtige schwarze Haar, das ihr fessellos über Schultern und Rücken fluthete, mit einer unnachahmlich anmuthigen Bewegung zurückwarf, sagte sie:

„Wohlan, so werde ich trotz meiner Migräne heute abend meine Schuldigkeit thun. Wir Frauen sind ja nun einmal unverbesserlich thöricht, wenn wir lieben. Laß uns Deine beiden neuen Lieder noch einmal durchgehen, Gerhard!“

Sie hatte den kleinen Salonflügel aufgeschlagen, und Gerhard nahm vor demselben Platz. Wenige Augenblicke später tönte die glockenhelle Stimme der Künstlerin mit köstlichem Wohllaut durch den Raum. Ihrem Klange war nichts anzumerken von körperlichem Leiden oder seelischer Verstimmung, und auch aus den Mienen des Komponisten schwand der letzte Schatten des Verdrusses, während er diesem wahrhaft vollendeten Vortrage seiner eigenen Schöpfungen lauschte. Als der letzte weiche Ton verhallt war wie die ersterbende Klage einer Nachtigall, sprang er mit leuchtenden Augen auf und riß die herrliche Gestalt des stolzen Weibes ungestüm an seine Brust.

„Du bist meine Göttin und meine Muse, Rita! Für Dich waren diese Lieder geschrieben, und Dir sollen sie gehören, Dir allein!“

Sie duldete seine Umarmung und sie duldete auch den langen, glühenden Kuß, den er auf ihre schwellenden Lippen drückte. Ueber ihr schönes Antlitz aber ging ein triumphirendes Aufleuchten, und als er sie endlich freigegeben hatte, sagte sie in einem fast herrisch klingenden Tone:

„Und weil Dir nie eine andere wird bieten können, was Du von mir empfängst, werde ich Dich um Deiner selbst willen niemals kampflos einer anderen überlassen, Gerhard. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich um eines neu erwachten Rausches willen in demüthiger Ohnmacht bei Seite werfen lassen. Ich kann wohl eine flüchtige Verirrung verzeihen, aber niemals einen kalt überlegten Verrath. Doch genug davon! Es ist Zeit, daß ich an meine Toilette denke für das Konzert.“

Als Gerhard den unten harrenden Wagen wieder bestieg, war er ja von einer schweren Sorge befreit, aber es wollten dessenungeachtet weder Ruhe noch Heiterkeit über ihn kommen. Der Taumel des Entzückens, der ihn für eine kurze Zeit da oben in dem halbdunklen, von schwerer, duftiger Atmosphäre erfüllten Gemach erfaßt hatte, war vielleicht mehr der Befriedigung des geschmeichelten Komponisten als dem Herzen des Liebenden entsprungen. In der kalten Winterluft verflog er schnell wie ein flüchtiger Weinrausch, und an seiner Stelle blieb eine eigenthümliche Leere zurück, ein Unbehagen, das durch die immer wiederkehrende Erinnerung an Astrid und an ihr seltsames Benehmen eher gesteigert als gemildert wurde.


3.

Seit Bernhardis Tode waren nahezu drei Wochen vergangen, und in dieser ganzen Zeit hatte Gerhard seine Pflegeschwester nicht ein einziges Mal wieder gesehen. Nicht daß er sie vergessen oder absichtlich vernachlässigt hätte; aber er glaubte sich von ihr aufs neue tief gekränkt, und Rita hatte ihn in der Ansicht bestärkt, daß er es sowohl der Rücksicht auf sie als seiner eigenen Würde schuldig sei, jetzt eine Annäherung von seiten Astrids abzuwarten. Dem Versprechen getreu, welches er der Sängerin gegeben, hatte Gerhard nämlich seinen jungen Schützling brieflich auf den bevorstehenden Besuch Ritas vorbereitet, und er hatte es dabei nicht an einer zarten Andeutung fehlen lassen, daß er es für ein besonderes Glück halten würde, wenn es Astrid gelänge, sich die Freundschaft der berühmten Künstlerin zu erwerben. Noch am nämlichen Tage hatte er ihre Antwort erhalten. Sie dankte ihm für seine gute Absicht, aber sie bat ihn zugleich, dieselbe nicht zur Ausführung zu bringen; sie befände sich in vollkommen zufriedenstellenden Verhältnissen und sie sei nicht in der Gemüthsstimmung, neue Bekanntschaften oder gar, wie Gerhard es zu wünschen scheine, eine neue Freundschaft zu schließen.

Gerhard hatte es für das Einfachste gehalten, Rita diesen Brief vorzulegen, und die Sängerin hatte sich sehr beleidigt gezeigt durch die Zurückweisung, welche sie da erfuhr.

„Diese vornehme junge Dame scheint mich ihres Umganges nicht für würdig zu halten,“ sagte sie, „und sie will Dich allem Anschein nach vor eine Wahl stellen zwischen sich und mir. Es ist eigentlich schade, daß ich auf diese Weise um das Vergnügen kommen soll, meine so selbstbewußte Nebenbuhlerin kennenzulernen.“

Solche Worte waren Gerhard zwar ungemein peinlich; aber auch er hielt Astrids Antwort für hochmüthig und unpassend, und er begriff Ritas zornige Gereiztheit. Es war dann zwischen ihnen nicht wieder die Rede davon gewesen, obwohl der junge Künstler mehr als einmal das Verlangen gefühlt hatte, den Gegenstand abermals aufzunehmen und ein freundliches Wort zu gunsten Astrids zu sprechen. Eine unerklärliche Scheu hielt ihn davon zurück, und schließlich nahmen ihn auch seine mannigfachen künstlerischen und gesellschaftlichen Verpflichtungen viel zu sehr in Anspruch, als daß ihm die Erinnerung an die Tochter seines todten Lehrers allzu oft hätte wiederkehren sollen. –

Als eine der meistgenannten Berühmtheiten des Tages viel gesucht und umworben, hatte sich Gerhard nur mit Mühe einen Abend zu ruhiger Arbeit an seinem neuen Werke, einem großen Oratorium, frei gemacht. Er stand in dem behaglich durchwärmten Arbeitszimmer an dem hohen Pult, welches er mit Vorliebe zu benutzen pflegte, und lauschte zuweilen mit halbem Ohr auf das Pfeifen und Heulen des Dezembersturmes, welcher draußen recht ungebärdig durch die Straßen und über die Plätze fegte.

Da hörte er die Glocke im Flur wiederholt scharf anschlagen, und er blickte überrascht zu der Uhr auf dem Kaminsims hinüber.

„Gleich zehn Uhr! Wer kann jetzt noch auf den Gedanken kommen, mich zu besuchen?“

Er sollte darüber nicht lange im Zweifel bleiben, denn gleich darauf erschien mit ziemlich verblüfftem Gesicht sein Diener unter der Thür.

„Da ist eine Dame, Herr Steinau, welche Sie an einer wichtigen und dringenden Angelegenheit sprechen will. Sie scheint sehr aufgeregt –“

„Und ihr Name?“

„Sie hat ihn mir nicht genannt.“

„So führen Sie die Dame herein! Sie hätten sie überhaupt nicht erst warten lassen sollen!“

Mit einiger Neugierde sah Gerhard nach der Thür, um im nächsten Augenblick mit raschen Schritten der Eintretenden entgegen zu eilen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_758.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)