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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Geibel, die mir seine Tochter Marie und deren Gatte, Rechtsanwalt Dr. Fehling, in dieser Zeit zur Einsicht gaben, zieht sich wie ein rother Faden ein tief religiöses Empfinden, das auch in dichterischen Werken des Mannes so oft einen ergreifenden, zum Herzen sprechenden Ausdruck findet.

In einem seiner bis jetzt noch ungedruckten Aphorismen sagt Geibel: „Religion ist die Musik der Geister. Das Bekenntniß verhält sich zu ihr wie der untergelegte Text zu einer Symphonie.“ Dies Wort zeigt, worin er mit seinem Vater Johannes übereinstimmte und worin er in seiner Auffassung von jenem abwich, seit er die Pforte seines Geburtshauses verließ, jenes alterthümliche, reichgeschnitzte Hausthor in der Fischstraße, über dem sich zwei Genien mit Palme und Kranz in der Hand freundlich einander zuneigen, gleich wunderbaren Symbolen seines Lebens.

Geibel als Mann.

Geibels Vater, dessen wohlgetroffenes Bildniß wir den Lesern auf Seite 773 vorführen, war zweiundfünfzig Jahre lang, von 1797 bis 1849, Geistlicher der reformirten Gemeinde zu Lübeck und als solcher predigte er in einer Kapelle, die nach dem damaligen Zeitgeist keinen Thurm und kein Glockengeläute haben durfte; aber wenn dieses allerschlichteste, damals nur geduldete Gotteshaus auch nur schweigend zur Sonntagsfeier einlud, in dichten Scharen zogen gerade zu ihm, wenn die Glocken in die andern Kirchen riefen, die Bewohner Lübecks, und Johannes Geibel gebührt das Verdienst, der erste gewesen zu sein, der das völlig eingeschlummerte religiöse Leben hier mit seiner feurigen Begeisterung in der Zeit der Erniedrigung Deutschlands und der Befreiungskriege neu anzufachen verstand.

Nach dem Tode seines Vaters im Juli 1853 schreibt Geibel: „Ich hab’ es oft gesagt, daß ich unter allen Kindern wohl am meisten der Sohn meines Vaters war . . . ja, daß ich selbst in meinen körperlichen Anlagen und Gebrechen oft bis ins kleinste hinein das Bild der seinigen wieder erkennen mußte. Neben dem tiefen Zuge des Herzens nach göttlichen Dingen, neben dem ernstesten Ringen nach den Gütern des Himmels, neben einer Flugkraft des Gedankens und der gläubigen Empfindung, die ihn höher hinauftrug, als den meisten Sterblichen zu streben vergönnt ist, trat bei ihm im häuslichen Leben nicht selten eine fast harte Unfügsamkeit, ein Mangel an Selbstbeherrschung, eine augenblickliche Maßlosigkeit hervor, die ihm und uns manches Herzeleid bereitete. Gewiß, er hat das in seinen letzten einsamen Leidensjahren mehr als völlig abgebüßt, und ich spreche dies hier wahrlich nicht aus, um auf den Verklärten einen Makel zu werfen, sondern nur, weil ich, ach, allzutief fühle, daß ich gerade auch in diesen Fehlern sein getreuer Abdruck bin. Darum bitte ich Gott von Herzen, daß er mir seinen gnädigen Beistand schenken möge, diese Erbsünde mehr und mehr zu überwinden.“

Jugendbildniß Adas.

Diese Worte beweisen, wie weit Geibel von eitler Selbstgerechtigkeit entfernt war, und wie ernst er es nahm, sich gerade in seinen Fehlern zu erkennen und zur inneren Veredlung durchzuringen.

Schon mit 15 Jahren dichtete Geibel oft und gewann sich dadurch die Herzen seiner Mitschüler. Mit Vergnügen dachte Geibel an jene Zeit zurück, und ich weiß noch, wie er mir eines Abends im Scherz ein Gedicht von damals in demselben Pathos vortrug, mit dem er es, wie er sagte, seinen Freunden in der Sekunda vorgelesen hatte. „Seine Augen glühten wie zwei Kohlen,“ hieß es darin, und während der greise Dichter humoristisch mit rollenden Augen und donnernder Stimme diese Verse deklamirte, konnte man sich lebhaft vorstellen, welch ein feuriger Junge er gewesen war.

Geibel als Jüngling.

Als Geibel dann in der Vollkraft seines Schaffens stand, eine Auflage seiner Gedichte der andern folgte, als er sein erstes Drama schuf, seine patriotischen Gesänge zündeten und König Max ihn nach München berief, da ward er überall der verwöhnte Liebling der Menschen und besonders der Frauenwelt.

In den Jahren vor seiner Uebersiedelung nach München verkehrte er viel im Hause der verwitweten Doktorin Trummer zu Lübeck. Auch deren Tochter Amanda schwärmte für ihn, aber sie war erst 15 Jahre alt, und wie durfte sie an ihn denken, an ihn, der die Herzen so vieler Schönheiten eroberte, dem so manches junge Gemüth in der vornehmen Welt zuflog, ja, von dem selbst die vielumworbene, gefeierte schwedische Nachtigall, Jenny Lind, hingerissen war! Nein, Amanda wollte sich alle thörichten Wünsche aus dem Sinne schlagen. Aber Geibel dachte darüber anders. Gerade sie mit ihrer weichen, innigen Demuth gefiel ihm besser als irgend eine andere, und nachdem leidenschaftliche Jugendstürme in ihm ausgetobt hatten, erwuchs in ihm die geläuterte Liebe zu diesem reinen Gemüth, und so gestand der sechsunddreißigjährige gereifte Dichter dem siebzehnjährigen jungen Mädchen seine Neigung und gewann ihre Hand.

Ada nach dem Bilde von Correns.
Gemalt nach einer an Adas Sarge aufgenommenen Skizze.

Schon am Tage nach seiner Verlobung zwangen ihn Verhältnisse, abzureisen. Der kleine vergilbte Brief liegt vor mir, in dem am 21. November 1851 Amanda

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_780.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)