Seite:Die Gartenlaube (1889) 818.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Darf ich mir einen Vorschlag erlauben?“ sagte der junge Arzt, der bis dahin auffallend still gewesen war; „lassen wir die Theaterbillette unbenützt und gehen wir zu Siechen, um ein Glas Bier zu trinken! Das scheint mir der geeignetste Abschluß für den Tag und zugleich eine Möglichkeit, den Damen noch ein Bild großstädtischen Lebens zu zeigen.“

„Einverstanden!“ rief Karl erfreut, da das Zauberwort „Bier!“ ihm wie jedem guten Deutschen unwiderstehlich war, sehr einverstanden – auf nach Valencia!“

Wieder machte man sich paarweise auf den Weg und ging, die Damen nun ganz getröstet, in das Lokal, wo das Ehepaar sehr vergnügt bei seinen schäumenden Biergläsern saß, während Rüdiger und Anna weder sich gegenseitig, noch jemand anders ansahen, und der Doktor aufs ersichtlichste „maikäferte“, d. h. tief sinnend sich vorbereitete, um eine Mittheilung zu machen. Plötzlich schlug sich der Amtsrichter vor die Stirn.

„Da fällt mir eben ein – ich habe im Hotel eine Depesche vorgefunden und in der Eile noch nicht aufgemacht!“

Er öffnete das Telegramm, las und reichte es seiner Frau.

„Prost, Helene, und Adieu Lebermann! Ich bin Landrichter in D . . . geworden – die Stadt wird hoffentlich groß genug sein, daß der Apotheker nicht darüber Buch führt, ob ich zwei Löffel Suppe esse, oder drei!“

Das Ehepaar stieß jubelnd mit einander an, – und auch Rüdiger erhob sein Glas.

„Einen unleugbaren Vorzug von D... darf ich auch nicht unerwähnt lassen,“ sagte er verlegen und vergnügt, „es liegt nur eine halbe Stunde von meinem Aufenthaltsort entfernt, und da Ihr Fräulein Schwägerin sich vorhin bereit erklärt hat, mir, mit Ihrer Zustimmung, einmal dorthin zu folgen, so wird sich ja hoffentlich der Verkehr recht gemüthlich gestalten!“

Der Amtsrichter und seine Frau sahen erst sich gegenseitig und dann Anna starr und strafend an. Anna saß glühend mit gesenkten Augen da.

„Du kennst ihn doch noch gar nicht!“ brachte Karl endlich mühsam hervor.

„Ach, wie lange!“ rief Anna und schlug, in glückselige Thränen ausbrechend, die Hände vors Gesicht.

„Sehr lange!“ bestätigte Helene zwischen Rührung und Lachen, „frage sie nur einmal, was sie in der Kapsel hat! Zeig’ her, Aennchen!“

„Lieber sterben!“ rief diese, wie es schien, fest entschlossen, das K aus Nudelteig bis zu ihrem letzten Athemzug zu vertheidigen und zu verheimlichen.

„Nein, das alles will in Ruhe abgemacht und besprochen sein,“ meinte der Amtsrichter und erhob sich. „Mir scheint dies Lokal nicht gerade geeignet zu einer solchen Familienscene! Gehen wir ins Hotel“ – er sah nach der Uhr – „Lebermann muß ja nun schon auf dem Wege nach Solau sein – und dann besprechen wir alles in Ruhe mit einander! Wir machen den Leuten hier noch einen Extraspaß!“ setzte er hinzu und sah sich mit bedenklichen Blicken nach den andern Gästen um, die allerdings, was ihnen nicht zu verdenken war, mit sichtlich gespitzten Ohren da saßen.

Als unsere Gesellschaft sich zum Abschluß dieses denkwürdigen Tages im Hotel wieder zusammenfand – als Rüdiger noch die allerbefriedigendsten Aufschlüsse über seine Persönlichkeit und Verhältnisse gegeben hatte und man das Wohl des jungen Paares unter acht Augen fröhlich trank, fragte der Amtsrichter plötzlich: „Nun, und wem habt Ihr Euer Glück eigentlich zu danken?“

„Dir – oder Lebermann!“ sagte Rüdiger lachend.

„Nein, dem Kürschner aus Solau,“ erwiderte Karl feierlich, „denn hätte der nicht den Zettel auf meinem Pelz loszumachen vergessen, so wüßte ich nicht, wie der Doktor unsere Bekanntschaft hätte machen sollen.“

„Ich glaube, wir hätten uns auch so gefunden – irgendwie und irgendwo, es wäre gar nicht anders möglich gewesen!“ sagte Rüdiger glücklich und zog die Hand seiner kleinen, reizenden Braut an die Lippen, „aber einerlei – der Kürschner aus Solau soll leben, und alle Dummheiten, die er macht, sollen ebenso erfreuliche Folgen haben als diese!“




Blätter und Blüthen.


Die Kunst, ein hohes Alter zu erreichen. Ueber diese Kunst, welcher die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1884 (S. 58) eine längere Betrachtung widmete, hat der berühmte Italiener P. Mantegazza ein Büchlein geschrieben, das auch in deutscher Uebersetzung erschienen ist (Styrum und Leipzig, Adolf Spaarmann). Mantegazza beruft sich dabei auf die Grundsätze richtiger Gesundheitspflege, die er selbst in zahlreichen Schriften verbreitet hat, doch steht die Gesundheit in keiner direkten Beziehung zur Lebensdauer, es kann unter Umständen selbst ein beständig kränkelnder Mensch eine hohe Lebensdauer erreichen. Ueberhaupt führt Mantegazza den Ausspruch eines alten italienischen Arztes an: der wirkliche Werth des Lebens läßt sich nicht nach der Zeit, sondern nur nach dem Gebrauche derselben messen. Gleichwohl ist das Streben nach einem langen Leben fast allgemein und auch natürlich. Nicht nur unsertwegen, sondern auch der andern wegen sollen wir unser Leben zu verlängern trachten. Eine menschliche Gesellschaft, in welcher alte Leute fehlen oder selten sind, ist unvollkommen und ermangelt eines der edelsten Elemente des Gleichgewichts und des Fortschrittes. Einen gesunden und rüstigen Greis schauen wir nicht nur mit Achtung und Ehrfurcht, sondern auch mit Neid an, und die hochbejahrten Greise sind stolz darauf, daß sie die Zeit bezwungen haben, und hängen mitunter aus einer Art Eitelkeit ihrem wirklichen Alter noch einige Jahre an.

Zu allen Zeiten hat es die verschiedenartigsten Mittel und Geheimmittel gegeben, mit deren Hilfe das ersehnte Ziel eines hohen Lebensalters erreicht werden sollte. Von dem vegetabilischen Schwefel und dem Goldelixir bis zum Himmelsbette Grahams, welches den darauf Liegenden mit neuer Lebenskraft erfüllen sollte und diese Wirkung durch elektrische Maschinen, Wohlgerüche, musikalische Instrumente und sinnberauschende Mittel hervorzurufen suchte, bis zum rothen Lebenssaft de l’Ormes, dem „Thee zum langen Leben“, des Grafen Saint Germain, dem Lebenselixir Cagliostros – wahrlich, eine Menge abenteuerlicher Zaubermittel, die ein langes Leben erzwingen sollten! Weit einfacher war die Weisheit Cornaros, der fast hundert Jahre alt wurde und vor allein eine mäßige Diät empfahl. Darauf sind ja auch die Rathschläge der meisten preisgekrönten und nicht preisgekrönten Schriftsteller zurückzuführen, die über dieses Thema geschrieben haben. Der Kernpunkt der Rathschläge Mantegazzas besteht darin, das Nervensystem in einem Zustande harmonischer Energie zu erhalten. Es ist unrichtig, daß das Leben sich bei jedem Kraftverbrauch verkleinere; ebenso wenig ist das Leben ein mit Geld gefüllter Sack, der um so länger aufrecht stehen bleibt, je weniger Geldstücke daraus genommen werden. Das Lebens ist vielmehr mit einer Maschine zu vergleichen, die, sobald man sie nicht gebraucht, verrostet und untauglich wird oder, sobald man sie in übermäßiger Weise in Anspruch nimmt, sich langsam abnutzt oder plötzlich zerbricht. Kein Organ unseres Körpers darf in Müßiggang verharren und ebenso darf keins den Arbeitsantheil der andern sich aneignen. Furcht vor dem Tode ist ebenso schädlich wie hypochondrische Selbstprüfung. Mantegazza meint, daß die Menschen in Zukunft ihr Leben verlängern können. Die Natur bringe ausnahmsweise ein Kakerlak-Kaninchen, eine doppelfarbige Stechpalme, ein Rennpferd hervor; wir erzeugen künstlich bis ins unendliche Kakerlak-Kaninchen, doppelfarbige Stechpalmen und Rennpferde. Ebenso bringe die Natur ausnahmsweise Menschen hervor, die 100, ja 150 Jahre alt werden; aber wir können auf künstlichem Wege bewirken, daß die Ausnahme zur Regel werde!

Ob die Zukunft diesen Wechsel einlösen, diese Verheißung erfüllen wird? Die Vergangenheit giebt keinen Anhalt dafür.

Ein Werk der Selbsthilfe. Noch hemmten im lieben deutschen Vaterlande die mit Sorgfalt in den jeweiligen Landesfarben bemalten Grenzpfähle jeden Ausgleich einzelstaatlicher Besonderheit; noch berührte man auf der Reise durch die Staaten des deutschen Bundes dreißig und einige Male das „Ausland“ und hatte ebenso oft schlechterdings unerläßliche Reisepaßförmlichkeiten zu überstehen; noch führte jeder deutsche Staat seine eigenen Münzen und Maße und das Heer der „wilden“ Kassenscheine bildete eine beängstigende und gefürchtete Sündfluth; noch exerzierte jedes „Kontingent“ nach eigenem „Reglement“ in besonders gearteter Uniform; noch waren Eisenbahn und Telegraph unbekannte Erscheinungen, aber erstere begann man als eine Handel und Wandel zu Grunde richtende Einrichtung zu fürchten; von großen Versicherungsgesellschaften bestanden nur einzelne und Schulze-Delitzsch war noch Referendar oder vielmehr, wie man es hieß „Auskultator“.

In dieser Zeit politischer, socialer und wirthschaftlicher Dämmerung begründete – es war am 29. August 1836 – im Herzen Deutschlands, im klassischen Weimar, ein Häuflein weitschauender deutscher Volksschullehrer, durchdrungen von der Wahrheit des Wortes von der Stärke durch die Einigkeit, einen Verein, der seinen von Brandunglücksfällen betroffenen Mitgliedern den Ersatz ihrer von den Flammen vernichteten Habe gewährleistete. Der thüringische Lehrerstand, von jeher durch Intelligenz und reges Vorwärtsstreben ausgezeichnet, würdigte rasch die aus einer derartigen Vereinigung sich ergebenden Vortheile und schloß sich derselben in Verbänden, die sich bequem nach den politischen Grenzen der einzelnen Staaten ordneten, an; und noch bevor das Jahr 1866 wenigstens den Norden Deutschlands einigte, umfaßte der „Thüringer Brandversicherungsverein unter Geistlichen – denn auch viele Seelsorger hatten die Mitgliedschaft des Vereins erworben – und Lehrern“ sämmtliche Staaten Thüringens mit Ausnahme der preußischen Gebietstheile desselben. Aus

bescheidenen Anfängen herausgewachsen, bildet der Verein heute in seiner

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_818.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)